# taz.de -- Tagebuch aus Berlin: Vom Dating in Zeiten, in denen so vieles nicht mehr egal ist
> Unsere Autorin stammt aus Minsk, lebt in Berlin und zieht nach Vilnius.
> Über Dating-Apps sucht sie Freunde. Doch leicht ist das nicht.
(IMG) Bild: Dating-Apps und die Tücken der Verständigung
Googel mich!“, schrieb ich einem deutschen Mann in einem [1][Tinder]-Chat.
Er hat mir gefallen und ich ihm auch. Also ein Match! Doch je länger und
tiefer unsere Gespräche wurden, desto mehr Zweifel hegte er, dass ich eine
echte Person bin. Er hielt mich für ein Fake.
Er hatte im Internet gelesen, dass ich 2021 in der [2][belarussischen
Hauptstadt] Minsk wegen meiner journalistischen Tätigkeit festgenommen
worden war und einen Monat in Haft verbracht hatte.
„Was für ein verrückter Lebenslauf mit 24 Jahren“, schrieb er mir. Sein
Sohn sei 23 und habe sich erst kürzlich entschieden, in welchem Land er
leben und welchen Beruf er ausüben möchte. Ich hingegen hätte bereits eine
so große Reihe von Erfahrungen – und zwar nicht solche, die man
normalerweise auf LinkedIn veröffentlicht. Das hat sein romantisches
Interesse anscheinend etwas gedämpft: Also ein Unmatch!
Er hat nicht lange durchgehalten, dachte ich. Dabei hatte ich noch so viele
Trümpfe im Ärmel. Zum Beispiel hat das [3][Lukaschenko]-Regime mich in
Belarus, in Russland und in anderen Ländern zur Fahndung ausgeschrieben und
mich als „Mitglied einer extremistischen Vereinigung“ bezeichnet. Aber so
weit kam unser Tinder-Gespräch gar nicht.
Ich gebe nicht auf. Auf Tinder habe ich einen jungen Mann aus Syrien
kennengelernt. Die Diktaturen verbinden uns. Er verließ das Land, als
[4][Baschar al-Assad] noch an der Macht war. Bei unserem Date sprachen wir
über die gestürzte Assad-Dynastie, über die Diktatur in Belarus und über
unsere erzwungene Migration.
## Dieses Gefühl, zu viel erzählt zu haben
Ich denke, viele kennen dieses unangenehme Gefühl, dass man nach drei
Gläsern Bier oder Wein einem Zufallsbekannten sein ganzes Leben erzählt
hat. Normalerweise betet man nach solchen Gesprächen, dass man dieser
Person nie wieder begegnet. Jetzt weiß jemand anderes genauso viel über
mich wie der belarussische Geheimdienst, dachte ich mir. Deshalb habe ich
zu Hause selbstbewusst auf „Unmatch“ geklickt, also wir haben uns verloren.
Ich habe sogar die Tinder-App gelöscht, jedoch bald eine neue Dating-App
heruntergeladen: [5][Bumble].
Dort lernte ich wieder einen Deutschen kennen, der gerade angefangen hatte,
als Arzt zu arbeiten. Er fragte mich, woher ich komme, und schrieb dann ein
paar Worte auf Russisch. Ich antwortete ihm auf Belarussisch. Das Gespräch
kam nicht richtig in Gang, also fragte er mich, wohin ich gerne reisen
würde und von welcher Reise ich träume. Ich möchte schon lange nach
Australien und Neuseeland, um dort zum ersten Mal mit einem Aqualung zu
tauchen. „Und du?“, fragte ich meinen neuen Bekannten. „[6][Sotschi]“,
antwortete er kurz, „in Russland“. Ich lachte und war bereit, das Gespräch
fortzusetzen. Aber als er erfuhr, dass ich Journalistin bin, drückte er auf
„Unmatch“.
Vielleicht sollte ich einfach eine Pause vom Dating machen. Manchmal frage
ich mich, ob es an mir liegt, an meinen Ängsten oder an meiner Ungeduld.
Oder liegt es an den endlosen Profilen, die man in Dating-Apps durchwischt?
Oder liegt es an Berlin? Vielleicht liegt es an allem zusammen.
Aber morgen beginnt etwas Neues. Meine Koffer stehen schon bereit. Ich
ziehe nach [7][Vilnius]. Ein neuer Job, ein neues Zuhause – und vielleicht,
ganz vielleicht, finden in Litauen auch neue Begegnungen statt.
[8][Glafira Zhuk] war Stipendiatin der [9][taz Panter Stiftung].
Aus dem Russischen von [10][Tigran Petrosyan].
Durch [11][Spenden an die taz Panter Stiftung] werden unabhängige und
kritische Journalist:innen vor Ort und im Exil im Rahmen des Projekts
„Tagebuch Krieg und Frieden“ finanziell unterstützt.
7 Nov 2025
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## AUTOREN
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