# taz.de -- Lehrerin über Rassismus an Schulen: „Wer sagt, dass wir neutral sein müssten, hat keinen Plan“
       
       > Gina Waibel ist Lehrerin und viral gegangen. Ein Gespräch über Angriffe
       > der AfD, Neutralität und was man rechten Gesinnungen entgegensetzen kann.
       
 (IMG) Bild: Bekam für virales Video gegen rechts Shitstorms und macht jetzt Fortbildungen: Lehrerin und Influencerin Gina Waibel
       
       taz: Frau Waibel, was ist das größte Problem in deutschen Schulen? 
       
       Waibel: Wir leben in einer super diversen Gesellschaft. Aber Lehrkräfte
       haben weder die nötigen Mittel noch die Sensibilität, um damit umgehen zu
       können. Viele denken, Rassismus beginne erst bei Beleidigungen oder Gewalt.
       Ihnen ist nicht bewusst, dass er strukturell verankert ist und es auch
       Alltagsrassismus gibt. Sie setzen sich zu wenig damit auseinander, weil sie
       selbst oft nicht betroffen sind.
       
       taz: Können Sie ein konkretes Beispiel für Rassismus in der Schule nennen? 
       
       Waibel: Schüler:innen haben mir immer wieder Vorfälle anvertraut, in
       denen sich Lehrkräfte rassistisch verhalten haben. Es beginnt damit, dass
       Kolleg:innen Afrika exotisieren, indem sie ihre Schüler:innen
       trommeln lassen, wenn sie darüber sprechen. Und es reicht bis hin zu
       offenen Beleidigungen wie: „Ihr Muslime seid nur zu faul.“ Auch bei
       Rassismus unter den Schüler:innen wird nicht immer eingegriffen. Wenn
       ich Kolleg:innen darauf angesprochen habe, hieß es oft, sie hätten es
       nicht so gemeint oder wüssten nicht, dass es schlimm sei.
       
       taz: Wie haben Sie darauf reagiert? 
       
       Waibel: Ich habe die Vorfälle der Schulleitung gemeldet, aber es ist nichts
       passiert. Einmal wurde das rassistische Verhalten eines Kollegen mit seinem
       Humor gerechtfertigt. Ein anderes Mal wurde mir vorgeworfen, ich würde
       Kolleg:innen Dinge unterstellen. Es gab keinerlei Bereitschaft zur
       Sensibilisierung. Dabei wird so viel Geld für etliche Schulungen in anderen
       Bereichen ausgegeben.
       
       taz: [1][Vor zwei Jahren ist ein Video von Ihnen viral gegangen.] Als
       Reaktion auf Friedrich Merz, wie er migrantische Jugendliche „kleine
       Paschas“ nennt und von mangelndem Respekt für Lehrerinnen spricht, nahmen
       Sie eine Szene aus Ihrem Schulalltag auf. Darin begegnen Ihnen migrantische
       Jugendliche sehr zuvorkommend. Was hat Sie dazu veranlasst, das zu posten? 
       
       Waibel: Vor allem in Ethik habe ich oft aktuelle Debatten behandelt. Diese
       Aussage hatten meine Schüler:innen mitbekommen und wollten darüber
       sprechen. Wir haben uns zusammen überlegt, wie wir Merz vielleicht fronten
       können, haben das Video erst mal nur für uns gedreht und fanden es total
       witzig. Der Dreh war ein Empowerment für die Schüler:innen. Sie konnten
       nach dieser abfälligen Bemerkung über sie der Gesellschaft ein anderes Bild
       von sich zeigen. Und dann wollten sie es unbedingt posten. Die Jungs waren
       die Kings der Schule, als das viral gegangen ist.
       
       taz: Unter diesem Post steht in einigen Kommentaren so etwas wie: Wer
       Jugendliche respektlos behandelt, wird auch von ihnen respektlos behandelt.
       Stimmen Sie dem zu? 
       
