# taz.de -- Der Hausbesuch: Leute sind ihr Ding
       
       > Marion Moutell ist Autodidaktin. Nicht nur als Wirtin, auch als
       > Künstlerin. Im Engelbecken, einem Wirtshaus in Berlin, stellt sie ihre
       > Bilder aus.
       
 (IMG) Bild: Die Künstlerin Marion Moutell in ihrer Küche in Berlin-Wilmersdorf. Früher hat sie auch als Küchenchefin gearbeitet
       
       Sie habe, sagt Marion Moutell, immer eine Familie gesucht. Ihre eigene war
       chaotisch. Ohnehin seien längst alle tot.
       
       Draußen: Eine Wohnstraße in Berlin-Wilmersdorf. Das Ambiente ist
       großbürgerlich, und als orientiere sich die Architektur am Wort „groß“,
       sind die vierstöckigen Gründerzeithäuser ausladender, die Treppenaufgänge
       breiter, die Räume größer als bei Häusern in ehemaligen Berliner
       Arbeiterbezirken. Alles verströmt das Flair des noblen Westberlin bis auf
       die Investitionsbank, ein Neubau. Es ist ein fantasieloser Klotz, der ein
       Ende der Straße verschattet.
       
       Drinnen: Schon im ausladenden Flur der großen Wohnung im vierten Stock, wo
       Marion Moutell mit ihrem Partner Wolfgang Stoye wohnt, stehen Bilder. Die
       Wände sind vollgehängt, die Möbel bedeckt mit Bildern. Moutell malt. Sie
       malt viel. Seit sie altersbedingt nicht mehr im Engelbecken, einem Berliner
       Restaurant, arbeitet, malt sie wie besessen. Menschliche Figuren stehen im
       Mittelpunkt – mitunter wirken sie verzerrt, aber meist ist da ein Lachen.
       Eine Armada an komischen, skurrilen, selbstironischen Gefährtinnen und
       Gefährten haben die beiden, die hier seit 25 Jahren wohnen. Als sie
       einzogen, soll die Wohnung einer Rumpelkammer geglichen haben. Sie hätten
       alles renoviert. Die Fliesen im Bad hat Moutell selbst gebrannt. Jede ein
       Unikat. Wie lange sie allerdings noch da oben wohnen können, ist unklar,
       sie merken die vier Stockwerke, die sie hoch müssen, der Partner von
       Moutell wird bald achtzig.
       
       Malen: Moutell wuchs bei der Großmutter in Dachau auf. Deren Mann kopierte
       Bilder von Spitzweg. „Er war Versandleiter der Dachauer Papierfabrik. Die
       Spediteure kauften ihm die Bilder ab, weil sie die Aufträge wollten.“ Ein
       wenig wird Moutell durchs Zuschauen da schon mitbekommen haben vom Malen.
       Denn schon in der Grundschule ist sie besser in Kunst als alle anderen in
       der Klasse. Deshalb darf sie zu Feiertagen Bilder an die Tafel malen.
       Engel, Osterhasen, die heilige Familie. Allerdings brach ihre Karriere im
       Klassenzimmer schlagartig ab, als sie Maria, die Mutter Gottes, mit
       spitzen, aus dem Körper herausschießenden Brüsten abbildete. „Ich habe
       gemalt, was ich gesehen habe“, sagt sie. Damals in den 60er-Jahren seien
       die spitz zulaufenden BHs en vogue gewesen. „Überall sah man diese
       exponierten, gefährlichen Brüste von Frauen.“ Bis heute kann es sein, dass
       Figuren in ihren Bildern damit versehen sind.
       
