# taz.de -- K-Frage zur Abgeordnetenhauswahl 2026: Rote Ratlosigkeit
       
       > Zur Berlin-Wahl 2026 haben im Mitte-links-Lager bislang nur die Grünen
       > die Kandidatenfrage geklärt. Bei der SPD droht ein parteiinterner
       > Qual-O-Mat.
       
 (IMG) Bild: Geht das jetzt immer so weiter? Seit 2023 besetzt CDU-Senatschef Kai Wegner den Chefsessel im Roten Rathaus
       
       Berlin taz | Der Rüffel der beiden Vorsitzenden der Berliner SPD kam
       postwendend: „Es gilt jetzt, den größtmöglichen Erfolg der Partei vor
       eigene Ambitionen zu stellen“, teilten Martin Hikel und Nicola
       Böcker-Giannini am Montagmorgen mit. Einen Aufruf zur Geschlossenheit der
       Hauptstadt-SPD gab es obendrauf. Adressiert war das Ganze vor allem an die
       Genossin Franziska Giffey.
       
       Die Wirtschaftssenatorin hatte kurz zuvor öffentlich gefordert, die Frage
       der Spitzenkandidatur für die im kommenden Jahr anstehende
       Abgeordnetenhauswahl nicht den Parteifunktionären zu überlassen.
       Stattdessen solle die SPD-Basis abstimmen. „Jede Kandidatur, egal wer es am
       Ende macht, braucht die breite Unterstützung in der Partei“, sagte Giffey.
       Und machte dann auch deutlich, wen sie im Fall einer Mitgliederbefragung
       ins Rennen schicken würde: sich selbst.
       
       Giffeys Kalkül ist unschwer zu entschlüsseln. Sie weiß, dass der
       SPD-Landesvorstand keinerlei Interesse daran zeigt, die ehemalige
       Regierende Bürgermeisterin und Spitzenkandidatin bei den Wahlen 2021 und
       2023 erneut aufs Schild zu heben. An der konservativeren Parteibasis könnte
       das anders aussehen für die Frau vom konservativen Flügel. Glaubt zumindest
       Giffey.
       
       Ob sie damit richtig liegt, sei dahingestellt. Auch an der Basis haben
       viele in Erinnerung, dass Franziska Giffey vor mehr als zwei Jahren eine
       folgenschwere Richtungsentscheidung für die SPD traf: Obwohl nach der
       Wiederholungswahl 2023 eine Fortsetzung der Koalition mit Grünen und Linken
       möglich gewesen wäre, räumte sie den Chefinnensessel im Roten Rathaus und
       koalierte mit der CDU als Wahlsiegerin.
       
       ## Giffeys gescheiterte Strategie
       
       Auf die Frage nach dem Warum antwortete Giffey damals: „Weil ich weiter
       denke, als jetzt ein Amt zu bekommen und in drei Jahren eine SPD zu sehen,
       die in einer noch schwierigeren Lage ist als jetzt.“
       
       Und heute? Gut 14 Monate vor der nächsten Wahl zum Landesparlament
       [1][steht die SPD in Berlin in Umfragen bei 14 Prozent]. Das sind noch mal
       viereinhalb Punkte unter dem für die einstige „Berlin-Partei“ ohnehin schon
       katastrophalen Ergebnis von 2023. Giffeys Strategie, als Juniorpartnerin in
       einem Zweierbündnis auf Stabilität zu setzen, statt die zuweilen
       zerstrittene rot-grün-rote Koalition weiter anzuführen, ist also krachend
       gescheitert.
       
       Giffey erklärte jetzt zwar, dass die SPD noch über ein Jahr Zeit habe, um
       sich bis zur Wahl am 20. September 2026 zu berappeln: „Da ist noch alles
       möglich.“ Stimmt auch, nur eben nicht mit Giffey, heißt es aus führenden
       Parteikreisen.
       
       Wer Giffey wählt, wählt CDU. So oder so ähnlich war es 2023 zu lesen. So
       oder so ähnlich wird auch Raed Saleh argumentieren, wenn es zum
       innerparteilichen Schwur kommt. [2][Der SPD-Fraktionschef im
       Abgeordnetenhaus verhehlt nicht, dass auch er gern ins Rote Rathaus ziehen
       will.] Entsprechend bedient er seit Längerem das linke Gewissen seiner
       Partei, schlägt einen neuen Mietendeckel vor, hat sein Herz für das
       Vergesellschaftungsgesetz entdeckt.
       
