# taz.de -- Soziologin über Merz' Stadtbild-Äußerung: „Das ist eindeutig rassistisch“
       
       > Kanzler Merz zeichne ein Bild von einer weißen Gesellschaft als Norm,
       > sagt die Stadtsoziologin Barwick-Gross. Die wahren Probleme in Städten
       > seien andere.
       
 (IMG) Bild: Löste mit seiner Äußerung eine Debatte aus: Bundeskanzler Friedrich Merz
       
       taz: Frau Barwick-Gross, Sie forschen als Stadtsoziologin zu Migration und
       urbaner Diversität. Was, würden Sie sagen, sind die größten Probleme im
       Stadtbild? 
       
       Christine Barwick-Gross: Vielleicht zu viel Polizei, zu viel
       Kontrollinstanzen, extreme Armut, extremer Reichtum und zu viel
       Rechtsextremismus. Zugegeben, das ist auch eine provokative Antwort auf die
       [1][Aussage von Friedrich Merz].
       
       taz: Bundeskanzler Merz hat vor Kurzem von Problemen im Stadtbild
       gesprochen und das inhaltlich mit Abschiebungen verknüpft. Wie schauen Sie
       als Soziologin darauf? 
       
       Barwick-Gross: Das ist erst mal eindeutig rassistisch. Merz stellt
       Personen, die als nicht-weiß oder migrantisch gelesen werden, als kriminell
       dar – deshalb verknüpft er das mit Rückführungen. Er zeichnet damit ein
       Bild von einer weißen deutschen Gesellschaft als Norm – und ignoriert die
       sehr lange Migrationsgeschichte des Landes. Deutschland hat eine koloniale
       Vergangenheit, wir hatten vor Jahrzehnten die Einwanderung von
       Gastarbeiter*innen. Zur deutschen Gesellschaft gehören Menschen, die als
       nicht-weiß gelesen werden – und das ignoriert und missachtet Merz mit
       seiner Aussage.
       
       taz: Verwenden Sie in der Soziologie den Begriff Stadtbild? 
       
       Barwick-Gross: Nicht direkt. Aber wir gucken uns zum Beispiel Stadtteile
       oder Stadtquartiere an. Und es gibt [2][viel Forschung zum Thema
       Super-Diversität.] Da geht es um das Zusammenleben in Stadtteilen, die von
       Diversität geprägt sind. Zum Beispiel: Wie identifizieren sich Personen mit
       dem Stadtteil? Aber es wird auch untersucht, wie bestimmte Quartiere im
       politischen Diskurs konstruiert werden. Das sieht man in Berlin [3][am
       Beispiel der Sonnenallee in Berlin-Neukölln.]
       
       taz: Wie meinen Sie das? 
       
       Barwick-Gros: Die Sonnenallee wird oft als Arabische Straße bezeichnet, sie
       wurde aber auch mal die Türkische Straße genannt. Neukölln als Bezirk wird
       oft als Ghetto dargestellt – und das stigmatisiert sehr viele Menschen, die
       dort wohnen, arbeiten oder zur Schule gehen.
       
       taz: Sie hatten zu Beginn gesagt, zu viel Polizei und zu viele Kontrollen
       seien ein Problem. Wie haben Sie das gemeint? 
       
       Barwick-Gross: Wenn wir beim Beispiel Sonnenallee bleiben, die wird viel
       mit Kriminalität in Verbindung gebracht. Deshalb gibt es dort auch viel
       Polizeipräsenz und Kontrollen, auch vom Ordnungsamt. Diese Kontrollen
       basieren im Prinzip oft auf einem Verdacht aufgrund des Aussehens und
       aufgrund des Ortes, an dem man sich aufhält.
       
       taz: Bundesbildungsministerin Karin Prien, [4][auch CDU, hat in etwa
       gesagt, über die Wortwahl von Merz könne man diskutieren, aber die Kritik
       an seiner Äußerung sei überzogen]. 
       
