# taz.de -- Deutsche Wohnen &. Co enteignen: „Wir müssen den schlafenden Riesen wecken“
       
       > Die SPD will per Vergesellschaftung einen neuen Mietendeckel – und nicht
       > enteignen. Ein Gespräch über Gemeinwirtschaft und politische
       > Glaubwürdigkeit.
       
 (IMG) Bild: Ein neuer Mietendeckel über Artikel 15? Für DWE enteigenen ein „verfassungsrechtlicher Amoklauf“
       
       taz: Herr Schlüsselburg, die SPD hat vergangene Woche mit einem neuen
       Konzept für einen Mietendeckel überrascht. Was ist Ihre Idee? 
       
       Sebastian Schlüsselburg: Wir haben kein Konzept für einen Mietendeckel 2.0
       vorgelegt, sondern unseren [1][Arbeitsentwurf für das kommende
       Vergesellschaftungsrahmengesetz]. Die Öffentlichkeit hat sich dann
       besonders dafür interessiert, dass eine der Möglichkeiten, den
       Vergesellschaftungsartikel 15 im Grundgesetz anzuwenden, Preis-,
       Investitions- oder Gewinnvorgaben sind. Daraus könnte zum Beispiel ein
       neuer Mietendeckel werden.
       
       taz: Um was geht es noch? 
       
       Schlüsselburg: Der Artikel 15 ist ein schlafender Riese. Der zentrale
       Begriff im Artikel ist die „Gemeinwirtschaft“. Die Überführung des
       Eigentums eines Unternehmens in Gemeineigentum ist Teil davon. Aber
       unterhalb des Eigentumsentzugs steht dem Staat ein ganzer
       Instrumentenkasten zur Verfügung. Hier ist viel mehr möglich, als das, was
       bisher diskutiert wird. Wir wollen gewissermaßen aufzeigen, dass Artikel 15
       nicht nur den teuren Holzhammer beinhaltet, sondern auch das Florett oder
       Skalpell, mit dem wir mehr Menschen helfen können.
       
       taz: Sie sprechen von einem „mehr“. Für viele wird sich der Verzicht auf
       Enteignungen eher nach einem „weniger“ anhören. Die Berliner:innen
       haben doch per Volksentscheid entschieden, dass sie die Enteignung der
       großen Immobilienkonzerne wollen. Warum sträubt sich die SPD so dagegen? 
       
       Schlüsselburg: Die SPD sträubt sich nicht, im Gegenteil. Die SPD war es,
       die im Erfurter Programm (von 1891; Anm. d. Red.) erstmals die
       Sozialisierung von Produktionsmitteln in ein Parteiprogramm geschrieben
       hat. Es waren Sozialdemokrat:innen, die dafür gesorgt haben, dass das
       bundesdeutsche Grundgesetz 1949 einen Artikel 15 bekommen hat.
       
       taz: Das ist lange her.
       
       Schlüsselburg: Und nun wird es aller Voraussicht nach die Berliner SPD
       sein, die mit der CDU das erste Mal in der Geschichte ein Rahmengesetz
       vorlegt, um Artikel 15 zum Leben zu erwecken. Das historische Verdienst
       [2][der Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen] ist es, durch einen
       erfolgreichen Volksentscheid den Auftrag zur Anwendung des Artikels 15 im
       Wohnungsbereich formuliert zu haben. Aber vielleicht lohnt es sich, darüber
       nachzudenken, mit welchen Instrumenten wir mehr Leuten schneller und auch
       günstiger helfen können.
       
       taz: Warum ist es Ihrer Meinung nach besser, sich im Mietenbereich etwa auf
       Preisgrenzen zu beschränken? 
       