       Vergessen und vorbei, dass es neben Giffey auch Saleh war, der sich
       seinerzeit als „Totengräber von Rot-Grün-Rot“ hervortat. CDU-Fraktionschef
       Dirk Stettner bescheinigte dem Koalitionspartner mit Blick auf [3][Salehs
       Vergesellschaftungs-Allüren] inzwischen sogar, „auf radikalem
       Linksaußenkurs“ zu sein. Saleh dürfte das zupasskommen.
       
       ## Kiziltepe unter Beschuss
       
       Gleiches gilt für die seit einiger Zeit in den Medien zu beobachtende
       Tendenz, eine dritte mögliche SPD-Kandidatin aus dem inner circle
       abzuschreiben. Die Rede ist von Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe. Saleh
       hatte die Kreuzberger Parteilinke 2023 von einem gut dotierten Posten im
       Bund nach Berlin zurückgeholt. Lange wurde sie als seine Vertraute
       bezeichnet, die als solche zur Spitzenkandidatin aufgebaut werden solle.
       
       Von B.Z. bis Tagesspiegel heißt es nun unisono, die Senatorin und
       SPD-Landesvize sei nicht zu höheren Weihen berufen, sie habe sich durch
       ihre Initiativen selbst ins Aus gestellt – zuletzt im Zusammenhang mit
       ihrem Versuch, die Stelle einer Ansprechperson des Landes gegen
       antimuslimischen Rassismus einzurichten. [4][In der entscheidenden
       Senatssitzung Anfang Juli schaltete die CDU auf stur und ließ Kiziltepe
       auflaufen.]
       
       Dabei kam die Initiative nicht im Geringsten überraschend. Schon im
       November 2024 wurde sie von der SPD angekündigt. Genauer: von Fraktionschef
       Raed Saleh höchstpersönlich. [5][Kiziltepe zeigte sich damals offen für
       Salehs Vorschlag und erklärte, sie werde ihn prüfen.] Jetzt wollte sie ihn
       umsetzen.
       
       Doch wenn Kiziltepe geglaubt haben sollte, der Fraktionschef würde ihr im
       aktuellen Streit mit der CDU den Rücken stärken, sah sie sich getäuscht.
       Der sonst omnipräsente Saleh schwieg zu den Angriffen. Der Vertrautenstatus
       hat bei ihm keine lange Halbwertszeit. Was zählt: eine Konkurrentin
       weniger.
       
       ## Sozialdemokratische Exenjagd
       
       Ob es ihm nutzt? Aus dem SPD-Landesvorstand ist zu hören, dass man auf
       einen Spitzenkandidaten Raed Saleh gut verzichten könne. Die Mahnung der
       Vorsitzenden, die eigenen Ambitionen jetzt bitte mal zurückzustellen, bezog
       sich demnach auch auf den umtriebigen Strippenzieher aus Spandau.
       
       Die obersten Parteigremien haben unterdessen eine eigene Findungskommission
       in die Spur geschickt, die inner- und außerhalb Berlins fleißig Klinken
       putzt, offenbar mit bislang mäßigem Erfolg. So sollen unter anderem Berlins
       Ex-Wirtschaftssenator Stephan Schwarz und Ex-Wissenschaftsstaatssekretär
       Steffen Krach dankend abgelehnt haben.
       
       Auch Ex-Bundesarbeitsminister Hubertus Heil wurde angefragt und soll
       zunächst abgewunken haben. Ob sein Nein immer noch gilt, ist offen. Am 22.
       September will die SPD-Spitze den Kandidaten oder die Kandidatin ihrer Wahl
       für die Wahl präsentieren. „Bis dahin müssen sich alle in Geduld üben“, so
       Martin Hikel und Nicola Böcker-Giannini.
       
       Allerdings sind die Chancen, dass die SPD auf der Pole-Position ins Rote
       Rathaus einzieht, derzeit ohnehin nicht groß. Sollte die SPD tatsächlich
       auf ein neues Bündnis mit Grünen und Linken setzen, wäre sie nach aktuellem
       Stand der Dinge die kleinste Koalitionspartnerin. [6][In der jüngsten
       Umfrage liegt die Linke mit 19 Prozent vorn], auf Platz zwei kommen die
       Grünen mit 15 Prozent. Rot-Grün-Rot wäre also möglich, nur dass das Rot der
       SPD in diesem Fall das der roten Laterne wäre.
       
