# taz.de -- CDU-Wahlkampf am Ostberliner Stadtrand: Kiez, Krieg und Kinderpunsch
       
       > Die CDU-Kandidaten Mario Czaja in Marzahn-Hellersdorf und Danny Freymark
       > in Lichtenberg setzen auf ihren „Heimatbonus“. Ihr Hauptgegner ist die
       > AfD.
       
 (IMG) Bild: Verzicht aufs Parteilogo: Wahlkampfstand von Mario Czaja in Marzahn
       
       Berlin taz | Da gibt es diese Kamikazeradfahrer:innen auf dem Gehweg der
       Springpfuhl-Brücke. Irre sind die. Da muss doch was getan werden. Genauso
       wie gegen den Parkplatzmangel. Und öffnet der dichtgemachte Ratskeller im
       Alten Rathaus Marzahn irgendwann wieder?
       
       Es sind viele echte oder gefühlte Probleme, die sich Mario Czaja an diesem
       Winternachmittag wenige Tage vor der Bundestagswahl vor einem Pflegeheim im
       Marchwitza-Viertel nahe dem S-Bahnhof Springpfuhl anhören darf. Czaja ist
       seit 2021 direkt gewählter CDU-Bundestagsabgeordneter für den Berliner
       Bezirk Marzahn-Hellersdorf. Und das will er auch nach dem kommenden
       Wahlsonntag bleiben.
       
       Also tingelt er bei seiner „Kieztour“ durch die Ortsteile des Ostberliner
       Großbezirks, hört zu, verspricht Abhilfe. Sagt Sätze wie: „Uns geht es
       darum, die Dinge gemeinsam zu lösen.“ Oder: „Wir sind ja nicht nur in
       Wahlkämpfen hier, sondern auch sonst.“ Er könnte auch sagen: Sie kennen
       mich. Was nicht allzu weit hergeholt ist.
       
       Der heute 49-Jährige war zwischen 2011 und 2016 [1][Berliner Gesundheits-
       und Sozialsenator] und ab Anfang 2022 für eineinhalb Jahre
       [2][Generalsekretär der Bundes-CDU] – beides mit eher blasser Bilanz. Seine
       Berufung zum Kurzzeitgeneral verdankte er auch dem Umstand, dass es ihm bei
       der Wahl 2021 gelungen war, der Linken in ihrer traditionellen Hochburg
       Marzahn-Hellersdorf das Direktmandat abzunehmen.
       
       ## Gefallene Linken-Hochburg
       
       Ausgerechnet ein CDUler, ausgerechnet hier. Nicht ein einziges Mal in drei
       Jahrzehnten hatte eine andere Partei die PDS respektive Linke bei den
       Erststimmen überholt. Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau gewann den
       Wahlkreis immer und immer wieder, fünf Mal insgesamt. [3][Bis Czaja vor
       dreieinhalb Jahren antrat und Pau mit deutlichem Abstand hinter sich ließ.]
       Mit dem kopierten Konzept als Vor-Ort-Kümmerer, heißt es noch heute bei den
       Linken.
       
       An diesem Nachmittag vor dem Marzahner Pflegeheim ist das Interesse mäßig.
       Zehn ältere und noch viel ältere Menschen aus den Plattenbauten der
       Umgebung sind der Einladung in ihren Briefkästen gefolgt. Später bleiben
       noch ein paar Passant:innen stehen. Unter einem Partypavillon gibt es
       Glühwein und Kinderpunsch, vor allem aber eben Probleme und Beschwerden.
       
       Die Chancen stehen gut, dass Czaja das Mandat verteidigt. Er selbst sagt,
       er sei „vorsichtig optimistisch“. Sein Büro [4][verweist auf eine
       Wahlkreisprognose], nach der Czaja bei den Erststimmen mit 30 Prozent an
       der Spitze liegt, fünf Punkte vor dem AfD-Kandidaten, [5][dem
       Bundestagsabgeordneten Gottfried Curio].
       
       Die Linke, die ihre Vize-Landeschefin Katalin Gennburg ins Rennen schickt,
       spielt der Prognose zufolge beim Kampf ums Direktmandat ebenso wenig eine
       Rolle wie das BSW mit dem ehemaligen Union-Berlin-Geschäftsführer Oliver
       Ruhnert. Von SPD und Grünen ganz zu schweigen.
       