       Schlüsselburg: Wir haben in Berlin im Jahr 2025 die Situation, dass wir
       aufgrund des internationalen Finanzkapitalismus gar nicht mehr genau
       wissen, wem eigentlich welche Wohnungen gehören. Wir wissen das nur bei
       einigen großen Konzernen, etwa bei Vonovia. Wenn wir Artikel 15 für die
       Enteignung anwenden, müssen wir es aber genau wissen und formulieren,
       sodass das Gesetz vor dem Verfassungsgericht hält. Wäre es so einfach,
       hätte die Initiative wohl schon längst ihr Gesetz vorgelegt. Die Wohnungen
       in „andere Formen der Gemeinwirtschaft“ zu überführen, wie es im
       Grundgesetz heißt, ist da vielleicht nicht nur rechtssicherer, sondern auch
       einfacher. Und es erwischt im positiven Sinne alle Mieter:innen auf dem
       Markt, weil wir allen privaten Vermieter:innen verbindliche Vorgaben
       machen können.
       
       taz: Nach dem Volksentscheid hat die SPD eine Expert:innenkommission
       einberufen. Dann hat Franziska Giffey lieber auf den
       Bürgermeisterinnentitel verzichtet, als mit Linken und Grünen zu koalieren.
       Jetzt kommt ein Rahmengesetz, das erst zwei Jahre nach Beschluss in Kraft
       treten soll. Und dann, irgendwann, soll Artikel 15 vielleicht doch noch
       angewendet werden – aber es soll nicht enteignet werden. Können Sie nicht
       verstehen, dass Aktivist:innen [3][von Verschleppung sprechen]? 
       
       Schlüsselburg: Ich kann verstehen, dass die Leute ungeduldig sind. Jede:r
       Berliner:in, die unter den aktuellen kapitalistischen Marktbedingungen zur
       Miete wohnt, leidet. Was den Mietenden nicht hilft, ist dieser Vorwurf der
       Verschleppung, insbesondere, wenn er von Grünen und Linken formuliert wird.
       
       taz: Warum? 
       
       Schlüsselburg: Erstens, weil das Eckpunktepapier für das Rahmengesetz, was
       wir jetzt beschlossen haben, das gleiche ist, was auch schon Bestandteil
       des Koalitionsvertrages von Grünen, Linken und SPD war. Und zweitens sind
       wir doch mit dem sehr mutigen Versuch, über den Mietendeckel den
       Wohnungsmarkt zu regulieren, auf die Fresse geflogen. Der Mietendeckel hat
       damals bei vielen Menschen Hoffnungen und Begeisterung geschürt und, als
       Karlsruhe den Deckel gekippt hat, für Politikverdrossenheit und
       Enttäuschung gesorgt.
       
       taz: Deswegen braucht es zunächst das Rahmengesetz? 
       
       Schlüsselburg: Genau. Wir brauchen die Rückmeldung vom Verfassungsgericht,
       welche der Kriterien und Paragrafen, die wir in das Gesetz hineinschreiben,
       mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Würden wir jetzt direkt mit einer
       sofortigen Rechtsänderung zur Anwendung schreiten, könnte Karlsruhe das
       Gesetz komplett abwickeln – und das wäre in Zeiten, in denen die Demokratie
       ohnehin schon permanent von rechts unter Beschuss steht, gefährlich.
       
       taz: Warum soll auf Landesebene überhaupt ein neuer Mietendeckel möglich
       sein? Karlsruhe hat doch klar gesagt: Dafür hat Berlin keine
       Gesetzgebungskompetenz. 
       
