# taz.de -- Gaza-Friedensplan: Rückkehr nach Gaza?
       
       > Die Palästinensische Autonomiebehörde hat kaum Rückhalt in der eigenen
       > Bevölkerung. Doch nun will sie in Gaza wieder die Kontrolle übernehmen.
       
 (IMG) Bild: Wer wird aufbauen, wer wird regieren? Hausruine in Gaza-Stadt, 18. November 2025
       
       Brigadegeneral Anwar Rajab will von seiner Behörde überzeugen. Die Uniform
       sitzt, auf der Brust reihen sich bunte Abzeichen. „Staat Palästina“ prangt
       auf dem Ärmel. Der Sprecher des Sicherheitsapparats der Palästinensischen
       Autonomiebehörde (PA) sagt: „Es überrascht Sie vielleicht zu hören, aber
       unsere Sicherheitskräfte sind in bester Verfassung.“
       
       Für die PA geht es dieser Tage um ihre Zukunft. Gelingt es ihr, aus
       Ramallah im Westjordanland heraus im Gazastreifen künftig eine Rolle zu
       spielen? Wenn nicht, dürfte es ihren Weg in die Bedeutungslosigkeit
       besiegeln. In den 1990er Jahren, während des Oslo-Friedensprozess, entstand
       die Behörde, sie sollte Vorläufer eines zukünftigen palästinensischen
       Staates sein. Doch auch die jüngste Welle an internationalen Anerkennungen
       Palästinas können nicht darüber hinwegtäuschen: Die PA verwaltet derzeit
       nur noch die letzten palästinensischen Enklaven im israelisch besetzten
       Westjordanland.
       
       Israels Regierung hat eine PA-Beteiligung in Gaza bisher konsequent
       ausgeschlossen. Die US-Regierung unter Donald Trump aber scheint – auch
       unter dem Druck arabischer Staaten sowie seitens der
       UN-Sicherheitsratsmitglieder Russland und China – anderer Ansicht: Nach
       einem Reformprozess soll die PA die Kontrolle über Gaza übernehmen. [1][So
       heißt es in der Resolution zur Absicherung des Gaza-Friedensplans, die der
       UN-Sicherheitsrat in der Nacht auf Dienstag verabschiedet hat.]
       
       Rajab betont vor diesem Hintergrund die Erfolge seiner Leute: „Wir haben
       mehr als 300 Mitglieder bewaffneter Gruppen festgenommen.“ Er zeigt Fotos
       beschlagnahmter Sturmgewehre. In Dschenin im Norden des Westjordanlands
       gebe es heute keine bewaffneten Gruppen mehr.
       
       ## Flüchtlingslager Dschenin liegt in Trümmern
       
       Das liegt aber weniger an Rajabs Polizisten. Die israelische Armee hat das
       Flüchtlingslager von Dschenin Anfang des Jahres in weiten Teilen dem
       Erdboden gleichgemacht. Noch immer können tausende Bewohner nicht
       zurückkehren. Die PA-Truppen hatten sich zuvor mehr als einen Monat lang
       heftige Kämpfe mit militanten Palästinensergruppen geliefert. Rajab sagt,
       die Israelis hätten seine Leute „die Arbeit nicht beenden lassen“.
       Tatsächlich kann die PA ohne Zustimmung Israels nicht einmal einen
       Streifenwagen von Ramallah nach Dschenin schicken.
       
       Viele Palästinenser sehen die PA-Sicherheitskräfte als Erfüllungsgehilfen
       der israelischen Besatzung, auch weil sie sich mit Israel koordinieren.
       Rund ein Drittel des PA-Budgets fließt laut dem European Council on Foreign
       Relations in den Sicherheitsapparat. In den Augen der Palästinenser ist die
       PA zudem hilflos gegenüber der zunehmenden Gewalt durch radikale
       israelische Siedler und kann auch den stetigen Ausbau israelischer Siedler
       nicht aufhalten. Doch nicht nur das: Sie gehe auch mit autoritärer Hand
       gegen Oppositionelle vor und unterdrücke freie Meinungsäußerung.
       
       Dass die Behörde schon in besserer Verfassung war, dafür reicht ein Blick
       ins Vorzimmer des Brigadegenerals: Von den Steckdosen ist die Verkleidung
       abgefallen, die Wände bräuchten einen Anstrich. Über allem hängt ein
       verblichenes Bild des verstorbenen Palästinenserführers Jassir Arafat,
       gemacht wurde es in den 1980er-Jahren im tunesischen Exil.
       