       Waibel: Ja, voll. Es gibt natürlich immer die, die man nicht erreicht. Das
       sind halt Jugendliche. Aber der springende Punkt dabei ist: Es kommt nicht
       auf die Herkunft an. Ich hatte auch schon respektlose Schüler, die mich
       dumm angemacht haben. Die mir sogar den Tod gewünscht haben. Aber in dem
       Fall war es ein Schüler ohne Migrationsgeschichte.
       
       taz: Wie sind Sie damit umgegangen, dass ein Schüler Ihnen den Tod
       gewünscht hat? 
       
       Waibel: Das hat mich schon beschäftigt. Ich hatte ihm nichts getan, außer
       zu sagen, dass er seinen Müll aufheben soll. Ich habe es der Schulleitung
       gemeldet. Aber nach zwei Stunden war das Thema für mich vergessen, es ist
       halt passiert.
       
       taz: Nach dem viralen Video haben Sie angefangen, über Rassismus in der
       Schule [2][auch in den sozialen Medien aufzuklären]. Dafür haben Sie
       Anfeindungen bekommen, sowohl im Netz als auch in Ihrer Schule. Von wem
       gingen diese aus? 
       
       Waibel: In der Schule war es eine junge Kollegin, die andere gegen mich
       aufgehetzt hat. Immer wieder hat sie meine Beiträge der Schulleitung
       gezeigt und behauptet, ich würde die Schule in ein schlechtes Licht rücken.
       Die hat nicht gerafft, dass es mir um Strukturen geht. Aber daraufhin wurde
       ich ins Schulamt eingeladen.
       
       taz: Die nächsthöhere Instanz über der Schulleitung.
       
       Waibel: Genau. Die haben dann klargemacht, dass das, was ich mache, okay
       ist. Und dass ich mich an den Beutelsbacher Konsens halte, [3][der die
       Grundprinzipien für politische Bildung festlegt]. Aber eigentlich sind das
       Schulamt und das Regierungspräsidium auch nicht die Instanzen, die für
       Gerechtigkeit sorgen.
       
       taz: Warum nicht?
       
       Waibel: Die meisten dort haben nicht das nötige Wissen, Rassismus und
       Diskriminierung zu erkennen und adäquat darauf zu reagieren. Es gibt
       einfach kein Schutzkonzept. Zum Beispiel dürfen die
       Antidiskriminierungsstellen der Länder weder Schüler:innen noch
       Lehrkräfte beraten.
       
       Verpflichtende Schullektüre enthält noch immer das N-Wort, manchen
       Lehrkräften macht es geradezu Spaß, es im Unterricht zu gebrauchen. Es
       steht wenig zur deutschen Kolonialgeschichte in Schulbüchern. Und wenn
       doch, läuft das häufig unter „Eroberer und Entdecker“. Das klingt nach
       Abenteuer, nicht nach Gewalt und Genozid. Afrika wird als primitiv und
       unzivilisiert dargestellt. Das vermittelt Weißen Kindern ein
       stereotypisches Bild und bei Schwarzen Kindern kann diese Darstellung erste
       negative Selbstbilder erzeugen.
       
       taz: Von wem stammen die Anfeindungen gegen Sie im Internet? 
       
       Waibel: Die erste größere von [4][Thorsten Weiß, einem AfDler, der im
       Berliner Abgeordnetenhaus] sitzt. Er hat ein Video von mir auf X gepostet,
       gefragt, ob mich jemand kennt und ob es in meinem Unterricht Indoktrination
       gebe. Dann hat ihm der AfD-Typ aus meiner Gemeinde geschrieben, wo ich
       wohne. Immer wieder haben auch Nius-Journalisten über mich als „linksgrüne
       Lehrerin“ berichtet. Und wegen des X-Posts habe ich auch viele E-Mails von
       ekligen Typen bekommen, darunter ein Dickpic. Den Mann habe ich angezeigt.
       
       taz: Das Recht besagt, dass Lehrer:innen in der Schule keine
       Parteipolitik betreiben dürfen, weder innerhalb noch außerhalb des
       Unterrichts. [5][Es besagt aber auch, dass Lehrkräfte sich in ihrem Beruf
       aktiv für die Verfassung und ihre Werte einsetzen müssen.] Was leiten Sie
       für Ihren Unterricht davon ab, vor allem für Ihren Umgang mit der AfD als
       rechtsextremer Partei? 
       
