# taz.de -- 4 Milliarden für den Fiskus: Die größte Erbschaftsteuer in der Geschichte der Republik
       
       > Was in diesem Land möglich wäre, wenn alle reichen Leute angemessen
       > Steuern zahlen würden! Doch auch Familie Thiele hat das nicht freiwillig
       > getan.
       
 (IMG) Bild: Reiche sollen mehr Steuern zahlen: Vertreter*innen der Grünen Jugend in Nürnberg zum 1. Mai 2025
       
       Es ist ein Montag im April, als im Finanzamt Kaufbeuren im Allgäu die
       Sachbearbeiterin Ute (Name von der Redaktion erfunden) ihren Rechner
       startet. Während der graue Kasten hochfährt, überbrückt Ute die Wartezeit
       mit einem Besuch in der Kaffeeküche und einem Gespräch mit Kolleginnen (das
       Wetter: gut; das Wochenende: schön; das Angebot in der Kantine: na ja). Ute
       füllt ihre Tasse (Aufschrift: „Amt, aber sexy“) und geht zurück an ihren
       Arbeitsplatz, wo sie routinemäßig den Kontostand ihres Arbeitgebers checkt.
       Ute verschluckt sich an ihrem Kaffee. Träumt sie?
       
       4.000.000.000. Neun Nullen.
       
       So oder doch ganz anders muss es zugegangen sein im Finanzamt Kaufbeuren,
       als dort vor einigen Wochen die höchste je geleistete Erbschaftsteuer in
       der Geschichte der Bundesrepublik einging. Knapp 4 Milliarden Euro musste
       [1][Familie Thiele, reich geworden mit der Herstellung von Bremsen],
       zahlen. 2021 war der Patriarch gestorben, die Überweisung im April wurde
       erst jetzt publik. Aber dafür, dass [2][Reichensteuern] ein [3][linkes
       Lieblingsthema] sind, ist es recht still. Woran liegt das?
       
       Vermutlich daran, dass die Nachricht schmerzhaft in Erinnerung ruft, dass
       es sich um einen Einzelfall handelt. Was in diesem Land möglich wäre, wenn
       alle reichen Leute angemessen Steuern zahlen würden! Doch
       realistischerweise wird es dafür auch in den nächsten 75 Jahren keine
       politischen Mehrheiten geben. Dafür stehen die SPD und die Union mit ihren
       Namen. Und trotzdem: 4 Milliarden Euro, das ist mehr als die Summe, die für
       den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung steht.
       
       Alles irgendwie richtig und skandalös. Alles aber auch bekannt und
       achselzuckend hingenommen. Mit Umverteilung pur erreicht man keine Mehrheit
       in diesem Land, schon gar nicht, wenn es gegen „Familienunternehmen“ geht,
       die cleverste Marketingidee des deutschen Kapitals. Denn wer hat schon
       etwas gegen Familien?
       
       ## Die Thieles werden über die Runden kommen
       
       Deshalb probieren wir es mal anders. Das Beispiel der Familie Thiele zeigt
       nämlich, dass Steuervermeidung nicht glücklich macht.
       
       [4][Denn wie die FAZ recherchiert hat], haben wir den Geldsegen an den
       Fiskus wohl einem Familienstreit zu verdanken. Eigentlich sollte die
       Erbschaftsteuer nach dem Tod des Patriarchen durch die Gründung einer
       Stiftung weitgehend vermieden werden. Doch das Konstrukt wurde zu spät
       fertig, was an einem Streit zwischen Witwe, Tochter und
       Testamentsvollstrecker gelegen haben soll. Dieser soll lange auf einem
       Anteil bestanden haben, der sich am Wert des zu vollstreckenden Testaments
       bemisst. Von bis zu 200 Millionen Euro ist die Rede.
       
       Ein Notar – ein Vertreter eines Berufsstands also, der fürs Vorlesen von
       Texten bezahlt wird (schöne Grüße an den [5][Ingeborg-Bachmann-]Wettbewerb
       an diesem Wochenende) – sollte für seine nicht gerade anspruchsvolle
       Tätigkeit, die schon heute von jeder künstlichen Dummheit übernommen werden
       könnte, ein Vermögen erhalten. Und eine Familie entzweite sich beinahe im
       Streit um das schnöde Geld.
       
       War es das wert? Nein. Auf 15 Milliarden wurde das Erbe der Thieles
       ursprünglich geschätzt. Selbst nach der größten Erbschaftsteuer der
       Geschichte dürfte die Familie also knapp über die Runden kommen.
       
       Das Finanzamt Kaufbeuren ist übrigens, anders als im klischeehaften Beginn
       dieser Kolumne dargestellt, dieses Jahr als das schnellste Finanzamt
       Bayerns ausgezeichnet worden. Kaufbeuren selbst darf seinen neuen Reichtum
       nicht behalten, das Geld wird weitergeleitet und gelangt über den
       Länderfinanzausgleich auch nach Berlin. Wenn wir hier das nächste Mal einen
       hart verdienten Steuereuro verprassen, werde ich an Ute denken, an die
       Thieles und daran, dass Familie doch über alles geht.
       
       28 Jun 2025
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [2] /Ungleichheit-in-der-EU/!6090085
 (DIR) [3] /Ex-Millionaer-warnt/!6079409
 (DIR) [4] https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/industriellenfamilie-thiele-zahlt-vier-milliarden-euro-erbschaftsteuer-110555507.html
 (DIR) [5] /Eroeffnung-Ingeborg-Bachmann-Preis/!6096682
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kersten Augustin
       
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