# taz.de -- Gefährdete Ateliers in Berlin: Was einmal weg ist, ist weg
       
       > Ohne Räume kann keine Kunst entstehen. In Berlin ist fast jedes dritte
       > geförderte Atelier gefährdet. Fatal ist das nicht nur für die
       > Künstler:innen.
       
 (IMG) Bild: Ein gefährdetes Atelierhaus in einer ehemaligen Berliner Schokoladenfabrik
       
       Leicht könnte man das weiße Porzellanschild übersehen. Es hängt außen an
       der Fassade eines Gründerzeitbaus am Kurfürstendamm in
       Berlin-Charlottenburg über und neben solchen, die auf Anwaltskanzleien und
       Real-Estate-Firmen hinweisen. Die Berliner Gedenktafel erinnert an das, was
       in dem Gebäude der Hausnummer 29 vor sich ging, lange bevor jene Büros
       eröffneten: „Hier – im IV. Stock des Hinterhauses lebte und arbeitete in
       ihrem Atelier von 1919 bis 1976 [1][die Malerin und Grafikerin Jeanne
       Mammen]“, ist darauf zu lesen.
       
       Eingezogen ist Mammen damals zunächst gemeinsam mit ihrer ebenfalls
       künstlerisch arbeitenden Schwester Mimi: „Der Wirt hat gedacht, Künstler
       brauchen nix. Die leben von Luft und Wasser“, erinnerte sie sich Jahre
       später an die erste Zeit. Vieles blieb spartanisch. Bis zum Schluss wurde
       kein Bad eingebaut, das WC befindet sich noch immer auf halber Treppe
       außerhalb des Ateliers.
       
       Wie sich die Malerin mit den Jahren ihren Wohn- und Arbeitsraum
       einrichtete, kann man heute besichtigen. Freund:innen Mammens hatten sich
       nach deren Tod entschlossen, diesen zu bewahren, mittlerweile kümmert sich
       das Stadtmuseum Berlin darum. [2][Auch online kann man sich durch die Räume
       bewegen]. Sie wirken, als wäre die Künstlerin gerade noch dagewesen. In
       ihrer „Zauberbude“. So bezeichnete Mammen selbst ihr Atelier.
       
       Dass es sich bei Ateliers um ebensolche, um magische Orte handelt, wusste
       man schon in der Renaissancezeit, nachzulesen in Giorgio Vasaris „Vite“
       über die großen Künstler seiner Zeit. Je nach Praxis gleichen manche auch
       Hexenküchen oder wissenschaftlichen Labors – deren Ähnlichkeit hat die
       Berliner Fotografin Stefanie Bürkle vor ein paar Jahren mit der Kamera
       untersucht. Ihr hübscher Bildband „Atelier + Labor. Werkstätten des
       Wissens“ ist 2019 bei Hatje Cantz erschienen.
       
       Nicht nur Arbeits-, sondern auch Denkräume, Keimzellen kreativem Schaffens
       und Spiegel des künstlerischen Selbstverständnisses sind sie immer.
       Keinesfalls vergleichbar mit einer Werkstatt, auch wenn mitunter ähnliche
       Techniken Anwendung finden. Unersetzbar sind sie. Betonen muss man das,
       weil der Berliner Senat das nicht zu wissen scheint. So wie es aktuell
       aussieht, könnte Berlin, wo die große Mehrheit aller in Deutschland
       lebenden Künstler*innen zu Hause ist, fast ein Drittel seiner
       geförderten Ateliers verlieren.
       
       Künstler:innen haben es auf dem Mietmarkt schwerer als andere
       Berufsgruppen. Wer Kunst macht, geht zunächst in Vorleistung, Geld fließt –
       wenn überhaupt – erst viel später, nachdem die Arbeiten ausgestellt wurden.
       Verdient wird ohnehin meist wenig. Ein Atelier ist notwendig, verursacht
       aber auch Kosten. [3][Das Atelierprogramm des Senats] entstand in den
       1990ern, als kurz nach der Wende die Mietpreise explodierten. Dass sich die
       Situation weiter verschärft hat, ist kein Geheimnis.
       