       Die Umstände: Alles andere an ihrer Schullaufbahn wischt sie mit einer
       Handbewegung beiseite. Vier Mal habe sie die Schule gewechselt. „Ich bin
       immer rausgeflogen.“ Die Umstände in ihrem Leben waren schwierig. Ihre
       Mutter hatte sich zwanzigjährig in einen GI verliebt und wurde prompt
       schwanger. 1954 kommt Moutell zur Welt. Sechs Jahre lang wurde das
       amerikanische Familienidyll in Bayern geprobt, mit Rock ’n’ Roll, dickem
       Auto und einer Tochter, die Püppi sein sollte. „Nachts wurden mir
       Lockenwickler ins Haar gedreht.“ Dann trennten sich die Eltern, der Vater
       ging zurück in die USA, die Mutter, haltlos, schlitterte ins
       kleinkriminelle Milieu. Das Kind kam zur Oma und schlief fortan mit seiner
       Uroma in einem Bett. „Sie hat mir den Rücken gestreichelt, bis ich
       eingeschlafen bin. Das hat mir gefallen.“
       
       Das Wackerl: Kindertherapeut*innen sagen, dass Kinder nur eine Person
       brauchen, die sie liebt, um Vertrauen zu entwickeln. Für Moutell ist die
       Nachbarin dieser Anker. „Wackerl“ nennt Moutell sie. „Sie war dick und
       schwankte beim Gehen.“ Jeden Tag geht Moutell zu ihr. Die Freitage sind ihr
       besonders in Erinnerung. Da darf Moutell sich etwas aus der
       Überraschungstüte rausnehmen, ein Stück Stoff, einen Knopf, irgendwas. Und
       damit wird dann gebastelt. „Vom Wackerl habe ich so viel bekommen.“ Von der
       Uroma auch. Ansonsten sei sie als Kind halt mitgelaufen. Kontakt zur Mutter
       hat sie kaum, zum Vater nur, wenn er nach Deutschland kommt. Dann wurde
       übertrieben. „‚Ich liebe dich, du bist die Tollste‘, sagte er, aber dann
       war es schnell wieder vorbei.“
       
       Farben: Die Oma hat einen Lebensmittelladen, da gibt es ein Regal mit
       Nähgarn in allen Farben. „Mit denen habe ich gerne gespielt.“ Sie habe sie
       sortiert und Muster damit ausgelegt. „Obwohl es verboten war, habe ich auch
       welche mit in die Schule genommen.“ Als gäben Fäden und Farben ihr Halt. In
       ihren Bildern verarbeitet sie bis heute gerne Stoffreste.
       
       Flower Power: Mit 14 will Moutell zu den Hippies. Sie meint, da ginge es
       ehrlich zu. Nicht wie bei der Oma, die gelogen habe. Vom KZ in Dachau will
       sie nichts gewusst haben. Kurz vor dem Abitur zieht Moutell in eine
       [1][Kommune.] Die Prüfungen macht sie nicht. „War irgendwie nicht angesagt.
       [2][Ich habe keine Ausbildung.] Wenn du aber keine Zeugnisse hast, musst du
       dich mehr beweisen.“ Sie habe sich immer beweisen müssen. „Als ich jung
       war, war ich eine Strauchelnde.“ Und als gebe ein Wort das andere, fügt sie
       hinzu: „Ich habe auch ordentlich Drogen genommen, Heroin probiert, viel
       LSD, gekifft wie verrückt.“ Das Heroin habe sie geschnupft. „Mir ist immer
       schlecht geworden davon. Gott sei Dank.“ In der Kommune gefällt es ihr so
       mittel, „da gibt es auch Zwänge“.
       
