# taz.de -- Uraufführung an Münchner Kammerspielen: Fütterung der Affen von der falschen Seite des Käfigs
> Zu abgestumpft ist das Gemüt 2025: In München kam „2x241 Titel besser als
> Martin Kippenberger“ des Kollektivs Frankfurter Hauptschule zur
> Aufführung.
(IMG) Bild: Anja Signitzer, Elias Maria Burckhardt und Antonina Gruse. Signitzer fiel krankheitsbedingt aus und wurde von Regieassistent Nicolaus Crayen ersetzt
Das Licht senkt sich über die Bühne im Werkraum der [1][Münchner
Kammerspiele]. Ein Telefon klingelt ein hölzern-hohles Iphone-Klingeln, das
übliche kurze Zögern im Saal, die Aufforderung ist bekannt, man fühlt
förmlich den kleinen Widerstand in den Körpern der Masse. Es klingelt
weiter. Ein vereinzeltes Fassen an Hosentaschen, leise reibend pulen
Daumennägel rückversichernd an Lautlos-Knöpfen. Und es klingelt weiter.
„Opening“, wie der Ton in den Systemeinstellungen des iOS heißt, klingelt
noch, während drei Schauspieler:innen die Bühne betreten. Er klingelt,
wenn das Scheinwerferlicht angeht, er klingelt, wenn auf der kreuzförmigen
Projektionsfläche der Stücketitel verschwindet, und er klingelt, als die
Darsteller beginnen zu proklamieren: „1 Selbstmord, ein Versuch / 2
Stalingrad, ein Wintermärchen / 3 Wir kommen, um zu leben / 4 Grüß Gott
Schwermut / 5 Hoppla, wir sterben“.
Der Ton des Abends ist gesetzt: überdehnte Witze, ironischer Tod,
ironisches Leben, ironische Kultur und ein trotziger Intellekt, der sich
zwischen splittriger Schärfe und onkeliger Peinlichkeit nicht entscheiden
kann. Kommen Sie näher, treten Sie ein: die Frankfurter Hauptschule
streichelt Ihnen heute mit Stahlwolle die offenen Nervenenden.
„2x241 Titel doppelt so gut wie Martin Kippenberger“, so der Titel des
Stücks, mit dem das circa zwanzig Personen umfassende westdeutsche
Kunstkollektiv, welches sich vor über zehn Jahren an der Städel-Schule
gründete, im letzten Jahr den Autor:innenpreis des Heidelberger
Stückemarkts gewann.
Eine sehr direkte Anspielung auf den großen Anti-Künstler der BRD, dessen
schmale Broschur „241 Bildtitel zum Ausleihen“ von 1986 (antiquarisch ab
650 Euro erhältlich) schon lange als ein Grundstein der Mythosbildung der
deutschen Nach-Nachkriegskunst gilt: „Noch nie was von
Publikumsbeschimpfung gehört?“ – wie einer seiner Titel lautet.
## Krass avantgarde nun eher nicht
[2][Die Frankfurter Hauptschule] will es nun besser machen, doppelt so gut,
im wörtlichsten Sinne, soll die Inszenierung des Kollektivs also werden:
„39 Ich habe die leise Hoffnung, es wird krass avantgarde.“
Krass avantgarde wird es dann leider nicht, jedoch kurzweilig und zeitweise
durchaus lustig. Irgendwann hört das Klingeln auf. In Kostümen zwischen New
Kids, Capitol-Erstürmung und Post-Bar-25-Clubkultur türmen die drei
Darsteller:innen auf der leeren Bühne in je zwei Blöcken die meisten
der 241 Titel verbal aufeinander, während vereinzelt wenige von ihnen über
die Projektion im Hintergrund flattern.
Ab und zu entsteht dadurch eine Art Meta-Kommentar, eine Bezugnahme
zwischen gesprochenem und gelesenem Wort, manchmal führt es jedoch auch
einfach nur dazu, dass die Schauspielenden Antonia Gruse und Elias Maria
Burckhardt sich verzählen. Dem Regieassistenten Nicolaus Crayen, der
kurzfristig für die erkrankte Anja Signitzer einspringt, kann das nicht
passieren, er liest mit größter Monotonie die Titel aus einem Buch ab – und
überzeugt so tatsächlich durch markantes Nichtspielen: „38 Hier sind wir
jetzt, unterhalte uns“.
Thematisch mäandern die Titel zwischen Zeitanalyse: „120 Wenn der
Faschismus wiederkehrt, wird er nicht sagen: Ich bin der Faschismus. Nein,
er wird sagen: Wenn der Faschismus wiederkehrt, wird er nicht sagen: Ich
bin der Faschismus. Nein, er wird sagen: Wenn.“, Studentenwitzen: „Georg
Lukács vs. George Lucas, wer gewinnt?“, Kunststudentenwitzen: „Unter den
Blinden ist Johann König“ und seichter Provokation in jede Richtung: „160
Hätte Nabokov ‚Lolita‘ nicht schreiben dürfen, weil er kein Kinderficker
war?“
## Provokation gelingt nicht
Es liegt eine leichte Nostalgie im Humor des Textes, eine Lust an einer
Provokation, die bei allem bebenden Glucksen im Publikum nicht mehr so
recht gelingen will. Zu abgestumpft ist das Gemüt im Jahr 2025, zu viele
Würstchen hat sich Lars Eidinger auf den Bühnen dieser Welt schon in den Po
gesteckt, zu viele Hasskommentare voll ernst gemeinter Menschenverachtung
das Hirn im Internet schon aufgesogen.
Dagegen anzukommen ist hart. Das scheint auch die Frankfurter Hauptschule
zu wissen: „178 Folgt uns zu einem neuen egal“. Die Gegenwart ist zu
verworren, die Sehnsucht nach Früher hat sogar die linken Künstler:innen
erreicht und am Ende ist das die wirklich traurige, ernüchternde Essenz des
Stücks: „236 Nie wieder war gestern. Der Rest ist Gegenwart.“
23 Nov 2025
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(DIR) Hilka Dirks
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