       Als verheerend bezeichnet Julia Brodauf, Atelierbeauftragte für Berlin und
       Co-Leiterin des Atelierbüros im Kulturwerk des bbk berlin, die
       Einkommenssituation der Künstler:innen. Für das Gros von ihnen seien die
       Quadratmeterpreise auf dem freien Markt unbezahlbar. 18 bis 36 Euro koste
       der Quadratmeter im Durchschnitt, je nachdem, wo in der Stadt. Im
       Atelierprogramm zahlen die Künstler:innen stattdessen einen Festpreis,
       je nach Einkommen 4,90 Euro oder 6,50 Euro pro Quadratmeter. Die Differenz
       übernimmt das Land Berlin.
       
       Noch. Für die Jahre 2024 und 2025 wurden die Mittel für die
       Atelierförderung drastisch gekürzt: Die Gelder für den Ausbau von
       Arbeitsräumen sanken um fast 85 Prozent von 21,35 Millionen auf 3,225
       Millionen Euro. Eine Akquise neuer Räume macht das quasi unmöglich. Für die
       Bestandssicherung wurden 5,4 Millionen Euro von 24,173 Millionen Euro
       gestrichen. Im Dezember wird der Doppelhaushalt 2026/2027 beschlossen, für
       die Kultur sollen dabei jährlich 110 Millionen Euro eingespart werden.
       Weitere Kürzungen im Bereich der Arbeitsräume sind zu erwarten.
       
       ## Sogenannte Verpflichtungsermächtigungen
       
       Dass gleich eine Reihe bestehender Atelierhäuser akut gefährdet sind, liegt
       noch an etwas anderem: Gelder liegen wegen geplanter und ausstehender
       Kürzungen auf Eis. Um Mietverträge mit privaten Eigentümer:innen zu
       verlängern, müssten sogenannte Verpflichtungsermächtigungen entsperrt
       werden, um eine Anmietung über die Haushaltsjahre hinaus zu ermöglichen.
       „Verwaltungsvorgänge, die ohnehin sehr langwierig und komplex sind, werden
       einfach unterbrochen“, erklärt Brodauf. Und als Mietpartner mache sich das
       Arbeitsraum-Programm gegenüber Vermietern unseriös. Die ersten Mietverträge
       laufen Ende des Jahres aus. Insgesamt enden sie für 368 von 1.020 Ateliers
       bis Ende 2027.
       
       Eher würde sie ihre Wohnung aufgeben als ihr Atelier, sagt [4][Hannah
       Sophie Dunkelberg]. Sie steht inmitten ihres Studios in Berlin Tempelhof.
       In dem Gebäude in der Teilestraße produzierte Sarotti 90 Jahre lang, bis
       zum Jahr 2003 Schokolade, bis zu 300.000 Tafeln täglich. Danach stand es
       eine Weile leer, seit 2020 ist die dritte Etage mit 36 Ateliers und 4
       Projekträumen belegt. 44 professionell arbeitende Künstler:innen sind
       dort tätig. Es ist der größte Standort unter den gefährdeten.
       
       Dunkelberg hat 124 Quadratmeter angemietet und die braucht sie auch. Für
       die Lagerung von Materialien, von Metallen, Kunststoffen, Holz, Farben und
       Lacken, von ihrer Schweißmaschine, großem und kleinem Werkzeug, für fertige
       Werke und für die Arbeit an neuen, zum experimentieren. „Genau das ist ja
       das Gute an einem Atelier“, sagt sie: „Ich kann Sachen einfach stehen
       lassen und dann wieder rangehen. Anderes rauskramen, ganzheitlich
       nachdenken.“
       
       Dunkelberg ist Bildhauerin, aktuell ist sie in einer Gruppenausstellung im
       Casino Luxembourg vertreten. Eine der größten Arbeiten, die in ihrem
       Atelier entstanden sind, begrüßt einen, wenn man hereinkommt, von links:
       eine monumentale, lebensgroße Pferdeskulptur, gefertigt aber nicht aus
       Metall oder Stein, sondern aus sprödem Styropor. Sie gibt sich heroisch,
       ist aber ziemlich fragil. Solche Gegensätze sind typisch für Dunkelbergs
       Kunst.
       
       In der Teilestraße arbeiten viele, die wie sie viel Platz benötigen. Das
       Künstlerinnenduo Fort zum Beispiel, das in diesem Jahr seine oft
       [5][raumeinnehmenden Installationen in der Weserburg in Bremen] gezeigt
       hat. Oder [6][Malte Bartsch], der sich wie Dunkelberg gezielt für das Haus
       in der Teilestraße beworben hat, weil er, der bildhauerisch, installativ
       und mit Video arbeitet, auf genau so ein Angebot gewartet hatte. Nicht nur
       mit ausreichend Fläche, sondern „einer großen doppelten Flügeltür und einem
       Fahrstuhl, bei dem man Europaletten und auch mal ein bisschen mehr Zement
       auf einmal hochfahren kann“.
       
