# taz.de -- Filmfest Hamburg: Die Party kann beginnen
       
       > Vor allem Filme von Frauen erweisen sich beim Filmfest Hamburg als
       > sehenswert. Viele haben einen Realismus, in dem das Fantastische Raum
       > bekommt.
       
 (IMG) Bild: Höhepunkt von Rosanne Pels „Donkey Days“ ist eine grandiose Familienfeier
       
       Am Donnerstag begann das [1][Filmfest Hamburg]. Dabei fällt auf: Drei der
       interessantesten in der Stadt entstandenen Spielfilme, die dort gezeigt
       werden, haben Frauen gedreht – einschließlich eines Films, der sich ohne
       Weiteres dem Action-Genre zuschreiben lässt.
       
       [2][„Billie“ von Sheri Hagen] ist ein Thriller über eine Geiselnahme in
       einer Bank. Er erinnert an „Dog Day Afternoon“ mit Al Pacino, spielt aber
       nicht in Brooklyn, sondern in Bergedorf-West, Ortsteil Nettelnburg, und
       wurde dort auch gedreht. Die Heldinnen, aus deren Perspektiven erzählt
       wird, sind nicht nur Frauen, sondern auch Schwarz: Nina und Rubie sind
       Freundinnen. Rubie braucht Geld, damit ihre Tochter auf eine Klassenfahrt
       gehen kann. Also geht sie in eine Bank, um einen Kleinkredit zu bekommen.
       Nach ein paar Minuten hat sie eine Pistole in der Hand, die Polizei ist
       alarmiert und Nina kommt ihr zusammen mit ihrer kleinen Tochter zu Hilfe.
       
       Außerdem arbeitet Ninas Ehemann in dieser Bank und er hat gerade entdeckt,
       dass seine Frau viel Geld vor ihm versteckt hat. Ja, das ist alles andere
       als plausibel und im Laufe des Film geht es noch weiter mit unglaublichen
       Zufällen und Plotwendungen, bei denen man besser nicht nach deren innerer
       Logik oder einer glaubwürdigen Motivation sucht. Mit seiner weitgehenden
       Konzentration auf die Bank als Handlungsort kann man den Film, wie es der
       Katalogtext tut, als Kammerspiel bezeichnen. Aber eine andere
       Gattungsbezeichnung aus den darstellerischen Künsten passt noch besser:
       „Billie“ ist absurdes Theater.
       
       ## Spielerischer Umgang mit Stilmitteln
       
       Genau daraus schöpft der Film seinen Witz und seine Radikalität: Sheri
       Hagen kann alles, was ihr etwa zur [3][Situation von Schwarzen Frauen in
       Deutschland] auf dem Herzen liegt, im Rahmen dieser surrealen Räuberpistole
       zur Sprache bringen. Sie inszeniert das zugleich so unterhaltsam und
       komplex, dass einer der besten Lacher mit Polizeieinsätzen gegen die Antifa
       zu tun hat und auch ein Thema wie häusliche Gewalt gegen Frauen mit viel
       Empathie und Zorn behandelt werden kann.
       
       Ähnlich spielerisch wie Sheri Hagen geht auch [4][Rosanne Pel in ihrem Film
       „Donkey Days“] mit den Stilmitteln und Wirklichkeitsebenen des Kinos um.
       Ihr Film ist zwar weitgehend in einem naturalistischen Stil mit der
       Handkamera aufgenommen. Die Dialoge wirken improvisiert. Aber dann zwinkert
       auf einmal ein Porträtgemälde an einer Wand und in einer Traumvision
       kriecht eine Frau durch einen Geburtskanal, einen Tunnel aus tiefrotem
       Stoff, zurück in den Leib ihrer Mutter.
       
       Erzählt wird von den Konflikten der Schwestern Anna und Charlotte. Die
       beiden haben ihr Leben lang um die Zuneigung ihrer Mutter konkurriert. Anna
       ist übergewichtig und rebellisch, Charlotte entspricht dem gängigen
       Schönheitsideal und war immer die brave, angepasste, Lieblingstochter der
       Matriarchin Ines. Die residiert in einem feudalen Herrenhaus: Gedreht wurde
       im Gut Travenbrück zwischen Hamburg und Lübeck.
       
       ## Parallelwelt voller Mythen
       
       Zwischen den drei Frauen herrscht immer Streit, und von dieser permanenten
       Familienkrise wird zugleich mit einer tiefen psychologischen Einsicht und
       einem erfrischend boshaftem Witz erzählt. Als Höhepunkt gelingt der in
       Hamburg lebenden niederländischen Regisseurin eine grandiose Familienfeier,
       die zu einer Schlacht am kalten Buffet ausartet: Das ist so explosiv
       inszeniert, dass der Vergleich mit „Das Fest“ von Thomas Vinterberg nicht
       zu hoch gegriffen ist.
       
       [5][Claudia Tuyêt Scheffel] ist in Sachsen als die Tochter einer
       vietnamesischen Vertragsarbeiterin und eines ostdeutschen Vaters
       aufgewachsen und dorthin kehrt sie für ihren Abschlussfilm der Hochschule
       für bildende Künste Hamburg zurück. In [6][„Lonig und Havendel“] erzählt
       sie von der jungen Vietnamesin Trúc Lâm, die in ein kleines Dorf im
       Erzgebirge reist, um dort Deutsch zu lernen. Doch nachdem sie sich bei der
       Besichtigung eines Bergwerkstollens verirrt, kommt sie „auf der anderen
       Seite des Berges“ in einer Parallelwelt an, in der sich Mythen der
       deutschen schwarzen Romantik mit der Sagenwelt von Vietnam vermischen und
       nebenbei auch noch ein wenig alltäglicher Rassismus gezeigt wird.
       
       Claudia Tuyêt Scheffels Film ist voller autobiografischer Bezüge, die zum
       Teil eher rätselhaft bleiben. Aber neben vielen düsteren Einstellungen von
       Schreckgestalten im deutschen Wald gibt es auch genau beobachtete
       Alltagsszenen von einer vietnamesischen Familie, die einen „Asia-Imbiss“ in
       einem Gebirgsdorf betreibt. Claudia Tuyêt Scheffels selbst nennt den Stil
       ihres Films „magischen Realismus“, was vielleicht etwas plakativ ist, aber
       auch zu den Filmen von Rosanne Pel und Sheri Hagen passt.
       
       26 Sep 2025
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [3] /Misogynie-gegen-Schwarze-Frauen/!6025282
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 (DIR) [5] https://www.claudiascheffel.com/
 (DIR) [6] https://www.filmfesthamburg.de/film-info/lonig-havendel/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Wilfried Hippen
       
       ## TAGS
       
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