# taz.de -- 10 Jahre „Wir schaffen das!“: Willkommen in der Traum(a)stadt
> Das Jubiläum ist unserem Kolumnisten Anlass, daran zu erinnern, dass seit
> Sommer 2015 mit den Geflüchteten auch traumatisierte Menschen zu uns
> kommen.
(IMG) Bild: Der vergessene Krieg: Khartum, der Präsidentenpalast, nachdem dieser im März 2025 von der sudanesischen Armee übernommen wurde
Happy Birthday, [1][„Wir schaffen das!“] Angela Merkels Satz feiert
Zehnjähriges. Für die einen ist er gut gealtert, für die anderen immer noch
eine Unverschämtheit. Für mich ist das Jubiläum Anlass, an etwas anderes zu
erinnern: Seit dem Sommer 2015 kommen mit den Geflüchteten [2][auch
traumatisierte Menschen] zu uns.
Sie sind natürlich nicht die ersten ihrer Art. Vor ihnen kam, zum Beispiel,
[3][meine Familie aus Kabul]. Davor kamen sogenannte Gastarbeiter, die für
ganz eigene Erfahrungen von Entwurzelung und Ausgrenzung stehen. Und davor?
Mauerbau, Vertreibung, Weltkriege und Shoah. Heute stapeln sich in Berlin
alte und neue Traumata: Verelendung, Wohnungslosigkeit und sexuelle Gewalt,
Raub und Mord. Sie sind nicht vergleichbar, aber jedes Trauma verursacht
sein eigenes schweres Leid.
Ich denke auch an den Vater einer Freundin. Er musste zum Ende des Zweiten
Weltkriegs mit anhören, wie sowjetische Soldaten im Nebenzimmer seine
ältere Schwester vergewaltigten. Die Schreie bekomme er bis heute nicht aus
dem Kopf. Auch das ist Berlin.
Die Stadt bleibt ein Ort, an dem sich Wunden überlagern. Jüdische
Berliner:innen leben in Angst, zeigen kaum noch ihr Jüdisch-Sein.
Gleichzeitig sehen viele mit Entsetzen, dass nach dem Trauma des 7. Oktober
eine reaktionär-rechtsextremistische Regierung in Israel auch in ihrem
Namen Verbrechen begeht und das Leben der Geiseln zusätzlich gefährdet.
Palästinensische Berliner:innen wiederum betrauern ihre getöteten
Angehörigen und sorgen sich um vertriebene Verwandte. Sie erleben, wie sie
durch legitime Kritik an der israelischen Regierung und an deutschen
Doppelstandards unter Generalverdacht geraten, als antisemitisch oder
islamistisch. Wie Protest delegitimiert und Identitäten geleugnet werden.
Auch das ist Berlin.
Und all die Ukrainer:innen und Angehörigen russischer Soldaten … Oder
Menschen aus dem Sudan, die ihre Familien in einem vergessenen Bürgerkrieg
verlieren, ganz ohne Sondersendungen. Auch in diesem Text bleiben Konflikte
und Schicksale ungenannt. Aber sie schwingen mit – in Blicken, im
Schweigen, im Alltag von uns allen.
Was ist überhaupt ein psychisches Trauma? Die WHO beschreibt die „seelische
Verletzung“ als ein „Ereignis außergewöhnlicher Bedrohung oder mit
katastrophalem Ausmaß“. In seinem Standardwerk „The Body Keeps The Score“
[4][ergänzt der Traumaforscher Bessel van der Kolk]: „Trauma is not the
story of something that happened back then, but the current imprint of that
pain, horror, and fear living inside.“ Diese Abdrucke haben oft
[5][posttraumatische Belastungsstörungen zur Folge], manchmal erst Jahre
später. Traumata wirken nach: in Körpern und Seelen, in Beziehungen, in
Familiengeschichten und Gesellschaften, oft über Generationen hinweg.
Berlin ist voll von diesen Prägungen. In Moabit, [6][wo das „Zentrum
Überleben“ Geflüchtete begleitet]. In Pankow, wo [7][Flinta*-Workshops]
Räume für Atem und Sprache schaffen. In Jugendzentren, Wartezimmern und an
so vielen anderen Stellen, [8][viele unterfinanziert und um den Fortbestand
bangend].
Und trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb – geht es oft erstaunlich
„gesittet“ zu. Keine Selbstverständlichkeit für eine Stadt, in der sich so
viele Geschichten von Gewalt, Verlust und Überleben kreuzen, manchmal
miteinander konkurrieren. Vieles fehlt, anderes ätzt, einiges scheitert.
Aber dass wir miteinander aushalten, was wir an Schmerz mitbringen – das
ist vielleicht das eigentlich Beeindruckende. Das ist ein kleines „Wir
schaffen das“, jeden Tag aufs Neue. Aller Hetze und Anfeindungen zum Trotz.
Und gegen jeden Paternalismus.
17 Aug 2025
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(DIR) [3] /Erinnerung-an-Loewenzahn/!6097172
(DIR) [4] https://www.traumapro.org/the-body-keeps-the-score
(DIR) [5] https://www.baff-zentren.org/publikationen/versorgungsberichte-der-baff/
(DIR) [6] https://www.baff-zentren.org/publikationen/versorgungsberichte-der-baff/
(DIR) [7] http://www.trixiewiz.de/flintraum/
(DIR) [8] /Psychologische-Hilfe-fuer-Gefluechtete/!6098152
## AUTOREN
(DIR) Bobby Rafiq
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