# taz.de -- Demos gegen Merz und AfD: Bewegung auf der Straße
       
       > Nach Merz’ Tabubruch weitet sich eine bundesweite Protestwelle aus. Auch
       > dem Antrag auf Prüfung eines AfD-Verbots könnte das neuen Schwung
       > verleihen.
       
 (IMG) Bild: Gehen gegen Merz und die AfD auf die Straße: Protestierende in Dresden am 29.1.2025
       
       BERLIN taz | Nach dem [1][Tabubruch von Friedrich Merz] stehen am
       Mittwochabend rund 1.000 Menschen vor der CDU-Parteizentrale. An der
       Fassade des Konrad-Adenauer-Hauses prangt ein überlebensgroßer Parteichef
       mit dem Schriftzug „Haus des Politikwechsels“. Merz hatte ohne Not die
       Stimmen der AfD für einen migrationskritischen Antrag akzeptiert, was dem
       Spruch eine neue, vielleicht ehrlichere Bedeutung verleiht.
       
       Die Parteizentrale der CDU ist an diesem Abend abgeschottet. Die Polizei
       droht, einen Teil der Kreuzung zu räumen, und hat das Adenauer-Haus
       weiträumig abgesperrt. Hinter Absperrgittern bellen Schäferhunde, an den
       Laternen zwischen Kundgebung und Parteizentrale hängen AfD-Plakate. „Alle
       zusammen gegen den Faschismus“, rufen die Menschen lautstark. Zwei Stunden
       verharren die meisten hier und schwören, am nächsten Abend zurückzukehren.
       Selber Ort, selbe Zeit.
       
       Die Zusammenarbeit der Union mit der AfD im Bundestag löst Schockwellen
       aus: Über 90 Kundgebungen sind laut der Klima-Aktivistin Luisa Neubauer und
       dem [2][Geschäftsführer der Kampagnenplattform Campact, Christoph Bautz],
       allein für Donnerstag und Freitag geplant, ebenso viele am Wochenende –
       viele davon vor CDU-Zentralen und Büros, auf kleinen und großen
       Marktplätzen. Einen genauen Überblick über die Demos gibt es noch nicht,
       aber man plant, die Proteste auf einer Website zusammenzufassen.
       
       Eine der größten Demos dürfte am Sonntag in Berlin stattfinden: Ein breites
       Bündnis plant ab 15.30 Uhr auf der Reichstagswiese eine Kundgebung und will
       unter dem Motto „Wir sind die Brandmauer“ zum Konrad-Adenauer-Haus ziehen.
       Für Christoph Bautz ist klar: „Die Antwort auf diesen Tabubruch kann nur
       ein Aufstand der Anständigen sein.“ Man rechne mit Zehntausenden Menschen.
       Luisa Neubauer von Fridays for Future sagt: „Merz ist ein Sicherheitsrisiko
       für unsere Demokratie geworden. Demokratie hat man nicht, sondern lebt
       man.“ Deswegen sei es wichtig, gemeinsam mit Kirchen, Gewerkschaften und
       sich zur Demokratie bekennenden Parteien in einem breiten Bündnis die
       Brandmauer wieder hochzuziehen und zu schützen.
       
       ## Mehrere Unions-Abgeordnete wohl nun doch für Verbot
       
       Katja Karger vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) kündigt an, man werde
       „für eine verantwortungsvolle und menschenwürdige Asylpolitik, Solidarität
       und Rechtsstaatlichkeit“ auf die Straße gehen, gemeinsam mit 70 weiteren
       Organisationen. Karger fordert auch ein Bekenntnis zu Verfassung und
       Rechtsstaat von den Arbeitgeberverbänden: „Wer sich von Stimmen der AfD
       abhängig macht, verlässt eindeutig die demokratische Mitte dieses Landes.“
       
       Unterdessen gibt es auch im Parlament Bewegung: Am Donnerstagvormittag
       warben die Bundestagsabgeordneten Marco Wanderwitz (CDU), Carmen Wegge
       (SPD), Till Steffen (Grüne), Martina Renner (Linke) und Stefan Seidler
       (SSW) um Unterstützung ihres überfraktionellen Antrags auf Prüfung des
       AfD-Verbots durch das Bundesverfassungsgericht. Der von zunächst 124
       Abgeordneten eingebrachte Antrag sollte ab 17.30 Uhr debattiert werden.
       „Viele Menschen haben große Sorge um unsere Demokratie, wir haben es mit
       einer wirkmächtigen, gruseligen Partei zu tun, die leider von Wahlsieg zu
       Wahlsieg eilt und die politische Kultur und die Herzen und Köpfe der
       Menschen im Land vergiftet“, sagte Wanderwitz. Er selbst blieb der
       Abstimmung fern und wollte keine Einschätzung zum Tabubruch abgeben, sagte
       aber, dass mehrere Unions-Abgeordnete nun doch den Verbotsantrag
       unterstützen wollen.
       
       Ebenso gebe es Bewegung in der SPD-Fraktion und bei den Grünen, wie die
       Abgeordneten mitteilten. Eine Mehrheit war dennoch nicht absehbar, weswegen
       man den Antrag zunächst in den Innenausschuss überweisen wolle.
       
