# taz.de -- Subkultur Heavy Metal: Autoritäten die Köpfe abbeißen
       
       > Wie hart bangt Metal im Globalen Süden? Beeindruckende Beispiele aus
       > Indonesien, Brasilien, Togo und Kuba beweisen das subversive Potenzial
       > des Genres.
       
 (IMG) Bild: Erste Reihe bei einem Konzert der indonesischen Death-Metal-Band Death Vomit in Salatiga im Februar 2010
       
       Einer der jüngsten Highlights der an Highlights reich gesegneten Geschichte
       des indonesischen Metal ist das jüngst erschienene zweite Album der
       Death-Metal-Band Incinerated. „The Epitome of Transgression“ gelingt, was
       ansonsten die allerdings ungleich verkopfteren und meditativeren Krallice
       in New York hinbekommen: drei lange Stücke, die das Tempo beständig
       wechseln, aber trotzdem jeweils ein einzelnes, in sich homogenes Brett
       ergeben.
       
       Blastbeat, Break, Einbruch, wieder alle los, alles verleimt von
       Grummelgitarre und mitteltief gestimmten Gekeife. Das ist alles
       mehrschichtiger, komplexer und aber auch unmittelbar magenmassierender als
       auf dem Incinerated-Debütalbum „Stellar Abomination“ (2020).
       
       Besonders schön der Zwölfminüter „Deciphering the Signs of Salvation“, bei
       dem sich anfangs Virtuosität, Durchkomponiertheit, lustige Basslinien und
       Ranzsoundästhetik passgenau verbinden, wie sonst nur im Spätwerk der
       britischen Bolzköpfe Napalm Death, um dann nach dreieinhalb Minuten
       gemeinsam abzuheben.
       
       Westliche Arroganz 
       
       Das Stück wirft beim Hören die Frage auf: Warum überrascht es eigentlich,
       dass [1][Death Metal aus Indonesien] so durchkomponiert, virtuos und
       wuchtig klingt wie jedes Genre-Meisterwerk aus New York? Was man als Sohn
       des Nordens für einige Jahrzehnte gratis leider mitbekam, war die westliche
       Arroganz.
       
       Pop, also auch Metal, der aus den Ländern des Globalen Südens kommt, hörte
       man intuitiv als irgendwie leicht defizitär – als bestenfalls gelungene,
       im weniger guten Fall als skurrile Imitation der westlichen Originale.
       
       Das ist zum Glück vorbei. Kulturelle Zeichen und musikalische Techniken
       lassen sich heute in einem weitaus größeren Maß und schneller verbreiten
       als zum Beispiel 1992. Wenn die musikalische Qualität offensichtlich
       unabweisbar wird, wird auch der retrospektive Blick weniger
       eurozentristisch und eindimensional doof.
       
       Metal war schon zu Zeiten der indonesischen Militärdiktatur zentraler
       Bestandteil der Jugend- und Subkultur des Inselreichs und kulturell so
       bedeutsam wie in wahrscheinlich keinem anderen als Schwellenland geltenden
       Staat. Metalbands galten der Kulturpolitik unter Suharto als „Setan Barat“,
       westliche Teufel, Alben wurden vielfach zensiert oder in vorauseilendem
       Gehorsam gar nicht erst veröffentlicht.
       
       Erweckungserlebnis mit Napalm Death 
       
       Zwei signifikante Momente symbolisieren die Spannbreite: 1990 kursierte das
       stilbildende Napalm-Death-Album „Harmony Corruption“ als Kassetten-Bootleg
       in der indonesischen Szene und wurde von vielen Fans, die kurz darauf
       selbst Bands gründeten, als Erweckungserlebnis beschrieben. Und 1993 kam es
       beim ersten Indonesien-Konzert von Metallica in Jakarta zu Ausschreitungen,
       die wiederum verstärkte Gängelung der gesamten Szene durch Staatsorgane zur
       Folge hatten.
       
       So bewegt sich die Metal-Produktion in einem Land, in dem junge Menschen
       unter vergleichsweise repressiven Bedingungen leben müssen, zwischen der
       Aufnahme und Weiterverarbeitung von Signalen aus den Herkunftsländern (im
       Falle von Napalm Death Großbritannien) und der Auseinandersetzung mit
       Staatsorganen, die westliche Bands und Fans wenn überhaupt, dann nur ganz
       punktuell und sehr viel früher erlebt hatten. Wer Napalm Death in
       Birmingham hört, erlebt etwas anderes als jemand, der sie in Jakarta auf
       einem Tape entdeckt.
       
       Interessant ist aber auch, wie der gesellschaftliche Kontext die
       Wahrnehmung von Hörer*innen des Globalen Nordens mitformen kann. Metal
       in seinen extremeren Spielarten, der unter repressiven oder gar
       diktatorischen Bedingungen erstanden ist, klingt anders als, um einmal das
       andere Extrem zu bemühen, wenn er aus einer US-Art-School kommt –
       allerdings erst, sobald man um diese Bedingungen weiß.
       
