# taz.de -- Streik bei Tiktok: Content-Moderator:innen im Straßenkampf
       
       > Weil sie durch KI ersetzt werden sollen, legen Tiktoks
       > Content-Moderator:innen in Berlin die Arbeit nieder. Der Streik könnte
       > ein weltweites Vorbild werden.
       
 (IMG) Bild: Wollen sich nicht wegrationalisieren lassen: Berlins Tiktok-Angestellte
       
       Dies ist keine gewöhnliche Streikkundgebung, das wird schon auf den ersten
       Blick klar. Die rund 100 Beschäftigten der beliebten Videoplattform Tiktok
       stehen dicht gedrängt auf einem Ausflugsdampfer. „We train your machines,
       pay us what we deserve“ – Wir trainieren eure Maschinen, bezahlt uns, was
       wir verdienen, rufen die Streikenden, während das Schiff am Spreeufer
       anlandet. Nur wenige hundert Meter weiter, im gentrifizierten Ostteil
       Berlins, befindet sich Tiktoks Niederlassung in Deutschland.
       
       Der chinesische Social-Media-Konzern hat im März angekündigt, die gesamte
       „Trust and Safety“ Abteilung, die für die Moderation von Inhalten
       verantwortlich ist, am Berliner Standort entlassen zu wollen. Dagegen
       wehren sich nun die Beschäftigten und fordern eine deutlich höhere
       Abfindung und Kündigungsfrist.
       
       „Wir schreiben gerade Geschichte“, sagt Verdi-Aktivist Daniel Gutiérrez,
       der Ausstand heute sei „weltweit der erste große Streik bei einem der
       großen Social-Media-Riesen“. Nur 2018 hatte es ei ne vergleichbare Aktion
       gegeben, als weltweit Google-Mitarbeiter:innen die Arbeit
       niederlegten, um gegen den Umgang mit Sexismus im Unternehmen zu
       protestieren.
       
       Betrachtet man die Umstände des Berliner Tiktok-Streiks, so könnte der
       Ausstand auch in anderen Tech-Unternehmen Schule machen. Denn die insgesamt
       150 Arbeiter:innen sollen durch KI-basierte Lösungen und Outsourcing in
       Drittunternehmen ersetzt werden. Besonders bitter: Die
       Content-Moderator:innen am Berliner Standort waren in den letzten Monaten
       maßgeblich daran beteiligt, den Algorithmus, der sie jetzt ersetzen soll,
       zu trainieren.
       
       Die Beschäftigten beschreiben die Arbeit in der Content-Moderation als
       extrem belastend. Gewalt, Kriegsszenen und [1][rechtsextreme Propaganda]
       auszusortieren gehört zum Berufsalltag. „Das wird alles abgespeichert,
       manchmal sehen wir es in unseren Träumen“, sagt Tiktok-Moderatorin Sara
       Tegge der taz. Um die Belastungen zu kompensieren, fordert Verdi eine
       Abfindung von drei Jahresgehältern und eine auf ein Jahr erweiterte
       Kündigungsfrist.
       
       Für Tegge und ihre Kollegen ist der Arbeitskampf ein guter Weg, mit der
       drohenden Kündigung umzugehen. „Wir stehen nicht alleine da mit unserem
       Frust und unseren Sorgen“, sagt die Content-Moderatorin. Immer mehr
       Kolleginnen würden sich der Gewerkschaft anschließen und sich trauen, den
       Mund aufzumachen. Das sei keine Selbstverständlichkeit, gerade der
       Tech-Sektor sei nicht dafür bekannt, gewerkschaftlich stark organisiert zu
       sein, sagt Verdi-Aktivist Gutiérrez. „Es arbeiten viele Migranten und junge
       Leute dort, die ihre Rechte nicht kennen.“
       
       Offiziell sind die Kündigungen noch nicht ausgesprochen. Tiktok selbst
       spricht von „einem Vorschlag zur Konsolidierung“. Dazu sollen an weniger
       Standorten „Arbeitsabläufe gestrafft und die Effizienz verbessert“ werden.
       In Zukunft soll die Moderation aber weiterhin durch ein Zusammenspiel von
       automatisierten Systemen und menschlichen Mitarbeiter:innen erfolgen.
       
       Wirtschaftliche Probleme dürfte das Unternehmen aber keine haben. Im
       vergangenen Jahr konnte Tiktok seine Werbeeinnahmen um über 40 Prozent auf
       geschätzt 23 Milliarden US-Dollar steigern.
       
       Tech-Experte Oliver Marsh vom Verein Algorithm Watch sieht den Schritt als
       Experiment, um noch profitabler zu werden: „Wenn sie merken, dass es
       funktioniert, werden sie es [2][auf andere Bereiche übertragen].“ Auch
       andere Tech-Konzerne dürften bald dem Beispiel Tiktoks folgen. „Das einzige
       Problem, das künstliche Intelligenz lösen soll, ist die Abhängigkeit des
       Unternehmers von menschlicher Arbeit“, sagt Gutiérrez.
       
       Derweil fürchten Expert:innen wie Marsh, dass durch die Einsparung
       menschlicher Moderator:innen die Qualität der Inhalte immer weiter
       abnimmt und Falschmeldungen und Hetze immer weiter verbreitet werden. Statt
       nachvollziehbarer Content-Moderation werden willkürliche Sperrungen
       zunehmen. „Ein Algorithmus ist immer in die eine oder andere Richtung
       voreingenommen. Problematisch ist es, wenn es keine Menschen gibt, die ihn
       korrigieren“, sagt Marsh.
       
       Die Arbeiter:innen wollen sich jedenfalls nicht lautlos
       wegrationalisieren lassen. Der nächste Streiktag steht bereits fest. Am
       Montag soll es weitergehen.
       
       23 Jul 2025
       
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