       ## Unterkühlte Beziehung zu Merz und Wegner
       
       Also konzentriert sich der CDU-Mann auf die AfD, die, so Czaja, mit Curio
       „einen Zugereisten aus Steglitz-Zehlendorf“ in den tiefsten Berliner Osten
       schickt, „um die Stimmen der Unzufriedenen einzusammeln“, der ansonsten
       „gar nicht hier ist“ und „sich um gar kein Thema kümmert“.
       
       Czaja ist in Marzahn-Hellersdorf aufgewachsen. Zwar nicht in der Platte,
       sondern in Mahlsdorf, einer Einfamilienhausgegend. Aber er ist einer „von
       hier“. Oder wie Peter Meyer, ein Mitglied der Ostband Puhdys, für ihn
       wirbt: „Er kommt aus dem Osten und weiß, wie wir ticken.“
       
       In seiner eigenen Partei ist Czaja durchaus ein Außenseiter. Die Beziehung
       zu CDU-Chef Friedrich Merz gilt als unterkühlt, [6][die zu CDU-Senatschef
       Kai Wegner als geradezu frostig]. Vielleicht ist es nur folgerichtig, dass
       er seine Parteizugehörigkeit im Wahlkampf eher versteckt. Auf seinem
       Partypavillon steht nicht „CDU“, sondern: „Kiezmacher“. Auch auf seinen
       Flyern findet sich ein Hinweis auf die CDU allenfalls im Kleingedruckten.
       
       Den Senior:innen aus Marzahn präsentiert er – neben allem Gekieze – zwar
       auch die ganze CDU-Palette: Arbeit muss sich wieder lohnen, das Bürgergeld
       gehört abgeschafft, die Schuldenbremse darf nicht gelockert werden. In
       einem Punkt weicht er von seiner Partei aber sehr deutlich ab: der Frage
       von Krieg und Frieden.
       
       ## Wir, die Ostdeutschen
       
       Im Bundestag hat Czaja 2024 als einer von drei CDU-Abgeordneten gegen den
       Antrag der eigenen Fraktion gestimmt, [7][Taurus-Marschflugkörper an die
       Ukraine zu liefern]. Dass er dafür als „Putin-Freund“ geschmäht worden ist:
       „Damit muss ich leben.“ Er sei nur einem Gewissen verpflichtet. Mit der
       Taurus-Lieferung würde Deutschland „völkerrechtlich zur Kriegspartei
       werden“. Davon ist er überzeugt.
       
       „Es hängt sicherlich mit unserer Sozialisation zusammen, dass wir eine
       andere Einschätzung haben von der Notwendigkeit, mit Russland ein gutes
       europäisches Miteinander zu haben“, sagt Czaja im Anschluss zur taz. Die
       Ostdeutschen verspürten schon wegen des Zweiten Weltkrieges „eine andere
       Verantwortung gegenüber dem russischen Volk“. Sie wollen sich „nicht
       vorstellen können, dass Raketen, auf denen ‚made in Germany‘ steht,
       Moskauer Vorstädte erreichen“.
       
       Wir, die Ostdeutschen, gegen die da drüben, „Transatlantiker, bei denen man
       den Eindruck hat, dass alte Feindschaften mit Russland aus dem Kalten Krieg
       wiederbelebt werden“: Das kommt an in Marzahn-Hellersdorf, wo die
       russlandfreundlichen Parteien AfD und BSW [8][bei der Europawahl im Juni
       vergangenen Jahres zusammen auf weit über 40 Prozent] kamen.
       
       ## Lötzsch-Land Lichtenberg
       
       Nicht wesentlich anders sieht es im benachbarten Bundestagswahlkreis
       Lichtenberg aus. Hier will der CDU-Direktkandidat Danny Freymark das
       schaffen, was Czaja 2021 vorgemacht hat: die seit den 1990er Jahren von der
       Linken gehaltene Festung stürmen.
       
       Zwei S-Bahn-Stationen vom Marzahner Marchwitza-Viertel entfernt steht sich
       auch Freymark bei Minustemperaturen die Beine in den Bauch. Er hat vor
       einer Bäckerei im Plattenbauviertel Neu-Hohenschönhausen zu einem
       Nachbarschaftstreffen geladen. Auf der anderen Straßenseite, nicht zu
       übersehen, befindet sich das Büro von Gesine Lötzsch von der Linken.
       
