# taz.de -- Der Hausbesuch: Wächter der Wunderkammer
       
       > Wenn man sich aus dem Schatten des Vaters herausbewegt, kann der Schatten
       > auch Weggefährte sein, meint August Ohm. Wir haben ihn in Hamburg
       > besucht.
       
 (IMG) Bild: „Ich kann nicht Nein sagen, wenn ich etwas Schönes sehe“, sagt August Ohm
       
       Es gibt Leute, die machen immer weiter. Wie der 82-jährige August Ohm. „Ich
       bin in der privilegierten Situation, dass ich mich mit Dingen beschäftigen
       kann, die mir wichtig sind“, sagt er.
       
       Draußen: Hamburg-Ohlsdorf, unweit der [1][Justizvollzugsanstalt
       Fuhlsbüttel], einem Backsteingebäude. Drumherum Wohnhäuser und
       Gewerbebauten, ohne dass die eine Architektur krass kontrastiert mit der
       anderen. Dazwischen viel Grün und ein paar Villen. In einer wohnt und
       arbeitet August Ohm. Früher nannte man so eine Villa „Landhaus“, erzählt
       er, weil es damals am Stadtrand lag. Im Vorgarten steht eine große, weich
       geschwungene Skulptur von Wilhelm Ohm, dem Vater des jetzigen Hausherren.
       
       Drinnen: Jedes Ding im Haus hat Geschichte. Die Bilder, die Skulpturen, die
       Möbel, der Nippes. Auch der Teller, auf dem ein Himbeerkuchen von so
       leuchtendem, knalligem Rot serviert wird, dass er ein Kunstwerk ist. Jedes
       Ding im Haus ist schön. Eines herauszunehmen und zu beschreiben, schafft
       für August Ohm ein Ungleichgewicht. Das Haus beherbergt [2][seine
       eigenwillige Kunstsammlung] wie auch die Sammlung historischer Kostüme, das
       älteste aus dem 16. Jahrhundert. Außerdem ist es der Ort, wo Bilder von ihm
       und seinem Vater Wilhelm Ohm hängen, laut Kunsthistorikern ein
       „expressionistischer Realist“.
       
       Das Haus: Dass August Ohm hier wohnt, ist eine Hommage an seinen Vater, der
       1965 starb. Da war der Sohn 22. „Mein Vater hatte eine Marotte“, erzählt
       er. „Wenn ihm ein Haus gefiel, hat er an der Tür geklingelt und gefragt, ob
       es zu verkaufen sei. Mir war das unendlich peinlich, wenn ich dabei war.“
       Beim Haus, wo er jetzt wohnt, war es genau so. Aber es war unverkäuflich.
       Nach dem Tod des Vaters sei der Sohn wieder an dem Haus vorbeigegangen.
       Jetzt stand es zum Verkauf. Er klingelte. Leider war es zu teuer. Ein paar
       Monate später hing neuerlich ein Schild am Tor, dass es zu haben sei. Er
       klingelte wieder. Die zwei alten Besitzerinnen erzählten, sie hätten in
       letzter Sekunde erfahren, dass der vorherige Käufer ein Bordell im Haus
       einrichten wollte, da hätten sie die Verkaufsabsicht storniert. „Dann sind
       uns Künstler lieber“, sagten sie und reduzierten den Preis.
       
       Die Wunderkammern: Zwei Räume im Haus [3][sind Wunderkammern.] Sie sind
       vollgestopft mit Kunstwerken und Trivia aus verschiedenen Epochen. Ein
       Cranach neben griechischen Skulpturen, Prozessionspuppen neben Geschirr,
       eine 5.000 Jahre alte Kykladenfigur neben Deko, die in europäischen
       Adelshöfen stand. Man kann sich das Sammelsurium nicht durcheinander genug
       vorstellen. Unmöglich fürs Auge, Halt zu finden. Nicht so für August Ohm –
       in seiner Wahrnehmung ist alles am richtigen Platz. Wunderkammern seien die
       ersten Museen gewesen, erklärt er, sie entstanden in der Spätrenaissance.
       Da wurden die unterschiedlichsten Objekte zusammen gezeigt. Nichts war
       ausdifferenziert wie in der Museumslandschaft von heute. „Für uns Heutige
       ist es befremdlich“, meint Ohm angesichts der über- und nebeneinander
       gestapelten Schätze, „aber es kommt den Sammlungen, wie sie vor 500 Jahren
       waren, sehr nahe“. Für dieses Durcheinander entschied sich August Ohm. „Es
       macht mich glücklich, in einer Sammlung zu leben.“ Die Wunderkammern sind
       August Ohms Gedächtnis der schönen Dinge. „Weil ich nicht Nein sagen kann,
       wenn ich etwas Schönes sehe.“
       