       Waibel: Sobald eine rechtspopulistische Aussage fällt, thematisiere ich das
       im Unterricht. Nicht nur von der AfD. Zum Beispiel auch [6][die von Merz
       zum Stadtbild]. Man muss dazu Stellung beziehen, wenn Rassismus oder
       Diskriminierung in der Politik, in den Medien oder in der Klasse
       reproduziert werden. Sonst hat man seinen Eid verpeilt. Jeglicher
       Menschenfeindlichkeit muss man sich widersetzen. Lehrkräfte, die das nicht
       tun, haben nichts in ihrem Job verloren. Wer immer noch damit argumentiert,
       dass wir neutral sein müssten, hat keinen Plan.
       
       taz: Und wie machen Sie das? 
       
       Waibel: Als zum Beispiel diese [7][Abschiebe-Tickets von der AfD verteilt
       wurden], haben das die Schüler:innen mitbekommen. Viele hatten die sogar
       im Briefkasten. Es waren damals drei rechte Schüler bei mir in der Klasse
       und ich habe die gefragt, wie sie es finden, dass ihre Klassenkameraden
       solche Tickets bekommen haben. Man kann es doch nicht Tiktok überlassen,
       dass sie sich eine Meinung bilden. Man hat die Pflicht, das einzuordnen,
       und wo soll das besser passieren als in der Schule, wo alle zusammen sind.
       
       taz: Solche Gespräche sind sicher nicht einfach. Wie kann man rechten
       Gesinnungen entgegenwirken? 
       
       Waibel: Wir haben per Zoom mit Personen gesprochen, die selbst
       Diskriminierung erleben. Zum Beispiel mit einer jüdischen Person über
       Antisemitismus. Die Schüler:innen haben sich vorher mit der jeweiligen
       Diskriminierungsform auseinandergesetzt und Fragen vorbereitet.
       
       So konnten die Schüler:innen verstehen, wie der Alltag für einen
       jüdischen Menschen in Deutschland aussieht, oder für eine Muslima mit
       Hijab, eine Schwarze Frau oder eine Roma. Gegen das, was ihnen Maximilian
       Krah auf Tiktok erzählt, kann man zwar anreden – aber für manche bin ich
       trotzdem die „linksgrüne Lehrerin“, die angeblich Quatsch erzählt. Wenn sie
       aber Kontakt zu Menschen bekommen, über die sie sonst nur Narrative hören,
       bewirkt das ein bisschen was. Das kann ich wirklich beobachten.
       
       taz: Das klingt, als würde es weit über das übliche Engagement von
       Lehrkräften hinausgehen. 
       
       Waibel: Ich würde da gar nicht so den Lehrkräften die Schuld geben.
       Verpflichtende Fortbildungen und Sensibilisierung müssen von oben kommen.
       Wir haben Studien wie die [8][Max-und-Murat-Studie, die belegen, dass
       struktureller Rassismus in der Schule besteht], und trotzdem passiert
       nichts. Es kommt bisher immer auf Einzelpersonen an, die in ihrer Freizeit
       Fortbildungen besuchen, um sich weiterzubilden und dann in der Schule die
       Arbeit machen, die der Staat tun sollte. Denn in der
       UN-[9][Kinderrechtskonvention steht, dass jedes Kind das Recht hat, in der
       Schule diskriminierungsfrei lernen zu dürfen]. Aber im Studium gibt es
       immer noch keine verpflichtenden Module zu diesem Thema.
       
       taz: Das vermeintliche Neutralitätsgebot für Lehrkräfte wird häufig von
       rechts instrumentalisiert, um eine kritische Auseinandersetzung mit
       Rechtsextremismus im Unterricht zu verhindern. Geht diese Strategie auf? 
       