       [9][Sechs Mal hintereinander hat die Genossin Lötzsch in Lichtenberg das
       Direktmandat gewonnen], wenn auch mit immer knapper werdendem Abstand zur
       Konkurrenz. Doch Lötzsch tritt dieses Mal nicht mehr an. Und CDU-Mann
       Freymark gibt sich zuversichtlich, dass er sie beerben wird.
       
       Schließlich ging es für die in Lichtenberg einst weitgehend bedeutungslose
       CDU bei den vergangenen Wahlen bergauf. Freymark selbst wurde 2021 und 2023
       direkt für Neu-Hohenschönhausen ins Abgeordnetenhaus gewählt, zuletzt mit
       über 40 Prozent. Jetzt geht es um ganz Lichtenberg.
       
       ## Kein Interesse an Umwelt- und Klimaschutz
       
       Auch bei Freymarks Nachbarschaftstreffen gibt es Punsch und Probleme. Und
       auch bei ihm hat es heute nur älteres Publikum angezogen, gut 20 Leute.
       Aber es geht dann doch etwas heiterer zu als in Marzahn. Das liegt
       womöglich an Freymark selbst. Der umweltpolitische Sprecher der
       CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus tritt anders auf als Czaja. Lauter,
       fröhlicher, bisweilen etwas überdreht.
       
       „Sie sind wirklich schon Großmutter, das sieht man Ihnen gar nicht an“,
       umgarnt der 41-Jährige eine ältere Frau, die sich empört, dass ihr Enkel
       keine Wohnung findet. Er verspricht, sein Bürgerbüro werde versuchen zu
       helfen. Die CDU als Kümmererpartei, in der Nachfolge der Linken, so das
       Image auch hier.
       
       Sein eigentliches Fachgebiet im Parlament, Umwelt- und Klimaschutz,
       interessiere in den Plattenbauten am Stadtrand kein Mensch, sagt Freymark.
       Stattdessen geht es auch hier auffällig viel um Krieg und Frieden. Ein Mann
       redet sich in Rage und etwas durcheinander. Grönland, „da unten,
       Gazastreifen“, Panama, Ukraine. 2027, glaubt er, gibt es den Dritten
       Weltkrieg.
       
       Freymark kennt das. Er sagt dem Mann: „Die Sorgen teile ich. Wir sind ja in
       der glücklichen Situation, dass wir nur Frieden und Freiheit kennen.“ Hätte
       er wie Czaja gegen die Taurus-Lieferung gestimmt? „Ich weiß es nicht“, sagt
       Freymark hinterher zur taz. „Im ersten Reflex hätte ich gesagt: Ja, ich
       unterstütze das.“ Aber er nehme auch ernst, was die Menschen in seinem
       Wahlkreis umtreibe. Das sei er seinen Wähler:innen schuldig. „Vielleicht
       hätte ich mich enthalten.“
       
       ## „Klassensprecher“ versus „Zugereiste“
       
       Wie sein CDU-Kollege in Marzahn-Hellersdorf setzt Freymark im Wahlkampf auf
       das, was er den „Heimatbonus“ nennt. Er ist in Neu-Hohenschönhausen
       aufgewachsen, Platte, zehnter Stock. Da sei es doch logisch, das
       auszuspielen, sagt Freymark. Er versuche auch den Wähler:innen gegenüber
       immer zu transportieren, dass er eine Art „Klassensprecher“ sei für den
       Kiez, für den Bezirk. „Damit jeder versteht, worum es eigentlich geht.“
       
       Auch für die CDU im Wahlkreis Lichtenberg geht es im Wahlkampf vor allem
       gegen die „Zugereisten“. [10][Gegen die AfD-Kandidatin Beatrix von Storch
       aus Mitte sowieso]. Neuerdings aber auch verstärkt gegen [11][die
       Kandidatin der Linken, die Bundesvorsitzende Ines Schwerdtner]. Auch die
       sei ja nicht „von hier“, sondern wohne in Schöneberg.
       