       Ihr Traum ist ein anderer: Sie will an die Kunstakademie. Zwei Mal stellt
       sie Mappen zusammen und reicht sie doch nicht ein. „Ich hab mich gefragt,
       was passiert, wenn die mich ablehnen. Werd ich dann nie mehr malen? Ich hab
       ja nie an mich geglaubt.“ Aber es gibt Leute, die an sie glauben. Sie lernt
       Künstler in Dachau kennen, die unterstützen sie. „Mein Leben ist gespickt
       mit Rettern.“ So malt sie doch immer weiter und jobbt in einem
       Kneipenkollektiv. Die 70er-Jahre waren wild, man brauchte nicht viel zum
       Leben, wichtig war Selbstverwirklichung. „Eine tolle Zeit zum Jung sein.“
       Sie meint, sie sei nicht politisch gewesen, „eher naiv. Ich wollte die
       Flower-Power-Traumwelt.“
       
       Die Konzertkneipe: 1981 gehört sie zum Kollektiv, das in Ampermoching bei
       München eine [3][Konzertkneipe] aufmacht. „Es ist aus Versehen passiert, im
       Vorbeigehen schnell.“ Jemand sei in die WG gekommen, wo sie mit ihrem
       damaligen Freund Stefan wohnt, und fragt, ob sie nicht wen kennen, der mit
       ihm eine Brauerreikneipe in dem Dorf mit ein paar Hundert Einwohnern
       aufmachen will. Die Kneipe wird legendär, die Konzerte auch. In München
       gibt es keinen vergleichbaren Saal, wo um die 200 Leute reinpassen.
       Tourdaten einiger Bands gehen so: Köln, Berlin, Ampermoching. Die
       Einheimischen verstehen nicht, was sie sehen. Musik, Krach, Exzess. Moutell
       erinnert sich an eine Parole an einer Mauer: „‚Komonisten raus aus
       Deutschland und aus Ampermoching.‘ Die Orthografie exakt so.“ Zwei Jahre
       geht das. Dann entdecken Punks die Location. Die Gründungscrew hört auf,
       Punks übernehmen. Ein Jahr später ist Schluss.
       
       Die Liebe: In Ampermoching verliebt sich Moutell in Wolfgang und trennt
       sich von Stefan. Jetzt gibt die Liebe den Kurs vor, denn im Zuge dessen
       landen beide 1987 in Berlin. „Berlin, das war für mich ein Quantensprung,
       die Konfrontation mit vielem, das mir Angst gemacht hat.“ Die Anonymität,
       das Rohe, der Protest. In der Mauerstadt konzentriert sie sich auf die
       Malerei, ihre Wohnung ist Atelier. Bis zur Wiedervereinigung kann sie davon
       leben. „Aber als die Mauer aufging, wurde die Stadt von Künstlern geflutet,
       da habe ich gedacht, da kann ich nicht mithalten, wenn die die Bilder so
       billig verkaufen.“ In einem ist sie sich trotzdem sicher: „Ich geh nicht
       Klinken putzen.“
       
       Die nächste Etappe: Wieder ist der Zufall am Werk. „Wir brauchen eine
       Heimat“, sagen Freunde aus Bayern und zeigen auf ein leer stehendes Lokal
       in Kreuzberg am Engelbecken. Mit ihrem Partner Wolfgang und ihrem
       Ex-Partner Stefan, den seine neue Liebe auch nach Berlin verschlagen hat,
       lässt sie sich darauf ein und sie eröffnen 1995 die Kneipe. „Engelbecken“
       nennen sie sie. Bajuwarisch-mediterran die Küche. Sie ist die Küchenchefin.
       Erneut bringt sie sich alles selbst bei. Die Wände in der Kneipe, die
       mittlerweile nach Charlottenburg umgezogen ist, aber werden zu ihrer
       Galerie. Dort stellt sie auch heute ihre Bilder aus, denn aufgehört zu
       malen hat sie nie. „Der Verkauf gehört zum Kunstmachen dazu. Das ist der
       letzte Akkord.“ Wenn Bilder bei ihr bleiben, sei die Mühe sinnlos gewesen,
       dann übermale sie sie. „Ich mal drauf und nochmal drauf. Entweder es kommt
       braune Masse raus oder es will etwas durchdringen. Ich will keine sinnlose
       Arbeit tun.“
       
       14 Dec 2025
       
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