# taz.de -- Neues Album von Chris Imler: Internet essen Menschheit auf
       
       > Der Grandseigneur des Undergroundpop Chris Imler besingt die Auswüchse
       > des digitalen Alltags. „The Internet Will Break My Heart“ heißt sein
       > neues Album.
       
 (IMG) Bild: Er kennt sie noch, die Welt vor dem Internet: Chris Imler
       
       Wie kam man eigentlich ins Internet, bevor es Computer gab? Diese Frage, so
       berichtete es ein Bekannter, trieb unlängst seine Tochter im
       Grundschulalter um. Ältere Menschen, die eine prädigitale Vergangenheit
       noch gut erinnern, würden die Frage wohl genau umgekehrt formulieren: Wie
       zum Teufel kriegt man den Geist wieder zurück in die Flasche? Antwort:
       Vermutlich gar nicht.
       
       Während die Welt, wie wir sie kennen, von diesem Internet (beziehungsweise
       den Tech-Konzernen, die damit sehr viel Geld verdienen) gerade systematisch
       zerlegt wird, ringen all jene, die lang schon ahnten, dass Skepsis
       angebracht ist, darum, die durchaus angebrachte Panik irgendwie in den
       Griff zu bekommen. Schließlich ist mittlerweile alles so vernetzt wie das
       Netz selbst.
       
       Die damit einhergehenden Geschäftsmodelle lassen sich kaum von unserem
       Alltag trennen. [1][Daten werden abgeschöpft, wo es nur geht, Gefühle
       erfolgreich manipuliert.] Und trotzdem tun sich die meisten Menschen schwer
       damit, die Geräte, die uns das alles einbrocken, für ein paar Stunden
       beiseitezulegen.
       
       Schön, dass mit Chris Imler – Berliner Schlagzeuger, Songschreiber,
       stilsicherer Grandseigneur des Undergroundpop – jemand auf diese
       Gemengelage blickt, der sie aufs Schonungslose versteht: „Ich umarme fremde
       Leute / Ich verliere meine Freunde / Ich erkenne sie nicht mehr wieder /
       Ich höre 100.000 Lieder“, sprechsingt er über die hohl tönenden
       stakkatoartigen Beats der ersten Takte seines titelgebenden Songs „The
       Internet Will Break My Heart.“
       
       Nur 30 Minuten 
       
       Gleich mehrere Songs dieses mit gut 30 Minuten kurzen, schnurzen und dabei
       eindringlichen neuen Albums, handeln von den Deformationen, die unser
       digitaler Alltag produziert. [2][In den 1980er Jahren von Augsburg nach
       Westberlin gekommen, spielte Imler] in den Neunzigern Schlagzeug bei der
       krawalligen Garagen-Punkcombo Golden Showers – und bald dann auch mit
       allerhand tollen Acts, von [3][Jens Friebe] über [4][Masha Qrella] bis
       [5][Oum Shatt]. Es sollte dauern, [6][bis 2014 mit „Nervös“ sein Solodebüt
       erschien].
       
       Seither veröffentlichte Imler drei weitere Alben; auf dem aktuellen klingt
       der hibbelige Künstler noch nervöser als bisher. „Man muss den Körper an
       der kurzen Leine halten. Zu viele Pausen verwirren den. Nicht dass der noch
       denkt, das wäre hier Schleswig-Holstein“, erklärte er der taz 2020. Da
       hatte Imler, der über sein Alter elegant schweigt, seinen 60. Geburtstag
       vermutlich bereits hinter sich.
       
       Doch das Digitale hat unseren Alltag eben so weitreichend penetriert, dass
       selbst die lässigsten Posen nur bedingt weiterhelfen. Auch subkulturelle
       Nischen bieten kaum mehr Schutz. Es geht ans Eingemachte, unser aller
       Seelenwohl steht auf dem Spiel. Dementsprechend angefasst klingt Imler auf
       „The Internet Will Break My Heart“.
       
       Düsteres und Abgründiges 
       
       Auch auf klanglicher Ebene: Das Duracell-Hasenhafte, das bei dem
       minimalistischen Drummer stets mitläuft, wirkt etwas ausgebremst. Die
       schleppenden Beats über dem technoiden Industrial-Ambient im Song „You Porn
       Me, Porn“ klingen vor allem eins: abgründig.
       
       So wie auch der Track „Agoraphobie“ – damit wirft Imler einen düster
       wabernden Blick auf eine Angststörung, die vor allem auf offenen Plätzen
       zutage tritt, weit weg von den digitalen rabbit holes. Der Track entstand
       mit der Brüsseler Elektronik-Produzentin Naomie Klaus.
       
       In „Let’s Not Talk About the War“ lässt Imler widersprüchliche Aussagen
       aufeinanderprallen. Trotz scharfer Kanten sorgt die ambivalent verhandelte
       Sehnsucht nach Eskapismus für einen vergleichsweise geschmeidigen Groove:
       „Let us talk about the time / Before the internet was born. […] Let us tell
       some jokes / That we’ve told 20,000 times before / About our souls that
       we’ve sold.“ Vielleicht finden wir das Witzeln über unsere verkauften
       Seelen bald selbst nicht mehr lustig. Bis dahin grüßt Imler mit
       eindrücklichen Depeschen aus dem Kaninchenbau.
       
       9 Apr 2025
       
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