# taz.de -- Journalismus in der Krise: Pöbelportale und Pfennigfuchser
> Brauchen wir Journalismus noch? Ist seine Krise hausgemacht oder
> investorengetrieben? Auf Sachlichkeit zu verzichten, muss man sich
> jedenfalls erst mal leisten können.
(IMG) Bild: Als Papier noch nicht elektrisch war: Bahnhofswartesaal im Deutschland der 1930er Jahre
[1][„Heftchentag“] ist eine der Wortschöpfungen von Wiglaf Droste, die
schon zur Zeit ihrer Entstehung, vor einem Vierteljahrhundert, einen leicht
melancholisch anwehten.
Zumindest was eines der Heftchen angeht, die einen regelmäßig freitags
bestimmt und beschwingt zum Kiosk wandern ließen, war dieses Jahr Schluss:
Die Konkret erscheint von angekündigten Sonderausgaben abgesehen von Januar
an nur noch als E-Paper.
„Nur noch“ ist dabei schon ernst zu nehmen, nicht nur weil Freunde um die
gedruckte Konkret trauern, sondern weil uns ja auch selbst hier in der taz
noch nicht immer klar ist, ob wir nun bei unserer Arbeit von online only,
online first oder online exclusive sprechen wollen, auch wenn sich das bei
uns auf die Wahl zwischen E-Paper-Ausgabe und eben reiner
Onlineveröffentlichung auf taz.de bezieht.
Seitenwenden, Zeitenwenden – sie können Hoffnung stiften, aber auch
Untergangstimmung erzeugen. Vor elf Jahren schrieb der italienische Autor
Marco d’Eramo [2][in der taz]: „So viele Berufe die Moderne überhaupt erst
hervorgebracht hat, so viele hat sie auch wieder zerstört.“ D’Eramo
erinnert an die Telegrafisten, die erste globale Kommunikationselite, aber
auch an Dinge, die zwar näher liegen, aber nicht minder vergessen sind:
Oder wie wollen Sie ihrem Kind erklären, dass man früher einen „Film“ in
eine „Kamera“ – echt jetzt, wer braucht so ein single function device!? –
„einlegen“ und die ganze Sache dann auch noch „entwickeln“ musste? Das
klingt wirklich nach einem Dunkelkammerjahrhundert!
Also – ist vielleicht am Ende alles doch besser geworden? Kann nicht ein
journalistisches Qualitätsportal wie [3][Übermedien] im Januar schon seinen
zehnten Geburtstag feiern? Und sind, um den Blick auf einen europäischen
Nachbarn zu weiten, zwar in Italien Traditionsblätter wie La Repubblica und
La Stampa [4][in der Krise,] während sich gleichzeitig aber neue,
engagierter Aufklärung verpflichtete Internetmedien etabliert haben wie
[5][Il Post] oder [6][Valigia Blu]?
## „Flood the Zone with Shit“
Wenn wir von Krise sprechen wollen, müssen wir sie definieren. Die
Süddeutsche Zeitung etwa hat keine Krise als journalistisches Produkt – im
Gegenteil: Qualität, Zuspruch und auch die Zahlen stimmen, sie stimmen bloß
nicht für den Investor, ein „schlimmer Pfennigfuchser“, [7][wie es in der
taz hieß.] Und die auf den Markt geworfenen italienischen Zeitungen
scheinen für einen der möglichen Käufer sogar eher eine Last zu sein,
wirklich interessiert ist er nur an den (mehr) Rendite versprechenden
Radios, die dem Paket beiliegen.
„Die Ursprungssituation ist die, dass es eine gesellschaftliche Institution
gibt, die im Namen der Sachlichkeit gegründet ist. Das ist der
Journalismus“, hat Diedrich Diederichsen vor zwei Jahren in einem Band zum
Thema „Literarischer Journalismus“ geschrieben; und es lohnt sich, auch
jenseits der inzwischen halb vergessenen Affäre Claas Relotius – die mit
diesem Schlagwort in ihrem Ausmaß ganz unzureichend und insofern nicht ganz
fair betitelt ist –, [8][auf diese Aussage zurückzukommen].
Denn es ist ja eben die Unsachlichkeit, die einem ganz anderen Teil
journalistischen Engagements derzeit als vielversprechendes Betätigungs-
und Geschäftsfeld erscheint, oft finanziert von Personen, die die
Disruption, also die „radikale Umwälzung oder Veränderung bisheriger
Verhältnisse“, anstreben, wie der Soziologe Steffen Mau schrieb.
Eine hektische, links- wie rechtspopulistische, ost- wie westsentimentale
[9][Kampf- und Gesinnungspresse] feiert Wiederauferstehung – mal wieder:
Denn Medien sind nicht zuletzt als Wohlfühl- und Bestätigungsräume
gegründet worden. Möglicherweise nimmt dieser Trend zur meckernden
Muffigkeit in einer Epoche, in der der Wahrheit auch immer etwas
Katastrophisches anhaftet, sogar zu. „Der Lachende / Hat die furchtbare
Nachricht / Nur noch nicht empfangen“ – wann seit dem fernen 1939, als
Bertolt Brecht diese Verse veröffentlichte, wären sie aktueller gewesen?
Wer sich weiter der wirklichen Welt aussetzen will, wer, wie etwa Menschen,
deren Wohnsitze vom steigenden Meeresspiegel bedroht sind, auf exakte
Informationen zum Selbstschutz gar nicht verzichten kann – der muss in der
gegenwärtigen Medienwelt einiges an Dumpfheit und Gemeinheit
beiseiteschieben, um zum Ziel zu gelangen: [10][„Flood the Zone with Shit“]
ist die Parole der Pöbelportale.
Wer die Masche einmal durchschaut hat, wird darauf nicht auf Dauer
reinfallen. Und Trost nicht im Ressentiment suchen, sondern in der
Zuversicht darauf, was Menschen bewegen können, solange sie sich ihre
Menschlichkeit als zentralen Wert bewahren.
27 Dec 2025
## LINKS
(DIR) [1] /von-WIGLAF-DROSTE/!1158764/
(DIR) [2] /Essay-Journalismus-und-Oeffentlichkeit/!5043934
(DIR) [3] https://uebermedien.de/
(DIR) [4] /Italienische-Zeitungshaeuser-zum-Verkauf/!6137786
(DIR) [5] https://www.ilpost.it/
(DIR) [6] https://www.valigiablu.it/
(DIR) [7] /Chefredakteur-verlaesst-SZ/!6137880
(DIR) [8] /Sky-Doku-ueber-Claas-Relotius/!5921348
(DIR) [9] /Personalrochade-bei-der-Berliner-Zeitung/!6112020
(DIR) [10] https://www.deutschlandfunk.de/flood-the-zone-warum-trumps-flut-an-dekreten-und-provokationen-methode-hat-100.html
## AUTOREN
(DIR) Ambros Waibel
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