# taz.de -- Dagegenhalten gegen Rechts: Aus eins mach 140 Demonstrierende
       
       > Bei einer Querdenken-Demo hält der 16-jährige Max dem Publikum eine
       > Standpauke – und geht viral. Er erntet Zuspruch, aber auch Hass und
       > Drohungen.
       
 (IMG) Bild: Max, 16, Schüler, hat kein Bock auf das Abgehitler an seiner Schule
       
       Aus Bad Dürrenberg und Merseburg taz | Ein ungünstigeres Timing hätte es
       für Max vermutlich kaum geben können. Der 16-Jährige schreibt gerade seine
       Schulabschlussprüfungen, Deutsch, Englisch, Mathe, und gleichzeitig geht
       ein Video von ihm auf Social Media viral.
       
       Darin steht er auf dem Marktplatz in Bad Dürrenberg in Sachsen-Anhalt und
       spricht vor den versammelten Querdenker:innen: „Ich bin, Achtung
       Triggerwort, Antifaschist.“ Die Erwachsenen um ihn rum grölen, lachen ihn
       aus, während er redet. „Ich habe genug davon, wie ihr euch als
       Freiheitskämpfer darstellt, während ihr Seite an Seite mit Faschisten
       marschiert.“
       
       Nachdem er gesehen hat, dass im Telegram-Kanal der lokalen
       Querdenken-Gruppe ein Video der Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck
       geteilt wurde, entschied Max am nächsten Tag das offene Mikrofon der
       Querdenker:innen zu nutzen, und schrieb spontan seine Gegenrede auf.
       „Ihr sagt, ihr werdet unterdrückt, ihr sagt, man darf hier nichts mehr
       sagen, und trotzdem steht ihr hier mit Mikrofon und redet den größten
       Unsinn seit der Flacherdentheorie.“ Der Schüler spricht mit ruhiger, klarer
       Stimme, als hätte er schon zig Reden gehalten. „Ihr tragt Flaggen, die
       Geschichtsvergessenheit schreien, ihr relativiert den Holocaust, ihr
       sprecht von Meinung, wo in Wahrheit Hetze steht.“
       
       Das war letzte Woche. Seitdem haben sich Hunderttausende das Video
       angeguckt. Fast eine Million Views auf X, beinahe 400.000 auf Instagram.
       Max’ Rede wurde auf Tiktok und Reddit verbreitet, von Bela B von der Band
       Die Ärzte geteilt und vom ehemaligen thüringischen Ministerpräsidenten Bodo
       Ramelow kommentiert. „Respekt“, „King“, „Stabile Ansage“, heißt es unter
       dem Video. Aber Max wird damit auch Hass auf sich ziehen, von
       Mitschüler:innen, der [1][Querdenken-Community], Menschen im Internet.
       Deshalb wird sein Nachname hier auch nicht genannt.
       
       ## Rechts sein an der Schule im Trend
       
       Als Max nach seiner Deutschprüfung aus der Schule kommt, wirkt er gelassen.
       Er trägt einen grauen Hoodie, Nike Air Force und ein wenig Oberlippenbart.
       Die Klausur bestand daraus, eine Rede über positive und negative
       Überraschungen zu schreiben, erzählt er und grinst, „das hat gepasst“. Sein
       Negativbeispiel: die Ergebnisse der Bundestagswahl, 20 Prozent für die AfD,
       in seinem Landkreis in Sachsen-Anhalt sind es sogar doppelt so viele. Hier
       haben 44 Prozent die rechtsextreme Partei gewählt.
       
       Max deutet auf eine Stelle an der Schulwand, das N-Wort ist in den grauen
       Untergrund geritzt. „Das macht seit Wochen keiner weg“, sagt er. [2][In der
       Schule] klebten immer wieder Sticker mit Reichsflaggen und Sprüchen wie
       „Antifaschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen“. „Die Jugend
       radikalisiert sich einfach viel zu krass in Ostdeutschland, und die Politik
       interessiert sich ’nen Scheiß“, sagt Max. Auf dem Schulgang habe ihm schon
       mal jemand den Hitlergruß gezeigt, ein anderer habe ihm im Vorbeigehen
       „Sieg Heil“ zugeraunt. Rechts sein, das sei hier im Trend. In seiner Klasse
       habe er deshalb keine Freunde, „auf dieses Abgehitler habe ich einfach
       keine Lust“, sagt er.
       
       Max will dagegenhalten, gegen die gegelten Seitenscheitel, die rechten
       Sprüche. Er versucht sich von den Mitschüler:innen nicht einschüchtern
       zu lassen, die ihn als linke Ratte bezeichnen. Max sagt, er habe das Video
       nicht zur Selbstdarstellung gepostet, das könne man leicht denken, sondern
       um zu zeigen, „dass im Osten nicht alle braun sind.“
       
       Nach der Prüfung läuft Max durch die Wohnblöcke nach Hause. Sosehr er sich
       auch über die vielen motivierenden Kommentare unter seinem Video freue,
       richtig sicher fühle er sich gerade nicht. Im Querdenken-Chat wurden der
       Nachname und die Adresse von Max geteilt. Auf das Video wurde nicht nur
       positiv reagiert, ein User kommentierte: „Sehe ich dich auf strasse baller
       ich divh um inkl familie.“
       
       Nachrichten wie diese sind strafrechtlich relevant. Max ist ruhig, wenn er
       von den Anfeindungen spricht, als versuche er, die Bedrohung nicht so nah
       an sich heranzulassen. Vielleicht ist es auch ganz schön viel auf einmal.
       Plötzlich melden sich Medien bei ihm, Politiker:innen schreiben ihm,
       sein Handy summt im Minutentakt. Er mache sich Sorgen um seine Familie.
       Auch weil er vorhat weiterzumachen, am kommenden Montag ist eine Demo gegen
       die Versammlung der Querdenker:innen geplant. Er hofft, dass 100
       Menschen kommen.
       