       Barwick-Gross: Ich finde diese Aussage ähnlich problematisch. Sie
       suggeriert ja trotzdem, dass Migration das Problem sei. Wenn wir uns aber
       städtische Probleme anschauen, dann geht es um ganz andere Fragen – um
       fehlende Wohnungen, um Bildungschancen, um Infrastruktur und Zugang zu
       Ressourcen in der Stadt. Das alles hat mit Migration erst mal nicht so viel
       zu tun, sondern eher mit sozialer Schicht und Bildung. Genau daran wird
       aber in vielen Städten gespart.
       
       taz: Und wie wirkt sich das aus? 
       
       Barwick-Gross: In der Stadtforschung untersuchen wir zum Beispiel, wie und
       wo unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen wohnen. Es gibt ja
       Migrant*innen im klassischen Sinne, die selbst eingewandert sind. Dann
       gibt es Menschen, die schon seit Generationen in Deutschland leben, aber
       trotzdem noch migrantisiert werden. Beide Gruppen sind von Rassismus
       betroffen. Es ist viel schwieriger [5][für sie, eine Wohnung zu finden],
       der [6][Zugang zu Arbeit ist erschwert]. Und das ist ein Riesenproblem.
       
       taz: Insbesondere [7][Geflüchtete sind anfangs in sehr beengten
       Gemeinschaftunterkünften] untergebracht. Sie haben oft wenig andere
       Möglichkeiten, als sich draußen im öffentlichen Raum aufzuhalten.
       
       Barwick-Gross: Geflüchtete und Asylbewerberinnen können sich vieles nicht
       aussuchen. Wie lange sie von Familienmitgliedern getrennt oder wie lange
       sie wo untergebracht werden. Es kann ja sehr lange dauern, bis über einen
       Asylantrag entschieden wird.
       
       taz: Sie werden aber häufig als Bedrohung dargestellt – das hat auch Merz
       getan, als er sagte, man müsse [8][nur mal die Töchter fragen]. 
       
       Barwick-Gross: Erneut bedient er diese rassistischen Stereotype und spielt
       Gruppen gegeneinander aus. Es gibt natürlich ein großes Problem mit Gewalt
       gegen Frauen, aber das passiert vor allem in den eigenen vier Wänden und
       auch das hat wenig mit Migration zu tun. Die CDU und Merz sagen zwar, sie
       wollen sich von der AfD abgrenzen, aber sie übernehmen genau den gleichen
       Diskurs.
       
       taz: In Dänemark hat genau so ein Diskurs auch reale Auswirkungen. Dort
       werden [9][Menschen zwangsumgesiedelt], wenn zu viele Personen mit
       nicht-westlicher Migrationsgeschichte und deren Nachkommen in einem
       Stadtviertel leben. 
       
       Barwick-Gross: So eine Art Quotenregelung gab es auch mal in Berlin, das
       nannte sich Zuzugssperre, sie galt von 1975 bis 1990 und bezog sich auf die
       Bezirke Kreuzberg, Wedding und Tiergarten.
       
       taz: Ach ja? 
       
       Barwick-Gross: Es wurde festgelegt, dass zum Beispiel türkische
       Gastarbeiter*innen nicht mehr in diese Bezirke ziehen dürfen. Zuerst
       wurden sie dort bewusst einquartiert, weil die Häuser runtergekommen waren.
       Aber dann war es plötzlich zu viel und es gab eine Zuzugsssperre. Die wurde
       allerdings nie richtig durchgesetzt.
       
       taz: Ein weiterer [10][Unterschied zu Dänemark] ist ja, dass dort Menschen
       real gezwungen werden, ihr Viertel zu verlassen, in dem sie bereits wohnen. 
       
       Barwick-Gross: Das ist wirklich sehr problematisch. Es geht ganz zentral um
       die Frage: Wer gehört zur Gesellschaft dazu und woran will man das
       festmachen? Es kommt ja auch niemand auf Idee, es als Problem darzustellen,
       wenn sehr reiche Bezirke sehr homogen sind.
       
       taz: Können Sie Friedrich Merz einen Tipp geben? 
       
       Barwick-Gross: Er sollte sich bei all den Bürger*innen, die sich von dieser
       Aussage getroffen und angesprochen fühlen, entschuldigen. Und er sollte
       sich mit dem Thema Rassismus und genauer mit der Geschichte Deutschlands
       beschäftigen. Vielleicht sieht er dann, wie divers unsere Gesellschaft
       tatsächlich ist.
       
       22 Oct 2025
       
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