       ## Palästinenser im Abseits
       
       Arafat hatte einst selbst mit tödlichen Anschlägen für einen
       Palästinenserstaat gekämpft, bevor er die palästinensische
       Befreiungsbewegung PLO in den 1990er Jahren in Verhandlungen mit Israel
       führte. Die Verhandlungen scheiterten letzlich, [2][die Palästinenser
       gerieten international zunehmend ins Abseits, etwa bei Verhandlungen
       arabischer Staaten über eine Normalisierung mit Israel.] Der mörderische
       Überfall der Hamas vor gut zwei Jahren könnte daran nur kurzfristig etwas
       geändert haben.
       
       Heute dominiert Israels Militär, unterstützt von den USA, die gesamte
       Region. Trotz zehntausender getöteter Zivilisten in Gaza und
       Völkermordvorwürfe ist international und in Israel der Drang nach einer
       Rückkehr zum Business as usual unübersehbar. In Jerusalem geben sich
       diplomatische Delegationen seit dem Beginn der Waffenruhe Anfang Oktober
       die Klinke in die Hand. Deutschland beendet sein Waffenembargo, die
       Forderungen nach internationalem Druck sind abgeflaut.
       
       Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu hat jahrelang die Spaltung
       zwischen den palästinensischen Fraktionen Hamas und Fatah befördert. Mit
       ihm werde es „westlich des Jordans keinen palästinensischen Staat geben“,
       hat Netanjahu jüngst erneut festgestellt. Denn eine geeinte
       palästinensische Führung könnte als Verhandlungspartner für weitere
       Gespräche dienen.
       
       ## Kann die PA Gaza regieren?
       
       Für die PA geht es vor diesem Hintergrund auch um ihre Legitimität bei
       westlichen Partnern. „Wir sind die einzigen, die mit der Unterstützung
       internationaler Partner die Dinge in Gaza wieder in Ordnung bringen
       können“, sagte PA-Ministerpräsident Mohammed Mustafa Mitte Oktober vor
       Fernsehkameras in Ramallah. Der 71-jährige Technokrat wurde im Frühjahr
       2024 eingesetzt, um Reformen anzustoßen. Denn Reformen, so steht es nun
       auch in der UN-Resolution, sind Bedingung dafür, dass die PA in der Zukunft
       die Kontrolle über den Gazastreifen übernehmen kann.
       
       Was genau reformiert werden soll, ist allerdings nicht klar – und die
       Wünsche variieren je nachdem, wen man fragt. Von westlichen Partnern
       zumindest werden der PA immer wieder der fehlende Rückhalt in der eigenen
       Bevölkerung vorgeworfen, Korruption, und auch die Verbreitung
       antisemitischer Inhalte in Schulbüchern oder die Zahlung von Renten an
       Hinterbliebene von Palästinensern, die Israelis getötet haben.
       
       Der ehemalige Weltbank-Ökonom hat einen Reformprozess eingeleitet, der
       bisher jedoch den Elefanten im Raum ignoriert: dass die Macht in Ramallah
       im Grunde nicht bei Mustafa liegt. Wichtige Entscheidungen werden weiter
       vom 90-jährigen Präsidenten Mahmud Abbas und dessen Vertrauten in der PLO
       getroffen.
       
       Erst kürzlich hat Abbas für seine Nachfolge seinen Vertrauten Hussein
       al-Sheikh als Vize eingesetzt. Wann die jüngst versprochenen ersten Wahlen
       seit 2006 stattfinden sollen, ist offen. Abbas und seine Leute hätten bei
       freien Wahlen laut Umfragen keine Chance.
       
       ## Die Pläne für Gaza
       
       Auf dem Weg von Rajabs Büro zur Zentrale der PLO liegt der Sitz des
       Legislativrats, das einst das Parlament eines palästinensischen Staates
       werden sollte. Heute hängt am Tor ein Vorhängeschloss. Auf dem Parkplatz
       vor dem PLO-Gebäude reiht sich ein luxuriöses Auto ans nächste. Drinnen
       erklärt PLO-Sprecher Wassel Abu Yusef die Pläne für Gaza.
       
