# taz.de -- Sehr prekäres Wohnen in der Stadt: Durch die Schlafzimmer anderer Menschen
       
       > Dass so viele Menschen draußen schlafen müssen, lässt sich in Berlin
       > nicht übersehen. Das lässt unsere Kolumnistin um die eigene Zukunft
       > bangen.
       
 (IMG) Bild: Obdachlosigkeit in Berlin: Ist die Stadt wirklich bereit für die Zukunft?
       
       „Berlin ist bereit für die Zukunft“, steht auf einem Plakat, das in meiner
       Bushaltestelle hängt. Es zeigt auf einer hübsch knallbunten Zeichnung eine
       Art Magnetschwebebahn in einer durchsichtigen Röhre über Solaranlagen,
       daneben einen futuristischen Hubschrauber und einen Palmengarten unter
       einer Glaskuppel, alles auf einer Wiese, auf der auch noch ein paar
       Windräder stehen – eine grüne Idylle. Mit dem wirklich sehr schönen Bild
       hat ein Grundschulkind den Plakatwettbewerb einer Initiative für
       nachhaltige Stadtentwicklung gewonnen – und ich denke, das verspricht für
       die Zukunft des Kindes das Allerbeste, bin aber, was Berlin angeht, da
       nicht so optimistisch. Auf den Sitzen in der Bushaltestelle liegen ein paar
       Erdbeerreste und zerknüllte Papiertücher, darunter eine leere Dose
       Thunfisch und ein Plastiklöffel – vermutlich die Reste des Frühstücks einer
       Person, die in der Regennacht in dem Unterstand übernachtet hat.
       
       Ich verstehe, warum auf dem Bild über die Zukunft Berlins keine Wohnhäuser
       zu sehen sind – das Thema des Malwettbewerbs der Initiative lautete
       „Gemeinsam unterwegs. Meine Idee für die Mobilität der Zukunft“. Ich
       verstehe auch, warum sich jemand, der keine Wohnung hat, in einem
       regnerischen Sommer in einem Bushäuschen schlafen legt. Hier ist die Person
       immerhin vor dem Wasser von oben geschützt, wenn auch nicht vor dem, das
       unter den nicht bis ganz nach unten reichenden Wänden in das Häuschen
       hineinlaufen kann. Und auf dem Boden muss man liegen, denn es gibt keine
       Bank, sondern gewölbte Schalensitze, auf denen man nicht schlafen kann. Das
       ist vermutlich so, damit niemand hier übernachtet. Was ich nicht verstehen
       kann. Ist Berlin so tatsächlich bereit für die Zukunft?
       
       Auf meinem Weg zur Arbeit gehe ich oft durch die Schlafzimmer anderer
       Menschen – ganz ohne es zu wollen beziehungsweise vermeiden zu können. Da
       liegt die große Matratze der Frau, die seit Langem am Hermannplatz schläft
       und an die ich mich noch aus der Zeit erinnern kann, als sie oft von ihrem
       Mann erzählte, nach dem sie suchen würde.
       
       Jetzt redet sie nicht mehr viel. In den Nischen im Gebäude direkt daneben
       stapeln sich die Habseligkeiten von zwei Junkies, die dort ihre Nächte
       verbringen, ebenfalls seit Langem – man kann sagen, sie wohnen dort. Immer
       öfter sehe ich morgens am Hermannplatz aber auch Menschen einfach auf dem
       Bürgersteig schlafen, den Kopf auf den Armen, ohne alles: keine Decke,
       keine Matte, kein Rucksack. Tagsüber sind sie alle weg, irgendwo unterwegs.
       Sie sind sehr mobil. Das müssen sie wohl.
       
       Den Bundeskanzler stört, dass der Staat Mieten für arme Menschen übernimmt,
       die bei bis zu 20 Euro pro Quadratmeter lägen. Auch das verstehe ich, mich
       stört es auch: Ich finde diese Mieten viel zu hoch. Das sieht der
       Bundeskanzler allerdings anders als ich: Er findet nicht die Mieten zu
       hoch, sondern die Mietzuschüsse.
       
       Was ich nicht verstehe: An wen denken Leute wie er, wenn sie an die Zukunft
       denken? An arme Menschen jedenfalls sicher nicht.
       
       Wie und wo sollen die denn alle wohnen? Die Pflege- oder Bauhelfer*innen,
       ungelernten Putzkräfte, Lieferfahrer*innen, die schlecht bezahlte Jobs
       machen und irgendwann eine noch schlechtere Rente kriegen? Ohne die aber
       nicht nur Berlin weder reif für die Zukunft wäre noch für die Gegenwart?
       
       Ich befürchte ja ehrlich gesagt, dass die meisten unserer Regierenden nicht
       reif für die Zukunft sind, darüber einfach zu wenig oder zu beschränkt
       nachdenken – weniger als beispielsweise Grundschulkinder. Die haben dann
       allerdings, falls ich mit meiner Befürchtung recht habe, auch allen Grund
       dazu. Die Zukunft beginnt ja jeden Moment.
       
       2 Aug 2025
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Alke Wierth
       
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