# taz.de -- Britischer Künstler Satch Hoyt: Der Gestaltwandler
> Der Brite Satch Hoyt veröffentlicht das Album „Un-Muting“. Die Musik ist
> das Ergebnis einer künstlerischen Auseinandersetzung mit dem kolonialen
> Erbe.
(IMG) Bild: Cool, calm, collective: Satch Hoyt
Wenn Satch Hoyt Instrumente aus dem Museum entstummt, klingen afrikanische
Fingerklaviere aus dem 19. Jahrhundert wie futuristische Beatmaschinen. Mit
den dünnen Metallzungen, die von seinen Daumen gezupft werden, bringt Hoyt
die hölzernen Klangboxen des Fingerklaviers zum Schwingen: Dann scheppern
und surren sie, denn die Resonanz der Holzboxen sorgt für vollen, quasi
verstärkten Klang. Selbst Vibrato entsteht durch das Anreißen der
unterschiedlichen Zungen aus Metall.
Die vielfältige Klangpalette der Fingerklaviere dokumentiert Satch Hoyt mit
Tonaufnahmen. „Ich weise so darauf hin, wie zeitgemäß diese Instrumente
sind. In ethnologischen Sammlungen galten sie lange Zeit als Ausdruck
primitiver Kultur. Dabei ist Verzerrung längst kultureller Standard, man
denke nur an Jimi Hendrix und seine Behandlung von Gitarrenfeedback. Alle
schwelgen zu den seltsamsten verzerrten Klängen.“
„Un-Muting. Beyond Misspelt Borders“ ist Hoyts neues Album betitelt.
Ursprünglich entstanden als Soundinstallation zur Ausstellung „Your Ears
Later Will Know To Listen“ in Nottingham, wo auch neun Gemälde von Satch
Hoyt zu sehen waren, sogenannte „Afro-Sonic Mapping“-Collagen, die auf
afrofuturistische Kunsttheorien Bezug nehmen.
## Künstlerische Intervention
Was als künstlerische Intervention begonnen hat, als Idee, in Depots von
Museen nach historischen afrikanischen Instrumenten zu forschen und sie
durchs Spielen wieder zum Leben zu erwecken, hat der seit 2013 in Berlin
lebende britische Künstler nur durch seine Beharrlichkeit zum musikalischen
Konzept vervollkommnen können. Nach zähen Verhandlungen konnte er 2023 für
einen Forschungsaufenthalt ans British Museum in London, [1][auch am Museum
Markk in Hamburg] hat Satch Hoyt 2024 die seit der deutschen Kolonialzeit
vorhandene Instrumentensammlung durchforstet.
„Un-Muting“ besteht aus 9 Tracks, Aufnahmen der historischen Fingerklaviere
werden ergänzt um Percussion aus Hoyts eigenem Fundus. Dazu mischt er
elektronische Klangfarben eines Roland-Synthesizers und die Stimme einer
Frau, die der schwedische Missionar Karl-Edvard Laman bei einer
Kolonialexpedition im Kongogebiet 1910 aufgenommen hat. Hoyt hat diese
Aufnahme in einem Berliner Schallarchiv gefunden.
Der unwiderstehliche Sog seiner Musik entsteht durch die Überblendung von
Geschichte, Gegenwart und Zukunft, alle Elemente flowen miteinander. Um die
Spannung zu entladen, holt Hoyt bisweilen sein Signaturinstrument, die
Querflöte, hinzu und improvisiert mit ihr in jazziger Präzision. Einmal
erhebt er seine eigene Stimme, um bei dem Track „Excuse me while I Change
my Tongue“ ein Gedicht zu sprechen.
## Du Bois' Denkfigur doppeltes Bewusstsein
Der Titel ist [2][eine Abwandlung von Jimi Hendrix’ Textzeile „'Excuse me
while I Kiss the Sky“] aus dem Song „Purple Haze“, und zugleich nimmt Satch
Hoyt damit Bezug auf den Begriff „doppeltes Bewusstsein“ [3][des
afroamerikanischen Philosophen W. E. B. Du Bois]. Dem entspreche der
Seinszustand von Menschen mit schwarzer Hautfarbe, „der eigenen Seele den
Maßstab einer Welt anzulegen, die nur Spott oder Mitleid für einen übrig
hat“, wie Du Bois angesichts der Segregation postuliert hatte.