       Zunächst müsse die Hamas von internationalen Kräften entwaffnet werden,
       danach solle schnell der Wiederaufbau für die rund zwei Millionen Bewohner
       des Küstenstreifens beginnen. Unvorstellbare 37 Millionen Tonnen Schutt
       sollen die israelischen Angriffe laut UN-Schätzungen hinterlassen haben.
       Darunter liegen noch immer tausende Tote und nicht explodierte Munition.
       
       Die PA hingegen hat nicht einmal Geld, um ihre Angestellten zu bezahlen.
       Israel hält die Auszahlung von Steuergeldern zurück, die es für die PA
       eintreibt – vor dem Krieg waren es rund 250 Millionen Euro pro Monat.
       
       Die Mittel sollen von außen kommen, sagt Abu Yusef, wenn nötig auch ohne
       direkten Zugriff der PA. „Wir werden keine ausländische Regierung im
       Gazastreifen akzeptieren“, stellt Abu Yusef allerdings klar. Das
       widerspricht der Ankündigung von Trump, [3][selbst die Leitung eines
       internationalen Aufsichtsmechanismus namens „Board of Peace“] übernehmen zu
       wollen.
       
       Auch das von Abbas zugesagte Ende der Renten für Angehörige von Attentätern
       scheint alles andere als beschlossene Sache. Man werde die Zahlungen an
       „unsere Märtyrer“ künftig anders aufziehen, aber nicht einstellen, sagt Abu
       Yusef. Ein weiteres Hindernis: Die Hamas hat ihre Entwaffnung bisher stets
       abgelehnt.
       
       ## Ständig neue Korruptionsfälle
       
       Für die PA sprechen dennoch auch pragmatische Gründe: Trotz der blutigen
       Vertreibung durch die Hamas 2006 gibt es noch immer zahlreiche
       Verwaltungsbeamte und Sicherheitskräfte in Gaza, die Ramallah auch unter
       Hamas-Herrschaft loyal geblieben sind. Mit etwas Training könnten bald
       8.000 ehemalige PA-Sicherheitskräfte in Gaza wieder einsatzbereit sein,
       schätzen Rajab und Abu Yusef.
       
       Abseits der PA-Ministerien in der Innenstadt kann Omar Assaf nur darüber
       lachen, dass sich Rajab und Abu Yusef nun als die rechtmäßigen Vertreter
       der Palästinenser aufspielen. „Wir leben in einer Diktatur“, sagt der
       72-jährige Aktivist und PA-Kritiker, der selbst bereits mehrfach in
       palästinensischen und israelischen Gefängnissen saß. „Abu Yusef ist qua
       seines Titels verantwortlich für die nationalen Bewegungen“, sagt Assaf.
       „Ich wette, er würde keine hundert Leute auf die Straße bringen.“
       
       Stattdessen kämen nun ständig neue Korruptionsfälle zu Tage. Erst kürzlich
       habe der Leiter der palästinensischen Grenzbehörde versucht, nach Albanien
       zu entkommen, um seiner Verhaftung zu entgehen. Anfang Oktober sei zudem
       der Verkehrsminister von PA-Chef Mustafa abgesetzt worden, erzählt Assaf
       weiter, nachdem er eine Million Dollar nach Kanada geschickt habe. Dass es
       dennoch ruhig bleibe, liege neben Angst auch an der Abhängigkeit vieler
       Familien. Fast 300.000 Menschen erhalten Lohn oder Renten von der PA.
       
       In Gaza, wo Israels Truppen noch immer mehr als die Hälfte des Gebietes
       besetzten, droht derweil die Gefahr des Stillstandes. Die temporäre „gelbe“
       Rückzugslinie könnte wie so vieles in diesem Konflikt dauerhaft werden.
       Doch gleichzeitig heißt es im US-Entwurf für den Sicherheitsrat erstmals,
       nach einer PA-Reform und dem Wiederaufbau des Küstenstreifens „könnten die
       Voraussetzungen für palästinensische Selbstbestimmung und Staatlichkeit
       gegeben sein“.
       
       So vage das klingt: Offenbar akzeptiert die US-Führung damit die zentrale
       Bedeutung eines politischen Horizonts für die Palästinenser. Sollte es
       trotz aller Hürden gelingen, Gaza unter internationale Verwaltung zu
       stellen, könnten sich neue Möglichkeiten eröffnen.
       
       Mitarbeit: Abed Qusini
       
       24 Nov 2025
       
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