# taz.de -- Gründer über das Reeperbahn Festival: „Unser Entwurf war ein Gegenkonzept“
       
       > Ein wirtschaftliches Fiasko war das erste Reeperbahn Festival. Jetzt
       > feiert es trotzdem 20-jähriges Bestehen. Alexander Schulz erklärt, wie’s
       > kommt.
       
 (IMG) Bild: Club-Konzerte, Vorträge, Diskussionen und ein „Festival Village“ auf dem Heiligengeistfeld: das Reeperbahn Festival ist gewachsen
       
       taz: Mit welcher Vision ist das Reeperbahn Festival 2006 an den Start
       gegangen? 
       
       Alexander Schulz: Nach meinem ersten Besuch beim [1][South by Southwest]
       2000 in Austin, Texas, war ich sehr beeindruckt vom Konzept dieses
       Festivals, neben der Musikindustrie auch der Öffentlichkeit neue Talente zu
       präsentieren. Diese Idee haben wir für das Reeperbahn Festival übernommen,
       allerdings kamen die Fachbesucher:innen erst 2008 dazu. Der Kiez war
       für uns der ideale Standort, weil dort viele Spielstätten nah beieinander
       liegen.
       
       taz: Wie ist Ihnen die allererste Veranstaltung in Erinnerung geblieben?
       
       Schulz: Am Ende des Festivals wäre ich am liebsten im Boden versunken. Denn
       es war ein wirtschaftliches Desaster. Wir haben nicht einmal die Hälfte des
       Umsatzes gemacht, den wir hätten erreichen müssen, um kostenneutral zu
       sein. Geschuldet war das der Tatsache, dass wir den klaren Blick von außen
       verloren haben und zu sehr in unsere eigene Idee verliebt waren. Obwohl wir
       auch ein paar namhafte Bands wie Deichkind oder Tomte eingeladen hatten,
       waren die meisten Künstler:innen eben unbekannt. Auf dieses Line-Up
       haben die Zuschauer:innen eher [2][zurückhaltend reagiert.]
       
       taz: Welche Konsequenzen haben Sie daraus gezogen?
       
       Schulz: Für mich und den Konzertveranstalter Karsten Jahnke, mit dem ich
       2004 eine Reeperbahn Festival GbR gegründet hatte, war zunächst gar nicht
       klar, ob wir überhaupt weitermachen wollten. Als wir uns für einen zweiten
       Versuch entschieden haben, haben wir die Veranstaltung quasi halbiert. Aus
       25 Spielorten wurden zwölf.
       
       taz: Jetzt gibt es 65 Spielstätten und rund 450 Konzerte. Wie ist das
       Reeperbahn Festival mit dem Einbruch des Tonträgermarktes umgegangen?
       
       Schulz: Mitte der 2000er Jahre drehte sich der Musikmarkt. Das
       Haupterlösmodell waren nicht mehr die aufgenommene, sondern das
       Live-Geschäft. Die Popkomm, die damals schon nach Berlin gezogen war, hielt
       trotzdem noch am alten Modell fest und adressierte sich primär an
       Major-Labels, die ihre Kataloge und Künstler:innen an Messeständen
       vorstellen konnten. Bei uns dagegen standen die Musiker:innen in
       kleinen Clubs auf der Bühne – vor Publikum statt nur vor
       Fachbesucher:innen. Unser Entwurf war also ein Gegenkonzept, das zur
       Entwicklung der Branche passte. Zumal die Unternehmen kleiner, flexibler
       und schneller geworden sind.
       
       taz: Inzwischen [3][regiert Streaming], Trends ändern sich rasant. Was
       bedeutet das für Ihren Event?
       
       Schulz: Heute gehen einzelne Tracks viral, meistens mit Bild. Sie erreichen
       zwar hohe Nutzungszahlen, aber kaum Erlöse, und eine Woche später kommen
       schon wieder die nächsten Künstler:innen. Newcomer:innen über ein
       Live-Erlebnis beim Publikum einzuführen, ist auf jeden Fall nachhaltiger.
       Dennoch beschäftigen auch wir uns mit dem Thema Streaming, beim Reeperbahn
       Festival sind Unternehmen, die diese Dienste anbieten, vor Ort. Wir
       schaffen einen Diskursraum. Es gilt zu verhandeln, wie man die nötigen
       Rahmenbedingungen schafft, damit Musiker:innen an der Verwertung ihres
       geistigen Eigentums [4][mitverdienen können].
       
       taz: Warum steht das 20. Reeperbahn Festival diesmal unter dem Motto
       „Imagine Togetherness“?
       