       Waibel: Voll. Und sie verursacht, dass Lehrkräfte, die politisch mittig
       stehen, sich nicht trauen, zum Beispiel etwas zu den Abschiebeplänen der
       AfD zu sagen. Obwohl da Kinder vor ihnen sitzen und fragen, ob es sein
       kann, dass sie abgeschoben werden.
       
       taz: Warum haben Sie sich im Juni aus dem Lehrberuf zurückgezogen? 
       
       Waibel: Es wurden mir Steine in den Weg gelegt. Es gibt nicht viele
       Schulleitungen und Kolleg:innen, die Bock drauf haben, dass jemand ihnen
       ihre -Ismen aufzeigt. Also habe ich mich entschieden, mich auf die
       [10][Fortbildungen zum Thema Anti-Rassismus zu konzentrieren.] Das kommt am
       Ende auch mehr Schüler:innen zugute. Die rechte Bubble hat das nicht
       kapiert, die hat erst mal gejubelt, als ich den Schritt gemacht habe.
       
       taz: Was sollte eine Schule tun, die ernsthafte Anti-Rassismus-Arbeit
       leisten möchte? 
       
       Waibel: Sie sollte mit dem gesamten Kollegium eine Fortbildung zu
       Rassismuskritik und Diversitätssensibilität besuchen. Dann muss es
       unbedingt unabhängige Meldestellen geben. So kann gewährleistet werden,
       dass Vorfälle ernst genommen werden. Sie muss mit Expert:innen besetzt
       sein, die Vorfälle ernst nehmen und einordnen können. Und es muss
       Sanktionen für Lehrkräfte geben, die sich rassistisch und diskriminierend
       ihren Schüler:innen und anderen Lehrkräften gegenüber verhalten. Erst
       dann passiert auch etwas.
       
       Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Textes hieß es,
       das Neutralitätsgebot für Lehrkräfte besage, dass Lehrer:innen keine
       Parteipolitik betreiben dürften – weder innerhalb noch außerhalb der
       Schule. Richtig ist, dass Lehrer:innen in der Schule keine Parteipolitik
       betreiben dürfen, weder innerhalb noch außerhalb des Unterrichts.
       
       17 Dec 2025
       
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 (DIR) [1] https://www.tiktok.com/@frau_waibel/video/7188029327080983813?is_from_webapp=1&sender_device=pc&web_id=7580312382448010774
 (DIR) [2] https://www.instagram.com/frau_waibel?utm_source=ig_web_button_share_sheet&igsh=ZDNlZDc0MzIxNw==
 (DIR) [3] https://www.bpb.de/die-bpb/ueber-uns/auftrag/51310/beutelsbacher-konsens/
 (DIR) [4] /Voelkische-Plattform-in-der-AfD-Berlin/!5889622
 (DIR) [5] https://www.bpb.de/themen/bildung/dossier-bildung/292674/was-man-sagen-darf-mythos-neutralitaet-in-schule-und-unterricht/
 (DIR) [6] /Merz-Aeusserung-zum-Stadtbild/!6116817
 (DIR) [7] /Abstossender-Wahlkampf-der-Rechten/!6062467
 (DIR) [8] https://www.uni-mannheim.de/media/Einrichtungen/Abteilung_Kommunikation/Dokumente/Pressemitteilungen/Pressemitteilungen_2018/07_23_Diktatberurteilung.pdf
 (DIR) [9] https://www.unicef.de/informieren/ueber-uns/fuer-kinderrechte/un-kinderrechtskonvention
 (DIR) [10] https://leraconnect.de/
       
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