       ## Nach der Prüfung ist vor der Demo
       
       Er legt nur schnell seinen Rucksack ab, dann nimmt Max die Straßenbahn nach
       Merseburg, um zum Jugendtreff zu fahren. Mit Gleichaltrigen hat er die
       „Kante“ gegründet, eine Gruppe für Demokratie und Vielfalt. In der Bahn
       sitzt schon ein Freund. Die Jungs vergleichen die Anzahl der Wörter, die
       sie heute in der Klausur geschrieben haben. 639 zu knapp 400. „Was, so
       viel? Ich habe schon ganz schön rumgeschwafelt“, sagt sein Freund. „Kommst
       du Montag zur Demo?“, fragt Max. „Was ist denn mit deinem Energielevel los?
       Nach der Prüfung direkt zur Kante, Montag nach der Prüfung zur Gegendemo.“
       Er weiß es noch nicht. Manche 16-Jährige wollen nach einer Klausur einfach
       mal chillen.
       
       Die Tram kurvt durch den Merseburger Süden. Dreigeschossige Wohnhäuser
       ziehen sich die Straße entlang, dazwischen Kfz-Werkstätten, ein Dönergrill.
       „Das hier wird zum Problemviertel erklärt“, sagt Max. Die AfD heize die
       Stimmung gegen die Migrant:innen an, die hier wohnen. „Ich mache das
       auch für meinen Vater“, sagt Max. Sein Vater ist aus dem Irak und habe
       Angst vor dem Hass gegen Migrant:innen. „Er fragt sich, ob er bald
       überhaupt noch in Sachsen-Anhalt wohnen kann.“
       
       Was ihn aber eigentlich politisiert habe, war die mangelnde
       [3][Digitalisierung in der Schule]. Er hätte viel lieber mit einem Tablet
       gelernt, als immer die Bücher in die Schule zu schleppen. Während der
       Coronapandemie habe er der Linken-Bundestagsabgeordneten seines
       Wahlkreises, Birke Bull-Bischoff, eine Mail geschrieben, weil er wissen
       wollte, ob er bald wieder in die Schule muss. Damals war er 12 Jahre alt.
       Auf Facebook sah er, dass sie zu einer Demo gegen einen Auftritt von Alice
       Weidel geht, und gefragt, ob er mitkommen kann. Ihre Parteikollegin Kerstin
       Eisenreich habe ihn dann im Auto mitgenommen. „Das war ein richtiger
       Fanboy-Moment, als die Landtagsabgeordnete mich zu Hause abgeholt hat.“ Die
       beiden Frauen hätten ihn politisch geprägt. Seit zwei Jahren ist er deshalb
       Mitglied der Linken.
       
       Als Max im Jugendtreff ankommt, umarmt die Leiterin des Hauses ihn fest.
       „Wie geht es dir? Müssen wir euch schon ein Ersatzzuhause suchen?“, fragt
       sie, dann lacht sie den Ernst der Frage weg. Auf Nachfrage sagt sie später
       dann doch: „Es ist gut, das als Option zu durchdenken. Dann müssen wir ihn
       und seine Familie abholen und für zwei Wochen wegbringen.“
       
       ## Max mobilisiert zur Gegendemo
       
       Im Hof des Jugendclubs steht eine Seifenkiste, die die Teenager für das
       Rennen am Wochenende mit Graffitidosen ansprayen wollen. Noch ist sie in
       schwarz-rot-goldenem Deutschland-Look gehalten. Sie wählen rosa als neue
       Hintergrundfarbe, an die Kotflügel sollen Flammen gemalt werden. Zwei
       sprayen los, die anderen stehen im Halbkreis um die Kiste, trinken Limo in
       der Sonne und rauchen.
       
       Max sprayt nicht mit, er telefoniert wegen der Gegendemo. Das Büro von
       [4][Bodo Ramelow] meldet sich bei ihm. Zur Gegendemo schaffe der neue
       Vizepräsident des Bundestags es nicht, aber er wolle am Wochenende darauf
       vorbeikommen, zum Demokratie- und Inklusionsfest. Max legt auf. „Bodo kommt
       nicht“, sagt er. „Aber wir haben einen Kompromiss gefunden.“ Er klingt wie
       ein ambitionierter Lokalpolitiker. Ist das sein Ziel, einmal in die Politik
       gehen? Max winkt ab, erst mal will er seine Ausbildung zum Kaufmann im
       Gesundheitswesen machen. Den Ausbildungsvertrag hat er schon
       unterschrieben.
       
       Eine Woche nachdem Max alleine vor den Querdenker:innen gesprochen hat,
       demonstrierten rund 140 Menschen mit ihm. Auf der anderen Seite standen um
       die 65 Personen, auch Mitschüler:innen. „Wir waren deutlich mehr“, sagt Max
       am Telefon. Er klingt zufrieden und ziemlich erschöpft. In den letzten
       Tagen habe er Drohanrufe von unterschiedlichen Nummern bekommen. Es wird
       versucht, ihn einzuschüchtern. Trotzdem habe die Demo ihm gezeigt, wie
       stabil man gegen rechts sein kann, wenn man Menschen mobilisiert.
       
       Von einem auf 140 Gegendemonstranten innerhalb einer Woche, das wäre auch
       ein gutes Positivbeispiel für Max’ Deutschklausur gewesen.
       
       1 May 2025
       
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