# taz.de -- Münchner Fotografieschau über Haiti: Den Exotismus überblenden
> Die Fotografin Leonore Mau bereiste in den 1970ern Haiti. Das
> Kunstkollektiv U5 nimmt in ihrer kritischen Ausstellung im Münchner
> Lenbachhaus auf ihre Arbeit bezug.
(IMG) Bild: U5: „Foto-Studio“, Überlagerung von Leonore Maus Fotografien aus Haiti, 2025
Bläulich-milchig pulsiert das Licht einer Projektion im Erdgeschoss [1][des
Münchner Lenbachhauses]. Von der Mitte des Ausstellungsraums strahlen
rechteckige Fotos gen Fußboden. Ein großes rundes Wasserbecken darunter
fängt sie ein, reflektiert die erstaunlich kühlen Farbtöne der Bilder auf
die Gesichter der Betrachtenden, die sich auf kleinen Hockern um die
ungewöhnliche Diaschau versammelt haben.
Das Wasser verwischt die Bildgrenzen, es weicht sie auf, lässt sie
verschwimmen, macht sie unscharf, out of focus, wie es auch im Titel der
Ausstellung heißt: „Out of Focus. Leonore Mau und Haiti“, kuratiert und
konzipiert vom Züricher Künstler:innenkollektiv U5.
Das Wasser in der runden, flachen Aluminiumschale ist so still und klar,
dass nur ein paar auf ihm schwimmende Staubkörner seine Existenz beweisen.
Man muss den Impuls unterdrücken, mit dem Finger nachzufühlen. Die
aufflackernden Bilder so durch konzentrische Wellen zu stören.
## Wellenklänge zum Bild
Eine Soundinstallation unterstreicht das Wasser, es rauschen und
plätschern, rieseln und gluckern Wellenklänge durch die Lautsprecher. Der
Klang des Meeres, der Wassermasse, des Windes. Er steht in starkem Kontrast
zum hier vorhandenen, domestischen Tümpel, zur Auslegeware und zur
zeltartigen Ausstellungsarchitektur aus mattweißer Bauplane, die in
Zusammenarbeit mit ALIAS architects errichtet wurde und so den eigentlichen
Raum verdeckt.
In Leonore Maus [2][projizierten Bildern spielen Kinder], entfalten sich
Straßenszenen voller Passanten, Lebensmittel, Leuchtreklamen, Tiere und
Pflanzen. In Intervallen von sieben, vierzehn und einundzwanzig Sekunden
wischen Mauern, Häuser, Rituelles und Feste über den Wasserspiegel.
Dokumentarische Reisefotografie in Kleinbild und Mittelformat, meist in
mattkörnigen Farben, teils in Schwarz-Weiß. Manchmal überlagern sich die
Fotografien in der technischen Überblendung, erschaffen so ein neues Bild,
die Illusion von Bewegung, und gleichen so in ihrer Unschärfe mehr vagen
Erinnerungen denn entschiedener Dokumentationen.
## Mit dem Schriftsteller Hubert Fichte
Die ausgebildete Pressefotografin Leonore Mau wurde 1916 in Leipzig
geboren. Ab den 1960er Jahren lebte und arbeitete sie zusammen [3][mit dem
Schriftsteller und Ethnografen Hubert Fichte]. Mit ihm reiste Mau unter
anderem nach Ägypten und Marokko, Venezuela, Mexiko, Benin, Senegal, den
USA und Brasilien. Zwischen 1972 und 1974 besuchten Mau und Fichte
Martinique, Grenada, Trinidad, die Dominikanische Republik und Haiti. Wie
auch auf ihren anderen Reisen dokumentierte Mau die Aufenthalte
fotografisch. Im Zentrum der Recherchen der Karibikreisen Maus und Fichtes
standen afrodiasporische Riten und Zeremonien.