       Der Krieg: Seine Sammlung ist auch die Antithese zum Nichtshaben. Er kam
       1943 in Berlin zur Welt, mitten im Krieg. Ein jüdischer Kinderarzt habe
       seiner Mutter bei der Geburt geholfen. Dreimal seien seine Eltern
       ausgebombt worden. „Es ist so viel verloren gegangen.“ Daher rühre sein
       Interesse an den Dingen und der Fülle. Die Sammlung sei eine Hommage an
       seine Eltern, die nichts mehr hatten. Wobei der Verlust an Dingen nicht ins
       Verhältnis gesetzt werden dürfe zum Verlust an Menschen. „Jeder Krieg ist
       ein Monster“, sagt er. Seine Großmutter väterlicherseits sei im Ersten
       Weltkrieg verhungert.
       
       Die Geister scheiden sich: Es gibt aber noch einen weiteren Grund für die
       Wunderkammern in seinem Haus. Es ist August Ohms einzige Rebellion gegen
       seinen Vater, für den er ansonsten alles tut. Denn sein Vater war gegen das
       Sammeln. Es lenke ihn ab, soll er gesagt haben. August Ohms Tochter
       übrigens will auch nichts mit dem ganzen Krempel zu tun haben. „Bloß nichts
       mit Kultur“, soll sie gesagt haben und ist Juristin geworden.
       
       Der Vater: Ohms Vater Wilhelm, 1905 geboren, hatte Kunst, Bildhauerei und
       Architektur studiert. Er war der Ansicht, dass Künstler diese drei Fächer
       beherrschen müssten wie einst Michelangelo. Dass der Weg von Ohms Vater
       allerdings nicht gradlinig ins Künstlerdasein führte, hat mit der
       Weltwirtschaftskrise, mit Naziideologie und Nazikultur, mit Faschismus und
       Krieg zu tun. Das hat klare Lebenswege für die meisten verunmöglicht. Der
       Vater sei der Naziideologie nicht verfangen, aber im Widerstand sei er auch
       nicht gewesen. „Mein Vater hat es immer bedauert, dass er nicht emigriert
       ist. Mir gefiel das nie, was für romantische Vorstellungen von Emigration
       er hatte.“
       
       Nach dem Krieg: 1950 wurde der Vater Direktor der Ingenieurschule für
       Bauwesen in Hamburg. „Aber eigentlich wollte er Künstler sein“, sagt der
       Sohn. „Wenn er malte, war er innerlich frei.“ Dass der Vater sich die Zeit
       stahl für seine Kunst, ist an den Bildern zu sehen. Wie er grob die Farbe
       aufs Papier setzt, wie er mit schnellen Strichen das Wesentliche einfängt,
       alle Zwänge abwerfend, sich um nichts scherend, zeichnet ihn aus. „Manchmal
       hat mein Vater, wenn er ein Bild verkaufte, noch ‚stopp‘ gerufen, ‚da fehlt
       ein Strich‘, und kam mit dem Pinsel daher.“
       
       Der Unterschied: Ohne August Ohm wäre sein Vater, der Künstler Wilhelm Ohm,
       heute vermutlich nur wenig bekannt. So aber tut der Sohn alles, damit das
       Werk des Vaters der Öffentlichkeit zugänglich bleibt. Er sammelt,
       katalogisiert, organisiert Ausstellungen. Er kann es, denn anders als sein
       Vater konnte er das tun, was er tun will. „Mein Vater wollte immer
       ausbrechen. Ich musste nicht ausbrechen, ich hatte alle Freiheiten.“
       Trotzdem, sich aus dem Schatten des Vaters herauszuarbeiten, sei eine
       Lebensaufgabe.
       
