# taz.de -- „Echtzeitmusik“-Konzert: Splittrige Sounds in der bröckelnden Mall
       
       > Abstrakte Musik in der leerstehenden Rossmann-Filiale. Das Splitter
       > Orchester erprobt eine neue Art der Zwischennutzung und des Zuhörens.
       
 (IMG) Bild: Die Glühbirnen musizieren mit. Das Splitter Orchester performt in einer leerstehenden Rossmann-Filiale
       
       Donnerstagnachmittag in einer Einkaufspassage, die bessere Zeiten gesehen
       hat, ein paar Meter vom Gesundbrunnen-Center. Obwohl diese Mini-Mall erst
       siebzehn Jahre auf dem Buckel hat, stehen die Zeichen auf Niedergang:
       Zwischen Kaufland und Billigläden reichlich Leerstand – zur Zerstreuung ist
       hier kaum einer, die Leute wirken gehetzt.
       
       Immerhin: Diese Woche ist etwas anders. Wo einst Rossmann war, kann man
       reingucken wie in ein Aquarium: auf Leute, die Seltsames tun. Vor allem
       gibt es Ungewohntes zu hören. Viele bleiben stehen, die meisten nur kurz.
       Es ist schließlich durchaus gewöhnungsbedürftig, was die Musiker:innen
       des Splitter-Orchesters, die hier seit Tagen werkeln, mit ihren
       Instrumenten anstellen.
       
       Gerade steht ein letzter Durchlauf an, bevor in 24 Stunden die fünfstündige
       Performance beginnt. Der Begriff „Probe“ trifft es nicht ganz, denn das aus
       der „Echtzeitmusik“-Szene entstandene Orchester versteht sich nicht als
       homogener Klangkörper. Eher besteht es aus spezialisierten
       Musiker:innen und Komponist:innen, die als Kollektiv improvisieren. Im
       Anschluss besteht dann auch Diskussionsbedarf.
       
       Wer hat wen klanglich überrollt? Wann dröhnte es zu sehr, in diesem
       akustisch doch speziellen Raum mit seinen niedrigen Decken? Einig wird man
       sich nicht unbedingt, doch bevor die Laune kippt, deeskaliert einer der
       Musiker: „Hey, es ist doch nur Musik.“
       
       ## Das Ensemble ist basisdemokratisch organisiert
       
       Das anstehende Konzert ist der zweite von vier Live-Terminen dieses Jahr.
       Für gewöhnlich spielt das Berliner Orchester selten in seiner Heimatstadt.
       Zum 15. Geburtstag beschenkt es jedoch die Öffentlichkeit und sich selbst
       mit einer Reihe, die sie an verschiedenste Ort führt. Patrick
       Klingenschmitt, der sich als „organisatorischen Arm“ des basisdemokratisch
       organisierten Ensembles bezeichnet, erzählt, wie es dazu kam:
       
       „In den letzten Jahren kristallisierte sich heraus, wie elementar die Räume
       sind, in denen wir spielen, für das, was entsteht. So entstand die Idee,
       zum Jubiläum das Ortsspezifische zum zentralen Thema zu machen. Zudem
       wollen wir sehen, wie wir zum Austausch kommen können mit Leuten, die sonst
       nie zu [1][Splitter-Konzerten] gehen.“
       
       Zumindest diesbezüglich erweist sich die Einkaufspassage als Punktlandung.
       Der einstige Drogeriemarkt [2][ist nicht die einzige Ladenfläche, der
       zwischengenutzt wird]. Gleich nebenan ist eine Galerie eingezogen,
       ebenfalls vermittelt von der darauf spezialisieren Organisation Culterim.
       
       Im Mai war das Orchester zusammen mit der Choreografin und
       [3][Butoh-Tänzerin Yuko Kaseki] in der Zwinglikirche. Diesmal arbeiten sie
       mit Michael Vorfeld, selbst Echtzeit-Musiker und zudem Spezialist für
       Lichtinstallation und -performance. Auf dass eine Art Skulptur entsteht,
       damit nicht nur ein akustischer Eindruck bleibt.
       
       ## Die Glühbirnen musizieren mit
       
       Die mitmusizierenden Glühbirnen sind clusterartig arrangiert und wirken
       durch ihr wildes Geblinke tatsächlich wie Lebensadern, die die
       Orchestermusiker:innen miteinander verbinden. Die sitzen über den
       ganzen Raum verteilt, als am nächsten Tag der Konzertmarathon beginnt.
       
       Aus den Glühlampen – genauer gesagt: aus der Spannung, die durch solche bis
       vor zwanzig Jahren handelsüblichen Glühbirnen fließt – generiert Vorfeld
       Töne. Die sind mal knisterig-nervös, wie man sich den Klang einer Glühlampe
       eben vorstellt.
       
       Manchmal entlockt er ihnen jedoch auch ganz tiefe Bässe. Oder technoide
       Rhythmen. Rätsel der Physik. Vorab hatte sich der Lichtkünstler eine
       75-minütige Struktur ausgedacht, die in den fünf Stunden viermal
       durchläuft. „Trotzdem ist jeder Durchgang anders“, erläutert
       Klingenschmitt. „Die Struktur gibt den Musiker:innen Raum zu agieren –
       nicht nur zu reagieren.“
       
       Unter anderem erklingen Trompete, Geige, Schlagzeug, Bass und Klarinette.
       Und natürlich elektronische Sounds. Das Gros der Instrumente ist jedoch
       klassisch und generiert doch Ungewohntes. Von der Strukturierung der Sounds
       mal ganz abgesehen: Mal scheint die Improvisation fast in sich
       zusammenzufallen, dann wieder befeuern sich die Stränge gegenseitig.
       
       ## Je später der Abend desto konzentrierter wird zugehört
       
       Freitagnachmittag besteht gefühlt ein Drittel des Publikums aus
       Laufkundschaft, beladen mit Einkaufstüten, angelockt von einem Mix aus
       Belustigung und Neugier. Einige lassen sich ansaugen und bleiben etwas
       länger.
       
       Die Leute durchmischen sich. Einige liegen auf dem Boden, andere hocken auf
       Hockern. Manche laufen zwischen den Musiker:innen umher. Ein großes
       Ensemble bietet eben immer auch Schauwerte. Je später der Abend, desto mehr
       eingefleischte Splitter-Fans – womit auch Verweildauer und Konzentration
       steigen.
       
       Doch ein bisschen durchgelüftet wurde sie zweifellos: die kleine Nische, in
       der derart abstrakte Musik gemeinhin stattfindet.
       
       14 Jul 2025
       
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