Viele der Aufnahmen, die im diktatorisch regierten Haiti [4][unter
Präsident Jean-Claude Baby Doc Duvalier] entstanden, veröffentlichte Mau
in deutschen Zeitschriften und Reisereportagen. Es sind häufig
klischeehafte, exotisierende Bilder. Einige Aufnahmen zeigen rituelle
Handlungen, etwa aus dem Voudou-Kult, und waren eigentlich nicht für die
Öffentlichkeit bestimmt. Die betreffenden Bilder werden in der Münchner
Schau nicht gezeigt, vielmehr wurden sie vor der Ausstellungseröffnung auf
Wasser projiziert, das – auf diese Art „aufgeladen“ – in Keramikgefäße
gefüllt wurde.
Die vermeintliche Aura der Bilder residiert nun still und verborgen im
Ausstellungsraum. Ihre Behältnisse haben die Form von Tieren: fantastische
Wesen, freundliche Monster und Exzentrisch-Kreatürliches aller Art stapeln
sich in einem säulenförmigen, gläsernen Regal im hinteren Teil der
Ausstellung in die Höhe, recken sich durch die Zeltdecke in die
vermeintliche Unendlichkeit darüber empor.
## Klassische Fragen der Bildtheorie
Wem gehört das Bild? Wer sind die Menschen? Wie materialisiert sich
gesellschaftliche Hierarchien? Subjektivität? Vermeintliche Wahrheit? Was
reproduziert die Reproduktion? In „Out of Focus“ setzt sich das
Genius-kritische Künstler:innenkollektiv U5 mit den klassischen
Fragen der Bildtheorie auseinander und verfolgt dabei durchaus interessante
und experimentelle Ansätze.
Die wortwörtlich verflüssigten Fotografien verschwimmen für die
Betrachtenden zu einer lebhaft-berauschenden Meditation. Sie hinterlassen
Eindruck, ohne sich tatsächlich als konkrete Bildschablonen in der
Erinnerung zu materialisieren, während die begleitende, umfangreich
recherchierte Publikation von Dora Imhof, Gina Athena Ulysse und U5 (auf
Deutsch und Haiti-Kreolisch) die vielen Ebenen vorsichtig und klug
auseinanderpult.
Nur die Ausstellungsarchitektur wirkt überfrachtet. Ein Zelt als stereotype
Metapher des Kollektiven, Spärlichen, flüchtigen oder den
Wasser-Himmel-blauen Teppichboden hätte die Schau im Lenbachhaus nicht
gebraucht.
5 Dec 2025
## LINKS
(DIR) [1] /Surrealismus-und-Antifaschismus/!6041584
(DIR) [2] /Videokunst-von-Francis-Als-in-Koeln/!6078266
(DIR) [3] /Berliner-Ausstellung-zu-Hubert-Fichte/!5635300
(DIR) [4] /Geschichte-Haitis-in-einem-Brennglas/!6100948
## AUTOREN
(DIR) Hilka Dirks
## TAGS
(DIR) Schwerpunkt Kunst und Kolonialismus
(DIR) Künstlerische Forschung
(DIR) Kunst
(DIR) München
(DIR) Kollektiv
(DIR) Fotografie
(DIR) Hubert Fichte
(DIR) Haiti
(DIR) Karibik
(DIR) Theater
(DIR) Haiti
(DIR) Briefe
## ARTIKEL ZUM THEMA
(DIR) Uraufführung an Münchner Kammerspielen: Fütterung der Affen von der falschen Seite des Käfigs
Zu abgestumpft ist das Gemüt 2025: In München kam „2x241 Titel besser als
Martin Kippenberger“ des Kollektivs Frankfurter Hauptschule zur Aufführung.
(DIR) Geschichte Haitis in einem Brennglas: Die letzte Oase des Friedens
Brandstiftung zerstörte das Hotel Oloffson in Haitis Hauptstadt
Port-au-Prince. Es stand für die kulturelle Identität des Landes und für
Demokratie.
(DIR) Briefe Hubert Fichtes und Peter Ladiges': Eine ethnopoetische Freundschaft
Vom Schriftsteller Hubert Fichte und dem Hörspielregisseur Peter Michel
Ladiges sind unveröffentlichte Briefe erschienen. Sie erhellen ihre
Beziehung.