       Der Weg: Die frühen Jahre verbrachte August Ohm in Schleswig-Holstein. Er
       erinnert sich vor allem daran, dass er den Weg zum Wasser zu weit fand.
       1950 zog die Familie dann nach Hamburg, wo er Abitur machte. Er wollte in
       die Fußstapfen des Vaters treten und Kunst studieren, aber der verlangte,
       dass er zuerst ein Handwerk lerne. Deshalb ging August Ohm an die
       Werkkunstschule und lernte Bühnenbild. Das unterrichtete er später auch,
       arbeitete am Theater und studierte noch Kunstgeschichte, Volks- und
       Altertumsgeschichte. „Alles gleichzeitig.“ Irgendwann habe er keine Lust
       mehr gehabt, für andere zu arbeiten und wurde Künstler. „In den 1980er
       Jahren konnte man sich als freier Künstler gut über Wasser halten.“ Heute
       wäre das so gar nicht mehr möglich.
       
       Sein eigener Herr: Allerdings wäre es ihm nie in den Sinn gekommen, mit
       einem Galeristen zusammenzuarbeiten. Er löste es, indem er sein eigener
       Galerist wurde. Nicht nur in Hamburg, auch in Florenz. „Ich hab bei mir
       ausgestellt. Ich war gut situiert als Künstler.“ Sein Stil ist eher
       analytisch. Er arbeite viel mit künstlerischer Erinnerung oder lasse sich
       von Dingen inspirieren: von etruskischen Händen etwa, alten Fresken und
       griechischen Friesen. Oder von Steinen, Muscheln, verspiegelten Fenstern,
       Türen. „Wohin führen die?“ Sie führen direkt in die Fantasie. Landschaften
       am Meer male er auch gerne.
       
       Einzelgänger: Er brauche seine Unabhängigkeit. Projekte, die ihn binden,
       machen ihn verrückt, meint er. „Es wäre für mich eine Zumutung, meinen
       Lebensrhythmus von anderen abhängig zu machen.“ Eines der Projekte, das ihn
       verrückt gemacht hat, war die Beziehung zur Mutter seiner Tochter. „Ich
       ergänze mich nicht.“ Er bezeichnet sich als Einzelgänger. Ob ihn sein Vater
       dann nicht auch verrückt macht? Er verneint. Die einzige Person, die er
       ständig in seiner Nähe ertrage, sei sein Vater. Ob das so sei, weil der
       abwesend ist? „Ja.“ Und wie war es mit seiner Mutter? Es stellt sich
       heraus, sie, die gerne Tänzerin geworden wäre, hat auf einen eigenen
       Berufsweg verzichtet und den Männern in ihrer Familie den Rücken frei
       gehalten. Erst dem Mann, dann dem Sohn. „Ich wusste nicht mal, wie man eine
       Überweisung macht.“ Ob die Mutter eine klassische Frauenrolle gelebt hat?
       „Diese Vorstellung von ‚klassisch‘ ist mir jetzt fremd“, antwortet er.
       
       Antrieb: Sammler treibt um, was mit ihrer Sammlung geschieht nach dem Tod.
       Auch August Ohm. Er hat eine Stiftung gegründet. Und er hat einen Plan: Die
       Exponate der Wunderkammern werden Einzug halten in Schloss Rochsburg in
       Sachsen und dieses nach der Restaurierung verschönern. Auch die Werke von
       ihm und seinem Vater werden dort gezeigt. Seit das klar ist, könne er
       gelassener weiterarbeiten. Ausstellungen organisieren, sammeln, ordnen,
       malen. „Ich will nicht aufhören. Warum sollte ich?“
       
       22 Nov 2025
       
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