# taz.de -- Künstler kritisiert Erinnerungskultur: Die Entthronung von Gerhard Richter
       
       > Gerhard Richters Birkenau-Kapelle oder eine 3D-Videokulisse des
       > Vernichtungslagers: Wird Auschwitz nur zum leeren Symbol, fragt Künstler
       > Leon Kahane.
       
 (IMG) Bild: Auch Orte der Erinnerung sind dem zeitlichen Verfall ausgesetzt: Videostill aus „24. März 2024 – Birkenau“
       
       Auschwitz ist wieder deutsch. Warum gerade Gerhard Richter ein Ausdruck
       davon ist, erfährt man in den nachkriegsmodernen Ausstellungsräumen der
       Galerie Nagel & Draxler in Köln. Hier zeigt der Berliner Künstler Leon
       Kahane gerade seine bemerkenswert aufklärerische Solo-Show „Dialog Dialog
       Dialog“.
       
       Schon die erste nahezu blanke Druckgrafik, die man durchs Schaufenster
       sieht, macht klar, dass Kahanes kritisches Prinzip die Negation ist.
       Ästhetisch: Bilderverbot, Farblosigkeit und Blickverweigerung. Inhaltlich:
       die Entthronung von Gerhard Richter, dem deutschen Weltmarktführer der
       Kunst. Oder wie das Kölner Publikum am Eröffnungsabend dazu sagt:
       „Vatermord“.
       
       Wer sich jetzt einen Slasher vorstellt, wird enttäuscht. Denn dort an der
       Wand in Köln hängen eingangs nur vier weiße, bilderlose Tafeln, arrangiert
       zu einem quadratischen Panel: Kahanes Invarianz von Gerhard Richters
       Gemälde-Zyklus Birkenau. Seit Februar 2024 stellt Richter Fotoabzüge
       [1][davon in einem eigens von ihm und seiner Frau Sabine Moritz entworfenen
       Pavillon] auf dem Gelände der Jugendbegegnungsstätte in Oświęcim (dt.
       Auschwitz) aus. Und um diesen Pavillon geht es Kahane. Wofür er steht, zu
       einem Zeitpunkt, an dem die letzten Überlebenden der Vernichtungslager
       sterben.
       
       ## Ein leeres Symbol für wieder gut gewordene Deutsche
       
       Was er zeigen will: Auschwitz ist nicht mehr der Ort, an dem Überlebende
       die deutschen Verbrechen anklagen. Auschwitz ist längst Kulisse und leeres
       Symbol für wieder gut gewordene Deutsche. Für deutsche Kunststars wie
       Gerhard Richter oder jüngst auch Jürgen Teller, der einen Fotoband über das
       Vernichtungslager veröffentlicht hat. Deren Blick auf Auschwitz ist
       abstrakt, unpersönlich, wenig erkenntnisreich und, im Fall von Richter,
       umhüllt von einer geschichtsvergessenen Aura des Bösen – das plötzlich
       allgemein menschlich wirkt. Kein Wunder also, dass im Foyer von Richters
       Birkenau-Kapelle dieses Zitat von ihm prangt: „Sich ein Bild zu
       machen…macht uns zu Menschen.“
       
       Richters Bilder, ein humanisierender Akt am unmenschlichen Ort? Das
       Darstellungsproblem, das jüdische Intellektuelle wie Theodor W. Adorno,
       [2][Georges Didi-Huberman oder Claude Lanzmann angesichts der Verbrechen in
       Auschwitz-Birkenau] formuliert haben, scheint hinfällig: der deutsche
       Künstler hat mit seinem Pavillon eine Lösung gefunden. Die Obszönität
       dieses Gedankens stellt Kahane aus, indem er Richters Zitat übernimmt und
       es bilderlos in Deutsch, Polnisch und Englisch auf drei der vier Tafeln
       seines Quadrichons druckt – [3][Richters Pathosformel] wird zur These, an
       der sich Kahanes Ausstellung antithetisch abarbeitet.
       
       Wie sehr Auschwitz benutzbare Plattform und Icon ist, zeigt der schlichte
       Schwarz-Weiß-Film „24. März 2024 – Birkenau“. Alles, was man dort sieht,
       sind Absperrzäune und flatternde weiße Zelte. Sie verdecken, was man
       eigentlich nicht sehen soll: die Renovierung der Baracken von
       Auschwitz-Birkenau. Das Kulissenhafte tritt hervor, aber auch die traurige
       Gewissheit, dass Orte der Erinnerung genauso dem zeitlichen Verfall
       ausgesetzt sind, wie die Erinnerung selbst. Dazu passt die kontroverse
       Entscheidung der Gedenkstättenleitung von Auschwitz-Birkenau, einen
       kompletten Digitalscan des Lagers anzufertigen und seit vergangener Woche
       als 3D-Videokulisse an Filmproduktionen zu verkaufen. Nie war es leichter,
       sich ein Bild von Auschwitz zu machen. Nur: bringt das wirklich was?
       
       ## Rechtsextreme im rolt-goldenen Dunst
       
       Denn was hinter den belanglosen Bildern deutscher Erinnerungskunst lauert,
       demonstriert Kahane in der Fotoserie „1. September 2024 – Zwickau“. Wie ein
       Beweis für die ohnmächtige Arroganz des Richter-Zitats, schließt sie die
       Ausstellung an der hintersten Wand der Galerieräume ab. Durch einen Fehler
       im Druckverfahren sind die Schwarz-Weiß-Fotografien in einen rot-goldenen
       Dunst gehüllt – in Deutschlandfarben. Darauf zu sehen: [4][Jugendliche
       Rechtsextreme] der völkischen Organisation Dritter Weg. Sie alle verdecken
       ihre Augen mit den Händen. Die Wiedergänger der deutschen Täter wollen
       nicht erkannt werden. Und: Sie wollen sich kein Bild machen.
       
       27 May 2025
       
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 (DIR) Jonathan Guggenberger
       
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