# taz.de -- Der Hausbesuch: Keine Angst vor Sinnlichkeit
> Gero Fallisch stellt Seifen für Männer her, die besondere Düfte
> wertschätzen können. Maskulinität ist für ihn eine Frage der Haltung.
(IMG) Bild: Der 43-Jährige in seinem Zuhause in Berlin-Friedrichshain. In der Wohnung riecht es nach ätherischen Ölen
Manche Leute stellen sich vor, wie etwas schmeckt, und kochen dann ein
Gericht. Gero Fallisch stellt sich vor, wie etwas riecht, und siedet dann
Seifen.
Draußen: Eine Seitenstraße nahe dem Frankfurter Tor in
Berlin-Friedrichshain. Um die Ecke ein Spielplatz, auf dem Kinder toben,
daneben eine Wiese, auf der Hunde frei herumlaufen. Vor den Altbauten der
Jahrhundertwende blühen jetzt im Herbst noch Blumen in den Rabatten. Auch
vor der mennonitischen Kirche neben Gero Fallischs Wohnhaus steht die
Kapuzinerkresse in voller Blüte. Es riecht nach Gegrilltem an diesem
sonnigen Sonntag. An einer Wand steht ein Graffito: „Nicht einsam, aber
gerne allein.“
Drinnen: Gerne allein, das ist Gero Fallisch auch. Dann sitzt er am
liebsten auf dem Balkon, der auf die ruhige Seitenstraße geht. Auf dem
Balkontisch stehen ein Aschenbecher und ein Windrad, das die Tauben
vertreibt, die versuchen, in seinen Pflanzen zu nisten. Im Wohnzimmer
erinnert das dunkle Türkis der Wände an die Farbe einer Seife, die Fallisch
herstellt, eine, die nach Rosmarin, Veilchen und Tabak riecht und den Namen
„Berlin 63“ trägt. Die „63“ soll an die Rede John F. Kennedys erinnern, als
er Berlin besuchte und seinen berühmten Satz „Ich bin ein Berliner“ sagte.
Oben auf dem Küchenschrank stehen die Utensilien fürs Seifensieden: Töpfe,
kleine Kanister und Gläser. Daneben eine Reihe halb leerer Alkoholflaschen:
Rum, Gin, Aperol.
Flaschen: Es soll kein falscher Eindruck entstehen, die Spirituosen gehören
zum Handwerk. Als er begann, Seifen zu sieden, bekam er Lust, auch mit
Gewürzen und Getränken zu experimentieren, er mischte Alkoholika mit
Wohlduftendem wie Lorbeer, Bergamotte, Kardamom. Die Seife verkauft er
mittlerweile – die Cocktails aber werden von ihm und seinen Freund*innen
verkostet. In der Wohnung riecht es nach ätherischen Ölen.
Erinnerungen: Der Duft der Apfel-Rosen, die oft in den Dünen am Meer
blühen, ist Gero Fallisch am liebsten. Sobald er diese Blüten riecht, wird
er nach Ostfriesland zurückversetzt, wo er in seiner Kindheit regelmäßig
die Großeltern besuchte. Als er Anfang 30 war, sein Großvater tot, seine
Großmutter in einem Pflegeheim, war er wieder einmal dort und konnte diesen
Geruch erneut wahrnehmen. „Ich war beeindruckt, wie viele Erinnerungen
dadurch hochkamen“, sagt er. Welche? Nichts Konkretes, das Vertraute eben,
„das hat mich berührt“. Und dann gibt es noch den Duft von Vanille, der ihn
an seine erste Liebe erinnert. „Ich war 14, aber wenn ich heute die Augen
schließe und daran denke, ist es, als sei die Zeit stehen geblieben.“
Versprechungen: „Wie ein klarer Morgen an der Atlantikküste – frisch,
aromatisch, mit einem rauchigen Hauch von edlem Holz“, lautet die
Beschreibung einer seiner Seifen. „Es ist ein bisschen wie bei
Wein-Etiketten: eine Sehnsucht, ein Versprechen, das Menschen mit kaufen.“
Er liebt diese kleinen Definitionen, sie seien wie Poesie. Und Magie.
Bilder tauchen vor dem inneren Auge auf, plötzlich sind Gefühle da.