Wenn er sich mit einem Jamaikaner unterhalte, spreche er Patois, erklärt
Satch Hoyt; Weiße verstehen eher kein Patois, da müsse er sich überlegen,
wie er etwas auf Englisch sagt. „Wer sich als Schwarzer in der weißen
Mehrheitsgesellschaft bewegt, wird zum Gestaltwandler.“ Zu seinem Gedicht
spielt Satch Hoyt marokkanische Kastagnetten und ein kongolesisches
Zupfinstrument mit einer einzigen Saite, es sorgt für die Clicks und
ersetzt die Hi-Hat.
Hoyt sagt über sich selbst, er sei „Experimentalist“, in seinem Sound
erklingen elektronischer Dancefloor, Jazz und traditionelle Folkelemente.
Alles wird transparent gemacht und trotzdem bleiben Geheimnisse, die
Geisterstimmen des Kolonialismus spuken weiter: „Mit dieser Musik wird eine
Klangfrequenz beschworen, nicht etwa die Einheit einer Nation. [ … ] Sie
funktioniert wie eine Muschel, um dein Ohr daran zu hängen, oder selbst
hineinzublasen“, schreibt der Dramaturg Tavia Nyoong’o in den Linernotes.
## Symbolische Rückgabe von Sound
Sein Konzept hat Satch Hoyt als „Sonic Restitution“ bezeichnet, als
symbolische Rückgabe von Sound. „Ich feiere damit die hybride Kreativität
Schwarzer Diaspora.“ Die Basis von Bebop und HipHop sei doch bereits im
Rumpf der Sklavenschiffe gelegt worden, „dort eingepfercht mussten die
Versklavten ihr musikalisches Gedächtnis von Afrika in die Karibik und
weiter nach Amerika transportieren. Unter unmenschlichen Bedingungen wurden
erstaunliche Sachen kreiert.“
Aufgewachsen ist der 1957 geborene Künstler in London. Einen Teil der
Kindheit hat er im Waisenhaus verbracht, obwohl er keine Waise war. „Um das
auszuhalten, schuf ich mir ein Universum aus Klang.“ Musik war Hoyts
Überlebenselixier. Als Jugendlicher hing er bei den Soundsystems am Notting
Hill Carnival ab. Sein erstes professionelles Engagement hatte er mit 16 in
der deutschen Fassung des Musicals „Hair“, als er Mitte der 1970er an der
Seite von Donna Summer durch Westdeutschland tingelte.
Wie Zelig taucht er später an weiteren Pop-Leuchttürmen auf: Um 1980, als
Dubreggae eine punkige Ader hatte, spielte er mit Dennis Morris (Basement
5) und dem Bassisten George Oban (Aswad) in einer Londoner Band. In den
1990ern lebte Hoyt in Paris, wo er für [4][Grace Jones] Songs produzierte
und mit der bildenden Künstlerin Louise Bourgeois den Funky-Artpop-Song
[5][„Otte“] aufnahm.
## Beim Bandkollektiv Burnt Sugar
Um die Jahrtausendwende ging er auf Vermittlung des
[6][US-Graffiti-Künstlers und Rappers Rammell:zee] nach New York. Dort
arbeitete er vor allem als bildender Künstler, schuf Skulpturen – oft mit
Bezug zum Sport. Nebenher spielte Hoyt im Bandkollektiv Burnt Sugar mit dem
Autor Greg Tate und dem Komponisten Butch Morris.
Musik sei immer in ihm, auch wenn er malt, sagt Satch Hoyt der taz in
seinem Atelier im Bezirk Wedding. Überall sind Schallplatten gestapelt,
Musikinstrumente liegen auf einem Sofa verstreut. Auf einem Tisch ist eine
schwarz umhäkelte Posaune; an einer Wand hängt ein verspiegelter
Basketballkorb, dessen Netz wie eine Haarextension bis zum Boden verlängert
ist.
Auch wenn es ihm an Anerkennung für seine künstlerische Arbeit in
Deutschland fehlt, längst fühlt sich Satch Hoyt als Künstler in Berlin
wohl. „In New York ging’ s nur um Geld. Berlin hat mir den Faktor Zeit
gegeben, ich kann in Ruhe reflektieren und habe auf diese Weise das Konzept
für Un-Muting entwickelt. Dafür bin ich sehr dankbar.“
13 Oct 2025
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## AUTOREN
(DIR) Julian Weber
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