       Sollte durch die Diskussionen über Merz’ Brandmauerabriss eine Mehrheit
       entstehen, wolle man ihn im Februar erneut zur Abstimmung vorlegen. Doch es
       jetzt zu versuchen, sei man den vielen Menschen und bedrohten Minderheiten
       schuldig, bei denen die AfD im Wahlkampf etwa Abschiebetickets in die
       Briefkästen geworfen habe, sagt die Sozialdemokratin Wegge: „Sollte es in
       dieser Legislatur nicht klappen, dann in der nächsten.“ Der Grünenpolitiker
       Till Steffen sagt, er halte bereits jetzt „die Beweislage für erdrückend“,
       die AfD habe sich für einen verfassungsfeindlichen Radikalisierungskurs
       entschieden, die demokratischen Fraktionen müssten nun wieder
       zusammenfinden.
       
       ## Großes neues Gutachten zur AfD geplant
       
       Linken-Politikerin Martina Renner, die wie Wanderwitz nicht wieder für den
       Bundestag antritt, betont: „Geschichte wiederholt sich nicht, weil man
       Fehler nicht zweimal machen muss.“ Deswegen hätten Mütter und Väter des
       Grundgesetzes das Instrument des Parteiverbots ins Grundgesetz geschrieben.
       In einem solchen historischen Moment beim Erstarken einer faschistischen
       Partei müsse die Tür nach Karlsruhe geöffnet werden.
       
       Für den Fall, dass der Antrag wie erwartet in dieser Legislatur noch keine
       Mehrheit findet, haben andere vorgebaut. Ein zivilgesellschaftliches
       Bündnis bestehend aus der Gesellschaft für Freiheitsrechte, FragDenStaat,
       Innit, dem Republikanischen Anwält*innenverein, dem postmigrantischen
       Jurist*innen-Bund, dem Blog Volksverpetzer und Campact hat ein
       800.000-Euro-Projekt angekündigt. Es soll ein Gutachten zur
       Verfassungsfeindlichkeit der AfD erstellen. Es soll im Gegensatz zur
       Verfassungsschutzeinstufung transparent erarbeitet werden, um den offenen
       gesellschaftlichen Diskurs zu einem möglichen AfD-Verbotsverfahren mit
       juristischen Fakten zu untermauern.
       
       Der Jurist Bijan Moini sagt, dass die Unsicherheit ein Grund für das
       Scheitern des Antrags im Bundestag sei. Die wolle man ausräumen, indem man
       ein Jahr lang mit einem Team von 4 Jurist*innen und 2
       Rechtsextremismusexpert*innen sowie einer Person für Dokumentation
       die Verfassungswidrigkeit der AfD ergebnisoffen anhand der Kriterien des
       Bundesverfassungsgerichts prüfe. Am Ende soll ein wissenschaftlich
       fundiertes umfangreiches Gutachten stehen, das der Komplexität der AfD und
       ihrer Strategie gerecht werde. „Das Gutachten soll die Frage der
       Verfassungswidrigkeit für viele Menschen klären und eine wichtige Lücke in
       der Debatte schließen“, sagte Moini. [3][Bisherige Gutachten] seien nicht
       breit genug, weil der Untersuchungsgegenstand so groß und kompliziert sei.
       
       Moini rechnet am Ende mit einem mehrere Hundert Seiten umfassenden
       Gutachten mit noch größerem Anhang. Für die Debatte danach solle kein Weg
       mehr an diesem zivilgesellschaftlich und transparent erarbeiteten Gutachten
       vorbeiführen.
       
       ## Pöbeleien aus der AfD-Fraktion
       
       Am Abend schließlich Verwies der Bundestag den Antrag auf Prüfung des
       AfD-Verbots in den Innenausschuss. Zuvor gab es eine längere kontroverse
       Debatte, die auch durch anhaltende Pöbeleien aus Reihen der AfD-Fraktion
       geprägt war. Brandner bekam einen Ordnungsruf, weil er einen
       SPD-Abgeordneten als einen „Sozialfaschisten“ beschimpfte.
       
       Zuvor hatte er bereits in der gewohnten Opferrolle Deutschland mit einer
       Diktatur und einem Polizeistaat verglichen, in dem die Opposition verboten
       werde – gleichwohl das Verbot rechtsstaatlich vom Bundesverfassungsgericht
       überprüft würde. Die Initiatoren beschimpfte er als „abgehobene Clique von
       Politfunktionären“ und „Hofschranzen“, Brandner rief martialisch: „Sie
       wollen uns vernichten und Blut sehen!“
       
       Der Christdemokrat Wanderwitz hatte treffend gesagt, man könne allein an
       den Zwischenrufen den destruktiven Charakter dieser Partei sehen. Um
       „irreparable Schäden an der Substand unseres Landes“ abzuwenden, brauche es
       den Antrag. Er zitierte den Holocaust-Überlebenden Leon Weintraub, der
       99-jährigen beim 80-jährigen Jahrestag der Befreiung von Auschwitz gesagt
       hat: „Nehmt die Feinde der Demokratie ernst!“
       
       Auch die Sozialdemokratin Wegge verwies darauf, dass sich die Losung „Nie
       wieder“ mittlerweile leider zu „Nie wieder ist jetzt“ weiterentwickelt
       habe. Man müsse die Angst der Menschen vor der AfD ernst nehmen und
       deswegen sei die Prüfung der AfD durch das Bundesverfassungsgericht
       angezeigt: „Inzwischen sitzen meine Freunde am Küchentisch und reden nicht
       mehr nur im Scherz darüber, wohin wir eigentlich flüchten müssen, wenn die
       AfD an der Macht ist.“ Die AfD-Fraktion reagierte mit höhnischem Gelächter.
       
       30 Jan 2025
       
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