# taz.de -- Orthodoxe gegen Liberale in Hamburg: Ringen ums jüdische Erbe
       
       > Die orthodoxe Jüdische Gemeinde Hamburg wollte der liberalen Gemeinde ihr
       > Namensrecht streitig machen. Damit ist sie vor dem Landgericht
       > gescheitert.
       
 (IMG) Bild: Entwurf der Bornplatzsynagoge im Grindel-Viertel: Dort soll die ehemals größte Synagoge Norddeutschlands wieder aufgebaut werden
       
       Die Liberale Jüdische Gemeinde in Hamburg (LGH) hat im Kampf um ihre
       Gleichberechtigung einen Etappensieg errungen. Einem Urteil des Hamburger
       Landgerichts zufolge darf sie sich weiterhin Israelitischer Tempelverband
       nennen und damit an eine 200-jährige Tradition anknüpfen.
       
       Neben der Liberalen Jüdischen Gemeinde in Hamburg, die sich seit 2022 auch
       Israelitischer Tempelverband zu Hamburg nennt, gibt es die Jüdische
       Gemeinde in Hamburg (JGH), die orthodox dominiert ist. Letztere ist mit
       rund 2.300 Mitgliedern gegenüber etwa 250 Mitgliedern deutlich größer. Sie
       wurde als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt und ist Partner
       eines Staatsvertrages, wie ihn der Senat mit einigen
       Religionsgemeinschaften abgeschlossen hat. Diesen Status möchte auch der
       Tempelverband.
       
       [1][Bei dem Rechtsstreit geht es letztlich darum], welche der beiden
       Gemeinden das Erbe des Vorkriegsjudentums in Hamburg antreten kann. Die
       Jüdische Gemeinde verklagte die liberale Gemeinde, weil diese sich den
       Namen Israelitischer Tempelverband zu eigen machte und damit die
       Rechtsnachfolge des Israelitischen Tempelvereins von 1817 beansprucht.
       Zugleich wehrte sich die JGH gegen die Behauptung des Tempelverbandes, sie
       sei nicht Rechtsnachfolgerin der Deutsch-Israelitischen Gemeinde der
       Vorkriegszeit.
       
       Das Hamburger Landgericht wies beide Teile der Klage ab, weil es sich bei
       den Äußerungen des Tempelverbandes nicht um Tatsachenbehauptungen, sondern
       lediglich um Meinungsäußerungen handele. Das werde schon dadurch
       ersichtlich, dass zu diesen Fragen umfangreiche Rechtsgutachten erstellt
       worden seien. Darauf gestützt hatte es etwa der Hamburger Senat abgelehnt,
       den Tempelverband als „altkorporierte Körperschaft“ anzuerkennen – also als
       eine, die schon vor 1945 existierte.
       
       ## Zwei Juristen, drei Meinungen
       
       Ob die Klägerin oder der Tempelverband Rechtsnachfolger des Israelitischen
       Tempelverbandes sind, sei „eine höchst schwierig zu beantwortende
       Rechtsfrage“, urteilte das Gericht. Rechtsauffassungen genössen aber den
       Schutz der Meinungsfreiheit, auch dann, wenn sie einer Beurteilung durch
       Dritte nicht standhielten. „Selbst törichte Meinungsäußerungen sind
       geschützt“, stellte das Gericht fest.
       
       Die JGH steht noch im Begriff, sich einen Reim auf das Urteil zu machen.
       Für den Tempelverband ergibt sich aus dem Urteil, dass der Staat nicht
       bestimmen kann, wer im 21. Jahrhundert [2][Rechtsnachfolger der
       historischen jüdischen Gemeinden] ist. „Es gibt keine feststellbare
       Tatsache, keinen amtlichen historischen Befund, sondern konkurrierende
       legitime Traditionen“, stellt Eike Steinig, der stellvertretende
       Vorsitzende des Tempelverbandes, fest. Mit dem Urteil sei der Versuch, ein
       Deutungsmonopol juristisch zu erzwingen, erledigt, so Steinig.
       
       Neben der Anerkennung als „altkorporierte Körperschaft“ und dem Abschluss
       eines Staatsvertrages fordert der Tempelverband vom Senat auch, die
       historische Synagoge des Tempelvereins in der Poolstraße
       wiederherzustellen. Dort war 1844 die erste zu diesem Zweck errichtete
       Reformsynagoge der Welt entstanden. „Dieser Ort ist ein unersetzliches
       Erbe, das die Stadt Hamburg erhalten und aktiv fördern muss“, schrieb die
       Weltvereinigung des progressiven Judentums im Februar dem Senat.
       
       Der Tempelverein hatte diese Synagoge allerdings Anfang der 1930er Jahre
       zugunsten eines Neubaus aufgegeben. Im Zweiten Weltkrieg fiel eine Bombe in
       das Gebäude, sodass nur noch der Teil mit der Apsis und das Portal stehen.
       2020 kaufte die Stadt das Grundstück, um das Kulturdenkmal zu erhalten und
       für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Mithilfe eines vor Ort
       ablesbaren [3][QR-Codes können sich Besucher die unter Denkmalschutz
       gestellte Ruine erschließen].
       
       2020 kaufte die Stadt das Grundstück, um die Ruine dauerhaft zu sichern und
       für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Hierfür hat der Senat ein
       Beteiligungsverfahren gestartet, „um die adäquate Nutzung für alle
       Interessensgruppen zu ermöglichen“. Die unter Denkmalschutz stehenden Reste
       sollen „mit einer Zukunftsperspektive entwickelt werden und als jüdisches
       Kulturdenkmal und Erinnerungsort erhalten bleiben“.
       
       Der Senat hat dafür einen Workshop mit Vertretern der Stadt,
       Immobilienentwicklern, der Wissenschaft, des Denkmalschutzes, des Vereins
       Tempelforum und auch einem Vertreter des Tempelverbandes initiiert. Ziel
       sei es, einen „lebendigen Ort der Begegnung mit Information über die
       Geschichte auf multifunktionaler Fläche“ zu schaffen, die durch jüdische
       und lokale Akteure bespielt werden soll.
       
       Dem Tempelverband reicht das nicht. Er fordert eine Restitution des
       Grundstücks, die zwar nicht rechtlich, wohl aber politisch-moralisch
       geboten sei. Das gilt aus Sicht des Tempelverbands umso mehr, als der Senat
       [4][der Jüdischen Gemeinde Hamburg] ein Grundstück am Bornplatz
       zurückgegeben hat. Dort soll [5][die ehemals größte Synagoge
       Norddeutschlands wieder aufgebaut werden], inklusive eines neuen Flügelbaus
       für das reformierte Judentum. Dort einzuziehen, kann sich der
       [6][Tempelverband allerdings nicht vorstellen].
       
       28 Nov 2025
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [6] https://www.itvhh.org/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gernot Knödler
       
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