Alles fängt im Kopf an: Was Fallisch auch mag: sich mit neuen Duft- und
Farbkombinationen für seine Seifen zu beschäftigen. Das unterscheide sich
nicht so sehr von seiner Arbeit als Web- und App-Designer. Bei beiden fängt
alles im Kopf an, sagt er. Er überlegt, welche Düfte zusammenpassen, welche
Person sie tragen würde, und dann kommt sein Lieblingsmoment: „Da nehme ich
die ätherischen Öle auf meiner kleinen, feinen Waage, und meine Idee wird
zu etwas Konkretem.“
Experimente: „Es hätte in der [1][Coronazeit] sein können, war es aber
nicht“, sagt er. Nicht die Pandemie, sondern eine Arbeitskollegin brachte
Gero Fallisch zum Handwerk. Bereits ein Jahr vor Corona, 2019, erzählte sie
ihm von selbstgemachten Seifen. Er informierte sich durch Tutorials und
Blogs, besuchte Onlinekurse und begann selbst zu experimentieren. Zunächst
waren die Seifen für den eigenen Gebrauch, dann für Freund*innen und
Familie, doch er hatte „einfach zu viel davon“. Deshalb, dachte er, sollte
er sie vielleicht verkaufen. Schließlich traute er sich, eine eigene Marke
zu entwickeln – nur für Männer. [2][„Heinerseifen“] heißt sie. Wer ist
Heiner?
Heiner: Wo es schon so viel ums sinnliche Erleben geht, darf die Fantasie
verrückt spielen. Heiner – ein liebster Freund? „Nein“, sagt Fallisch,
keine konkrete Person sei gemeint. Der Name sei abgeleitet von
Friedrichshain, dem Bezirk in Berlin, wo er lebt. Er ist Friedrichshainer.
„Friedrichshainer, Hainer, Heiner!“, erklärt er.
Maskulinität: Gero Fallischs Kreationen seien nicht für alle Männer
gedacht, sondern für jene, „die keine Angst vor Sinnlichkeit haben“. Seine
Kund*innen seien ohnehin nicht ausschließlich männlich. „Einige Frauen
kaufen die Seifen auch für sich.“ Das sei für ihn völlig in Ordnung – auch
wenn die Bilder, die die Beschreibungen seiner Seifen hervorrufen, eine
eher männliche Welt widerspiegeln. „Ein nächtlicher Besuch im gedimmten
Jazzclub – die Luft erfüllt von Holz, Leder und Drinks“, heißt es etwa bei
einer. Fallisch glaubt nicht, dass Männer nur Geld verdienen wollen oder
sich zwangsläufig für Macht und Autos interessieren müssen. Maskulinität
sei für ihn eine Frage der Haltung, nicht des Geschlechts. „Maskulin
bedeutet für mich, genau zu wissen, was man will.“ Auch das nicht
Zielgerichtete könne man wollen.
Cavaquinho: Was Fallisch will? „Experimentieren“, sagt er – und meint damit
nicht nur seine Seifenwerkstatt, sondern das Leben. Er probiert gerne Neues
aus: Boxen im Park mit einem Freund, Gitarre und Cavaquinho spielen,
Letzteres ist eine portugiesische Vorläuferin der Ukulele. Sogar
brasilianische Rhythmen wie Forró oder Samba hat er getanzt. Dazu kommen
seine Lohnarbeit und eine Ausbildung im Social-Media-Management. Seine Tage
seien mehr als voll.
Einfach so: Was Gero Fallisch tut, tut er „einfach um des Tuns willen, nur
weil ich Lust darauf habe“. Er zuckt mit den Schultern. „Ich finde mich
nicht sonderlich interessant“, sagt er. „Jedenfalls nicht interessanter als
andere.“ Nach einer Pause erzählt er vom [3][Jakobsweg] – etwas, das er
auch „einfach so“ gemacht und das ihn dennoch geprägt habe. Ein gerahmtes
Zertifikat neben seiner Eingangstür zeugt davon.
El Camino: 2018 war das, als Fallisch rund 300 Kilometer auf dem
portugiesischen Teil des Camino – von Porto nach Santiago de Compostela –
zu Fuß zurücklegte. Große Ziele habe er dabei nicht gehabt, und doch sei
alles schön und einfach gewesen. „Man stand morgens auf und fing an zu
laufen. Unterwegs hatte man nette Gespräche, die Landschaft roch wunderbar
nach all den Düften der Natur, dann ging man wieder ins Bett. Und jeden Tag
begann es von vorne, nur mit mehr Muskelkater.“
Ruhe: Auch wenn Gero Fallisch ein aktiver Mensch ist und sich gerne auf
neue Dinge einlässt, habe er zurzeit für vieles keine Energie mehr, erzählt
er. Früher sei er regelmäßig in Berliner Clubs und auf Festivals unterwegs
gewesen. „Ich fühle mich dafür jetzt zu alt. Ich möchte lieber meine Ruhe.“
Was er damit meint: „Auf dem Balkon sitzen, rauchen und lesen – das reicht
mir, um glücklich zu sein.“
13 Nov 2025
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