       Schlüsselburg: Es gibt zu Artikel 15 noch überhaupt keine Gesetze oder
       Rechtsprechung, weder auf Landes- noch auf Bundesebene. Da haben die Länder
       völlig freie Hand. Worauf man aber tatsächlich achten muss, ist, die
       Spielregeln der Gewinnmaximierung so klar zurückzuweisen, dass wirklich
       eine neue Form der Gemeinwirtschaft im Wohnungswesen entsteht. Eine
       Preisvorgabe für eine bestimmte Zeit wird da nicht reichen. Wir brauchen
       einen Mix an Maßnahmen, damit klar ist, dass wir uns grundlegend von der
       profitorientierten Wirtschaftsweise wegbewegen.
       
       taz: Auch die Initiative spricht dieses Problem an. Sie sagt, dass ein
       Mietendeckel nicht unter Artikel 15 fallen könne, weil Preisobergrenzen
       keine grundsätzliche Abkehr vom kapitalistischen Wirtschaftsprinzip sind,
       wie es aber der Begriff „Gemeinwirtschaft“ erfordert. Die Initiative
       bezeichnet deshalb Ihren Vorschlag als „verfassungsrechtlichen Amoklauf“. 
       
       Schlüsselburg: Ich fände es gut, wenn wir alle Vorschläge, die im Moment
       gemacht werden, konstruktiv diskutieren und weiterentwickeln. Und wenn ich
       mir die Literatur zu Artikel 15 angucke, dann sagen auch die konservativen
       Kommentator:innen: Ja, die Bundesländer können eingreifen, wenn der
       Eingriff eine so entsprechende Qualität hat, dass er dem Kriterium der
       Gemeinwirtschaft entspricht. Ich glaube wirklich, dass wir in diesem
       Bereich die meisten Spielräume haben. Es über Artikel 15 zu versuchen, ist
       besser, als sich darauf zu beschränken, die Lobbypartei CDU auf Bundesebene
       anzubetteln, doch bitte die Länderöffnungsklausel für einen Mietendeckel
       nicht länger zu blockieren. Wir müssen zweigleisig fahren.
       
       taz: Mit dieser „Lobbypartei CDU“ regieren Sie auch in Berlin. Sie glauben
       doch nicht ernsthaft, dass Sie mit der CDU einen neuen Mietendeckel
       durchkriegen? 
       
       Schlüsselburg: Gerade sind wir an dem Punkt, dass wir mit der CDU zusammen
       in der letzten Plenarsitzung am 18. Dezember dieses Jahres ein Rahmengesetz
       vorlegen werden. Das rechne ich der CDU auch hoch an, dass sie hier Wort
       hält. Dieses Gesetz werden wir im Frühjahr beschließen. Und wenn die CDU
       dann meint, im Wohnungsbereich sei keine Regulierung über die unzureichende
       Bundes-Mietpreisbremse hinaus nötig, dann nehme ich das zur Kenntnis. Wir
       als SPD werden sicherlich einen Vorschlag für ein erstes Anwendungsgesetz
       machen – und dafür bei den Berliner:innen werben. Dann werden wir ja
       sehen, was überzeugt und welche Mehrheiten im Abgeordnetenhaus zustande
       kommen.
       
       taz: Das klingt ja alles recht kämpferisch, aber die SPD hat in den letzten
       Jahren sehr oft links geblinkt, um dann rechts abzubiegen. Halten Sie es
       für glaubwürdig, dass die SPD das Mietenthema jetzt vor den Wahlen wieder
       in den Mittelpunkt stellt? 
       
       Schlüsselburg: Dass die Glaubwürdigkeit der SPD beim Mieterschutz gelitten
       hat, das ist ja offensichtlich, da müssen wir nicht drum herumreden. Wir
       konnten auf Bundesebene wegen FDP und CDU unser Versprechen, die Öffnung
       der Mietendeckelklausel, nicht durchsetzen. Da ist viel Vertrauen verloren
       gegangen. Aber ohne die SPD wird es weder in Berlin noch im Bund eine
       Konstellation für mehr Mietenschutz geben. Deshalb stellen wir uns hin und
       fragen: Was können wir als Landespolitiker:innen tun? Und ich
       glaube, mit dem Artikel 15 Grundgesetz den schlafenden Riesen zu wecken,
       seine ganze Pracht den Menschen bewusst zu machen, ist ein Schritt in die
       richtige Richtung.
       
       10 Jul 2025
       
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