       ## Rätselraten auch bei der Linken
       
       Wie die SPD hat aber auch die Berliner Linke ein K-Problem. Mit welcher
       Kandidatin oder welchem Kandidaten soll sie an den Haustüren klingeln? Mit
       der inzwischen in den Bundestag gewechselten Stadtentwicklungsexpertin
       Katalin Gennburg, die sich in ihrer Zeit im Abgeordnetenhaus einen Namen
       als SPD-Schreck gemacht hat und schon 2021 für ein Ende des Bündnisses mit
       Sozis und Grünen trommelte? Oder setzen die Linken gleich auf einen
       Aktivistenpolitiker wie den ebenfalls in den Bundestag gewählten Neuköllner
       Ferat Koçak?
       
       Sollte sich die Partei bewusst dafür entscheiden, unabhängig vom Ausgang
       der Wahl nicht (mit-)regieren zu wollen, wären Gennburg und Koçak sicher
       geeignet. Mit Rot-Grün-Rot dürfte es dann jedenfalls schwierig bis
       aussichtslos werden.
       
       Nicht wenige in der Linken hoffen auch deshalb auf eine andere Lösung von
       außen. Bundeschefin Ines Schwerdtner wäre eine solche, mehr noch die
       ehemalige Sozialsenatorin Katja Kipping. Beide stehen dem Vernehmen nach
       aber nicht zur Verfügung. Kipping, heißt es, fühle sich als
       Geschäftsführerin beim Paritätischen Gesamtverband wohl, Schwerdtner sei
       mit der massiv gewachsenen Bundespartei bestens ausgelastet.
       
       ## Elif Eralp als mögliche Spitzenkandidatin
       
       Vieles deutet bei der Linken letztlich darauf hin, [7][dass sie mit der
       ambitionierten Berliner Abgeordneten und Vize-Landeschefin Elif Eralp ins
       Rennen gehen könnte]. Die Kreuzbergerin gehört dem Landesparlament seit
       2021 an und hat sich als migrations- und antidiskriminierungspolitische
       Sprecherin der Linksfraktion schnell als kämpferische Rednerin profiliert.
       Anders als mit Gennburg oder Koçak können auch entscheidende Teile der
       SPD-Fraktion gut mit ihr.
       
       Mit der türkeistämmigen 44-Jährigen könnte die Linke zudem ihr Profil in
       Sachen Vielfalt schärfen. Erstmals in der Geschichte des Landesverbands
       würde die Partei mit einer vergleichsweise jungen Frau mit
       Migrationsgeschichte an der Spitze antreten. Aber auch hier will sich die
       Parteispitze vorerst nicht festlegen.
       
       „Das Thema Spitzenkandidatur werden wir in unseren Gremien beraten und im
       Herbst eine Entscheidung treffen“, bügelte jetzt Linke-Landeschefin Kerstin
       Wolter eine entsprechende Frage nach einer Kandidatin mit
       Migrationsgeschichte im Interview mit dem Tagesspiegel ab.
       
       So bleibt es dabei, [8][dass sich im Mitte-links-Lager bisher allein die
       Grünen festgelegt haben]. Mit einer etwas komplizierten Lösung: Die beiden
       Fraktionsvorsitzenden Werner Graf und Bettina Jarasch sollen die Partei
       zwar gemeinsam in den Wahlkampf führen, bei einem Wahlsieg aber würde nicht
       Jarasch, sondern Graf ins Rathaus ziehen. Er steht auf Platz eins.
       
       Lieber entschied sich der Landesvorstand für einen linken Mann als für eine
       realpolitische Frau. Aber auch da gilt: Graf ist nur zweite Wahl. Ein
       anderer linker Mann, Ex-Finanzsenator Daniel Wesener, hätte wohl die
       besseren Chancen gehabt. Viele in der Partei, selbst Realos, hätten sich
       Wesener gewünscht. [9][Doch der hat jüngst die Segel gestrichen.] Er will
       2026 nicht einmal mehr fürs Abgeordnetenhaus kandidieren.
       
       ## Bleibt nur die Qual?
       
       Hat Berlin 2026 wirklich eine Wahl? Oder bliebt am Ende nur die Qual?
       Angesichts der Schwächen bei der Konkurrenz scheint sich CDU-Landeschef und
       Amtsinhaber Kai Wegner die Hände reiben zu können. Doch vielleicht gibt es
       mit Wegner auch gar kein Weiter-so. Vielleicht wird das Rote Rathaus bald
       von Schwarz und Grün regiert? Ausgeschlossen ist das nicht.
       
       Die Sozialdemokraten, die Franziska Giffey und Raed Saleh in die Koalition
       mit der CDU und damit in die Bedeutungslosigkeit geführt hätten, wären dann
       raus aus dem Senat – zum ersten Mal seit 36 Jahren. Wenigstens diese Wahl
       haben die Berlinerinnen und Berliner.
       
       28 Jul 2025
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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