# taz.de -- Theaterstück „Ein Sommer in Niendorf“: Traumareiten auf dem Therapiepferd
       
       > Die Hamburger Bühnenfassung von Heinz Strunks Roman wechselt zwischen
       > Musical, Revue und Volkstheater. Die Substanz des Buches geht dabei
       > verloren.
       
 (IMG) Bild: Der Anwalt und sein Saufkumpan: Charly Hübner (links) und Yorck Dippe in der Inszenierung „Ein Sommer in Niendorf“
       
       Die Vorfahren melden sich zu Wort. Mit bärtigen Gesichtern erscheinen sie
       überlebensgroß als Projektion auf einer Leinwand, die die ganze Bühne des
       Hamburger Schauspielhauses einnimmt. Ein riesiger Auftrag ist es, den sie
       an den Nachgeborenen überbringen: Aufschreiben soll er, was war in seiner
       Familie. Ein Buch soll er schreiben und Erfolg damit haben.
       
       Und dann geht das Licht an und da steht: Charly Hübner im sandfarbenen
       Zweireiher, dazu Hut und Schnurrbart, ein wandelndes Zitat des Gustav von
       Aschenbach aus Luchino Viscontis Verfilmung von „Der Tod in Venedig“.
       Blasiert und wohlgenährt ist er auf dem Weg nach Niendorf an der Ostsee.
       Georg Roth heißt er, blickt in den Zuschauerraum und ist genervt: „Ist das
       voll hier, und nichts als Alte“ ruft er. Da hat er recht. Es ist der erste
       Lacher dieser Abends. Der erste von vielen.
       
       Es ist ein bekannter Vorgang: [1][Heinz Strunk] hat einen Roman geschrieben
       und das Kreativtrio Studio Braun, dem Strunk angehört, macht daraus ein
       Theaterstück fürs Hamburger Schauspielhaus. So war es bei „Fleisch ist
       mein Gemüse“ und dem [2][„Goldenen Handschuh“], so ist es nun mit „Ein
       Sommer in Niendorf“.
       
       Der Roman erzählt von dem mittelalten Hamburger Wirtschaftsanwalt Roth, der
       eine Auszeit vom Job genommen hat, um ein Buch über seine Familie zu
       schreiben. Er mietet sich dafür eine Ferienwohnung im Ferienort Niendorf an
       der Ostsee, unweit von Lübeck.
       
       Drei Monate will Roth bleiben und der Maßstab, den er an sich legt, ist
       hoch: Heinrich Böll, Paul Celan und Walter Jens kommen ihm in den Sinn.
       Erstens, weil die auch schon in Niendorf waren, nämlich bei der
       Sommertagung der Gruppe 47 im Jahr 1952. Zweitens, weil bei seinem
       Buchprojekt viele neuralgische Punkte in der Nazi- und der Nachkriegszeit
       liegen. Und drittens weil es ihm an Narzissmus nicht mangelt, dem Herrn
       Anwalt aus reicher Familie.
       
       Aber das Schreiben klappt schlecht. Roth ist einfach kein Schriftsteller.
       Das wäre nicht weiter schlimm, hätte er nicht mit seinem Vermieter Breda
       einen Alkoholiker getroffen, der im Absturz begriffen ist und ihn mitzieht.
       Was nicht schwer ist, denn Roth ist bereits entwurzelt: Von seiner Frau ist
       er geschieden, seine Tochter will nur sein Geld, Freunde hat er nicht und
       trinken tut er ohnehin viel. Anfangs verachtet Roth den Proll Breda, aber
       am Ende macht er in dessen Fußstapfen weiter. Auf dem Weg dahin wird er im
       Rausch zum Monster und versucht, die Auseinandersetzung mit seinen
       Entgleisungen per Alkohol wegzunarkotisieren.
       
       „Sommer in Niendorf“ ist kein spaßiges Buch, wenngleich Heinz Strunk dem
       Niedergang komische Momente abgewinnt. Seine Kunst ist, sich dabei nicht
       über seine Figuren lustig zu machen. Er lässt ihnen nur von Zeit zu Zeit
       ihren Humor.
       
       Auf der Bühne des Hamburger Schauspielhauses zielt sehr viel auf Komik:
       Roth baggert eine junge Kellnerin an, die sich nur singend äußert. Der
       runtergerockte Breda ist eine Clownsfigur im Strickpulli mit
       Schiffsmotiven. Rocko Schamoni, Jacques Palminger und Heinz Strunk geben
       unter anderem eine Schlagerband in [3][Schlagermove]-Outfit. Und es fallen
       Sätze wie: „Ich bin beim Traumareiten vom Therapiepferd gebissen worden.“
       
       Das Monströse von Roth geht in der Bühnenfassung verloren zugunsten einer
       aufwändig inszenierten Theaterrevue, pantomimischer Tanztruppe,
       Gaze-Vorhängen und Figurentheater. Um dem bunten Reigen Tiefgang zu
       verleihen, wird von Roths Familiengeschichte vor allem erzählt, wie der
       Vater die Firma durch die NS-Zeit navigiert hat und am Ende als
       Kriegsgewinnler dasteht. Roths Scheitern als Schriftsteller wird hier
       Auslöser seines Absturzes, im Roman verliert Roth das Ruder durch eine
       toxische Mischung aus Lebenskrise, gekränkter Eitelkeit und Einsamkeit in
       einer trostlosen Umwelt. Seine innere Leere saugt ihn auf. Da kommt die
       Bühnenversion nicht hin.
       
       Dafür zieht das Studio Braun als Regieteam alle Register einer Theatershow,
       die ganz offensichtlich auch den Schauspieler*innen Spaß macht. Das
       Ensemble mit [4][Charly Hübner], Bettina Stucky, Yorck Dippe und Josef
       Ostendorf spielt groß auf. Die Bühnenwerkstätten haben für eine
       Unterwasserszene überdimensionale Fische gebaut, wobei vor allem der
       Raubfisch aus Strandkörben in Erinnerung bleibt.
       
       In der Absturzkneipe Spinner gibt es eine Polonäse Blankenese in Moll und
       im Orchestergraben musiziert eine Band. Zwischen Schauspiel, Musical,
       Revue und Volkstheater wechselt die Inszenierung gute zwei Stunden
       virtuos hin und her. Aber am Ende fehlt die Substanz. Der Abgrund ist
       abhanden gekommen.
       
       18 May 2025
       
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