       Schulz: Es ist wichtig, sich gegenüber globalen Verwerter:innen
       gemeinschaftlich zu positionieren. Musikmachen muss sich selbst für
       diejenigen lohnen, die keine Superstars sind. Das ist eine Aufgabenstellung
       für die gesamte Musikwirtschaft, weil wir letzten Endes alle in einem Boot
       sitzen. Vielleicht ist nämlich jener Teilmarkt, der gerade boomt, in einer
       Dekade wieder out.
       
       taz: Welche Pläne haben Sie für die Zukunft des Reeperbahn Festivals?
       
       Schulz: Wir werden unser Kernziel, neue Talente einzuführen und mit der
       Musikindustrie zusammenzubringen, in den nächsten Jahren im digitalen Raum
       ausweiten. Seit 2022 lässt das Videoformat Reeperbahn Festival Collide
       Musik und visuelle Kunst in einen Dialog treten. Gemeinsam mit dem
       Branchenmagazin Musikwoche haben wir den Podcast Reeperbahn Festival Deep
       Dive, der musikwirtschaftliche Fragen verhandelt. Neben der
       Keychange-Initiative basteln wir gerade in Zusammenarbeit mit Musikschulen
       an einem Empowerment-Programm für Jugendliche in Musikproduktion und
       -management. All diese Vorhaben sollen die Hauptmarke unterstützen.
       
       taz: Mit der Keychange-Initiative setzen Sie sich seit 2016 für die
       Gleichstellung der Geschlechter ein. Wie viele Unternehmen haben Ihre
       Pledge bisher unterzeichnet?
       
       Schulz: Gut 800 weltweit. Wer bei Festivals, in Radioprogrammen oder bei
       einem Streaming-Service nicht auf Gender Equality setzt, wird in fünf bis
       zehn Jahren abgehängt sein. Wenn man sich die internationalen Charts, die
       erfolgreichsten Tourneen oder die einkommensstärksten Musiker:innen
       anschaut, stehen nämlich [5][Taylor Swift] und andere Frauen vorne.
       
       8 Sep 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Zukunftsmesse-South-by-Southwest/!5581321
 (DIR) [2] /Praesentierteller-Reeperbahn/!232463&s=Reeperbahn+Festival/
 (DIR) [3] /Neue-Zahlen-der-Musikindustrie/!5948443
 (DIR) [4] /Debuetalbum-von-Hyperpopkuenstler-Mechatok/!6109412
 (DIR) [5] /Taylor-Swift/!t5021833
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dagmar Leischow
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Hamburg
 (DIR) Musik
 (DIR) Reeperbahn
 (DIR) Musikmarkt
 (DIR) Musikindustrie
 (DIR) Streaming
 (DIR) Festival
 (DIR) Popkultur
 (DIR) Reden wir darüber
 (DIR) Social-Auswahl
 (DIR) Reeperbahn
 (DIR) Reeperbahn
 (DIR) Neues Album
 (DIR) Festival
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Hamburger Festival „Treffen“: Einmal Paralleluniversum und zurück
       
       Die Hamburger Indie-Labels kritisieren, dass sie auf dem Reeperbahn
       Festival zu wenig vorkommen. Also haben sie ein Alternativfestival
       organisiert.
       
 (DIR) Festival strebt nach Gleichberechtigung: Scheinwerferlicht für Nichtmänner
       
       Das Reeperbahnfestival will ebenso vielen Frauen wie Männern eine Bühne
       bieten. Zusätzlich gibt es ein eigenes Showcase für Flinta*-Künstler*innen.
       
 (DIR) Album „Full Moon“ von Moonchild Sanelly: Zukunftsweisender Hintern
       
       Sie wechselt pausenlos von Xhosa nach Englisch und wieder zurück: Der
       Future Ghetto Funk der Südafrikanerin Moonchild Sanelly ist naturgewaltig.
       
 (DIR) Musik-Kuratoren über die Festivalsaison: „Wir sind ja keine Muschis“
       
       Die Kuratoren Katja Lucker und Christian Morin über Spirit und Inflation
       von Musikfestivals in Berlin und die Arbeit mit Popmusik am Theater.