       ## Bittersüße Ausstellung
       
       Im August erst hatten die Künstler:innen aus der Teilestraße davon
       gehört, dass ihre Ateliers gefährdet sind. Ende August 2027 läuft der
       Hauptmietvertrag aus. Weit entfernt hört es sich noch an, doch die
       Entscheidung, ob es weitergeht oder nicht, wird jetzt getroffen. Die
       Künstler:innen hängen in der Luft. In der vergangenen Woche habe sie
       eine Ausstellung organisiert, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen.
       „Bitter Sweet“ lautete ihr Titel. Bittersüß nicht nur wie die Schokolade,
       die einmal in der Teilestraße hergestellt wurde. Passend zum Thema, dem gar
       nicht mal so lieben Geld, hat Malte Bartsch dort eine Installation
       aufgebaut, die aussieht wie die Leuchtbox eines EC-Automaten.
       
       Farkhondeh Shahroudi wird, wenn sich nichts mehr ändern sollte, noch vor
       Dunkelberg und Bartsch ihre Sachen zusammenpacken müssen. Sie arbeitet in
       einem Atelierhaus in der Tromsöer Straße in Berlin-Gesundbrunnen. 2017 ist
       sie dort eingezogen. Erst in den zweiten Stock, dann in den dritten. Ihr
       aktuelles Atelier umfasst rund 40 Quadratmeter.
       
       Der Mietvertrag des Hauses läuft am 28. Februar aus. Eigentlich wollte
       Shahroudi dann gerade erst aus Paris wiederkommen, wo sie momentan ein
       Residenzprogramm absolviert. Aber: „Wie soll das gehen?“ Große Sorgen mache
       sie sich. „Ich habe das Geld nicht, auf dem Markt ein Atelier zu mieten.
       Das kann ich nicht finanzieren.“ Allein ein Umzug verursacht Kosten oder
       die Einlagerung von Material und Kunstwerken.
       
       [7][Farkhondeh Shahroudi], geboren 1962 in Teheran, lebt seit 2001 in
       Berlin. Auch sie arbeitet oft großformatig. Stoffe, Teppiche, Haare verwebt
       und verbaut sie zu Skulpturen und Installationen, verbunden mit Poesie.
       2022 wurde sie mit dem [8][Hannah-Höch-Förderpreis] ausgezeichnet.
       
       ## Langfristig trifft es ganz Berlin ökonomisch
       
       „Arbeiten“, sagt sie, „ist für mich existenziell. Ein Leben ohne Atelier
       kann ich mir nicht vorstellen.“ Für sie selbst sei das keine Option, von
       Jüngeren habe sie aber gehört, dass diese überlegten, die Stadt zu
       verlassen. Fatal ist das nicht nur für die Künstler:innen. Langfristig
       trifft es ganz Berlin ökonomisch, ist es doch gerade die noch reiche Kunst-
       und Kulturlandschaft, die Besucher:innen anzieht.
       
       Am 14. November treffen sich die Künstler:innen der Atelierhäuser vor
       dem Abgeordnetenhaus, wo dann die zweite Lesung des Kulturhaushalts im
       Hauptausschuss stattfindet. Als Symbol für ihre Kundgebung haben sie sich
       für eine Schere entschieden: „Cut the Cuts“ – „Kürzt die Kürzungen“ lautet
       die Forderung.
       
       13 Nov 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Die-Berliner-Kuenstlerin-Jeanne-Mammen/!5451138
 (DIR) [2] https://www.stadtmuseum.de/story/das-atelier-von-jeanne-mammen
 (DIR) [3] /KuenstlerInnen-bangen-um-Atelierraeume/!6117593
 (DIR) [4] /Ausstellungsempfehlung-fuer-Berlin/!5666217
 (DIR) [5] /Liebessymbole-im-Museum/!6082556
 (DIR) [6] /Ausstellung-ueber-Feuerwerkskunst/!6053086
 (DIR) [7] /Iranische-Kuenstlerin-Farkhondeh-Shahroudi/!5921056
 (DIR) [8] /Ausstellung-von-Farkondeh-Shahroudi/!5890610
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Beate Scheder
       
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