       Das gilt auch noch bei einer Band, die ihre Musik in einer inzwischen
       immerhin illiberalen Demokratie mit Mehrparteiensystem wie dem heutigen
       Indonesien fabriziert. Vielleicht weil im Land inzwischen wieder
       abgeschnittene Schweineköpfe an kritische Journalist*innen verschickt
       werden – mit anschließender demonstrativer Billigung der Regierung.
       
       Grindiges aus dem Brasilien der Achtziger 
       
       Die Musik von Incinerated wirkt kontextabhängig dringlicher, bedrohter und
       damit auch bedrohlicher als der Metal aus westlichen Produktionsstätten. Es
       gilt aber mehr noch für den Rückblick auf die Metal-Produktion aus den
       postkolonialen Ländern des Globalen Südens. Brasilien zum Beispiel:
       Holocausto und Vulcano, beide Mitte der achtziger Jahre, in den letzten
       Jahren der Militärdiktatur entstanden, klingen betont grindig und kunstlos,
       in dieser Hinsicht also konzeptuell vollständig stimmig und so, als würden
       sie, obwohl schon angeschossen, weiter durchs Land randalieren, um
       Autoritäten aller Art den Kopf abzubeißen.
       
       Trotz aller Unterschiede in den politischen Systemen zeigen sich ähnliche
       Dynamiken auch in Westafrika – etwa bei [2][Arka’n Asrafokor], der, so weit
       ich sehe, ersten in Togo entstandenen Extreme-Metal-Band, die allerdings
       dann mehr miteinander vermischt als im Genre gemeinhin üblich.
       
       Ein Hybrid: Sie unterscheidet sich insofern von Incinerated wie auch von
       den brasilianischen Metal-Urgesteinen, indem sie lokale westafrikanische
       Musiktraditionen und Neunziger-Jahre-Crossover in ihre Version von extremer
       Musik eingewebt hat, gesungen und gebrüllt wird auf Ewe (eine der Sprachen
       Togos) und Englisch, mit einem Augenzwinkern Richtung Französisch.
       
       Seit 2010 haben Arka’n Asrafokor zwei Alben, „Zã Keli“ (2019) „Dzikkuh“
       (2024) veröffentlicht. Die Band nennt es Asrafocore, die Musik des
       Kriegers. 2022 und 2023 tourte die Band bereits zweimal durch Europa. Auch
       hier schwingt der Rahmen – Do it yourself, Bands können sich auf nur wenige
       bestehende Strukturen verlassen, das Land ist ein autoritärer, repressiver
       Einparteienstaat – beim Hören mit und vermutlich auch in der Produktion der
       Musik selbst.
       
       Das Schillernde und Vielgestaltige der Songs von Arka’n Asrafokor lässt
       sich – analog zu den [3][politischen Protesten auf der Straße seit 2024] –
       als energetischer Angriff auf einer einbetonierte politische Landschaft
       lesen.
       
       Extreme-Metal mit Latin-Anteilen 
       
       Antiautoritäre Aggressionen schwingen auch verstärkt mit im Sound der 1996
       gegründeten und damit ersten kubanischen, munter durch die Subgenres
       hüpfenden [4][Extreme-Metal-Band Mephisto], die immer wieder Latin-Parts
       und Achtziger-Jahre-Keyboards in ihre Musik einbaut. Das Debütalbum,
       „Reborn from Ashes“, konnte erst 20 Jahre nach Bandgründung erscheinen, das
       zweite, „Pentafixion“, dann 2021.
       
       Es kreischt und grunzt, den Metatext liefert Sänger Osney Cardoso Riaño für
       den subversionsinteressierten europäischen Hörer in [5][einem Interview]
       nach: „Wir kämpfen weiterhin gegen die Ablehnung von Metal, den die
       kubanischen Behörden und Medien nicht verstehen und ihn als ideologische
       Waffe des Feindes aus dem Norden sehen.“
       
       Indonesien, Brasilien, Togo und Kuba sind Länder des Globalen Südens und in
       ihrer Geschichte sehr unterschiedlich, bei allen Überschneidungen in ihrer
       Gegenwart als postkoloniale Länder.
       
       Was die Metal-Bands dieser Länder verbindet und von denen aus den Ländern
       des Globalen Nordens unterscheidet, ist die Produktion unter erschwerten
       Bedingungen, die Qualität der Musik und der Eindruck einer Dringlichkeit,
       die nicht zwangsläufig musikimmanent sein muss, sondern sich auch aus dem
       Wissen (und sei es aus dem Halbwissen) von Hörerin und Hörer um den
       gesellschaftlichen Kontext speisen kann. First world problems und
       Saturiertheit hier, Repression und politischer Kampf dort.
       
       Noch ein paar Jahre, und man kann, wenn es schlecht läuft, Metal aus den
       von Donald Trump regierten USA vielleicht auf ähnliche Weise hören.
       
       14 Aug 2025
       
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