       Dass die Linke in den Blick genommen wird, hat einen einfachen Grund.
       Anders als in Marzahn-Hellersdorf scheint sich die noch vor wenigen Monaten
       schwer strauchelnde Partei in Lichtenberg zu berappeln. „Lichtenberg bleibt
       rot“, heißt die Parole der Wahlkämpfer:innen, die massenhaft ausschwärmen
       und an Tausenden Haustüren klingeln.
       
       Die Buchmacher:innen besagter Wahlkreisprognosen sehen inzwischen mal
       Schwerdtner vorn bei den Erststimmen, mal die Rechtsaußenadlige von Storch.
       Freymark rangiert hier teils nur unter ferner liefen.
       
       Der CDU-Mann hält die Vorhersagen für Kaffeesatzleserei und „unseriös“ –
       nicht zu Unrecht. Er lasse sich davon auch nicht einschüchtern. Da sei ja
       der Bundestrend, der die CDU stabil bei 30 Prozent sieht. „Und wir haben ja
       jetzt hier in Lichtenberg etwas aufgebaut in den Jahren.“ Freymark sagt:
       „Ich kann es schaffen.“ Und wenn nicht? „Dann muss ich es beim nächsten Mal
       besser machen.“
       
       19 Feb 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Ein-Jahr-Lageso-Krise-in-Berlin/!5324221
 (DIR) [2] /Carsten-Linnemann-wird-Generalsekretaer/!5946994
 (DIR) [3] /Linke-verliert-bei-der-Bundestagswahl/!5800436
 (DIR) [4] https://www.mario-czaja.de/2025/02/aktuelle-wahlprognose-fuer-marzahn-hellersdorf/
 (DIR) [5] /AfD-Demo-in-Lichtenberg/!6033430
 (DIR) [6] /Bundestagswahl-am-23-Februar/!6056240
 (DIR) [7] /SPD-Politiker-ueber-Ukraine-Krieg/!5996647
 (DIR) [8] /Berliner-Linke-nach-der-Europawahl/!6013456
 (DIR) [9] /Sahra-Wagenknecht-vs-Ines-Schwerdtner/!6034450
 (DIR) [10] /AfD-und-Berliner-Vietnamesen/!6069756
 (DIR) [11] /Linken-Chefin-Ines-Schwerdtner-vor-Wahl/!6069392
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Rainer Rutz
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
 (DIR) CDU Berlin
 (DIR) Berlin Marzahn-Hellersdorf
 (DIR) Berlin-Lichtenberg
 (DIR) Mario Czaja
 (DIR) Die Linke
 (DIR) Schwerpunkt AfD
 (DIR) Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
 (DIR) Schwerpunkt Klimawandel
 (DIR) Friedrich Merz
 (DIR) Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
 (DIR) Schwerpunkt Europawahl
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Wahlplakate in Berlin: Und überall grüßt das Chefgesicht
       
       Die Wahlplakate wollen Bürgernähe weismachen und setzen aufs Gefühl.
       Beobachtungen aus dem Schilderwald zwischen Friedrichshain und Weißensee.
       
 (DIR) Landwirtschaft und Ernährung in der EU: Kommission stellt heute „Vision“ vor
       
       Die EU-Kommission präsentiert heute, wie sie sich die
       Landwirtschaftspolitik der Zukunft vorstellt. Auf dem Spiel stehen
       Klimaschutz und viel Geld.
       
 (DIR) Debatte um Migrationsrecht: Bundestag goes Abgeordnetenhaus
       
       Merz' 5-Punkte-Plan wird Thema im Landesparlament. Die SPD-Landesspitze
       erwartet von ihrem Koalitionspartner CDU „klare Kante“ zum Umgang mit der
       AfD.
       
 (DIR) Bundestagswahl in Berlin: And the winner is …
       
       Zwölf Wahlkreise, zwölf Prognosen: Die taz erklärt, wo es am 23. Februar
       spannend wird beziehungsweise wo der Gewinner eigentlich schon feststeht.
       
 (DIR) Berliner Linke nach der Europawahl: Hochburg kommt vor dem Fall
       
       Die Linke sucht nach Erklärungen für ihren Absturz und den Aufstieg des BSW
       vor allem im Osten Berlins. Der Landeschef spricht von einem Desaster.