# taz.de -- Christoph Bautz über 20 Jahre Campact: „Engagieren macht einen Unterschied“
       
       > Anfangs ging es der Kampagnen-Organisation Campact um die Verbesserung
       > der Demokratie. Heute stehe die selbst unter Druck, sagt Mitbegründer
       > Christoph Bautz.
       
 (IMG) Bild: „Wir sind die, die die großen Mobilisierungen anschieben“: Christoph Bautz, Mitbegründer und Geschäftsführer von Campact
       
       taz: Herr Bautz, haben Sie eine Idee, auf wie vielen Demos Sie in Ihrem
       Leben waren? 
       
       Christoph Bautz: Vielleicht 300? Die erste war 1983 gegen den
       Nato-Doppelbeschluss. Um zur Demo zu kommen, mussten wir über den Zaun
       unseres humanistischen Gymnasiums klettern, weil der Direktor verhindern
       wollte, dass wir zur Demo gehen. Seitdem bin ich von der Straße nicht mehr
       richtig weggekommen.
       
       taz: Und an wie vielen Demos haben Sie sich mit Ihrer Organisation Campact
       beteiligt? 
       
       Bautz: Das sind etliche hundert. Allein dieses Jahr waren es so viele, wenn
       ich nur an die [1][Anti-AfD-Demos zum Jahresbeginn] denke. Da gab es allein
       an einem Wochenende bundesweit 317 Demonstrationen. Das waren die größten
       Proteste, die dieses Land je erlebt hat. Campact war da ein wichtiger
       Motor. Wir haben die Leute über unseren Newsletter-Verteiler lokal
       mobilisiert, darunter viele, die noch nie auf der Straße waren. Und wir
       haben mehr als eine Million Euro dazugegeben, damit dann vor Ort auch
       Bühnen und Lautsprecheranlagen stehen konnten.
       
       taz: Trotzdem liegen soziale Bewegungen aktuell am Boden. 
       
       Bautz: Es ist im Moment gar nicht einfach, für Klimaschutz, soziale
       Gerechtigkeit oder eine humane Migrationspolitik zu mobilisieren. Es gibt
       bei vielen Menschen große Verunsicherungen, ob man einen Unterschied machen
       kann, wenn man auf die Straße geht. Aber wenn man ein Jahr zurückdenkt, da
       haben sich alle noch völlig ohnmächtig gefühlt gegenüber der AfD und ihren
       rechtsextremen Netzwerken. Und dann hat dieses kollektive Aufstehen
       gezeigt, wie schnell Bewegung plötzlich da sein kann.
       
       taz: Was war Ihr Antrieb, mit der Gründung von Campact vor 20 Jahren die
       Idee von online-basierten Kampagnen und Petitionen nach Deutschland zu
       holen? 
       
       Bautz: Es ging los mit einem ersten Treffen in einem Café in New York, wo
       wir uns damals verschiedene Stiftungen angeschaut hatten …
       
       taz: … damals hatten Sie gerade die [2][Bewegungsstiftung] gegründet …
       
       Bautz: Ja. Spontan entstand die Idee, uns mit der Organisation MoveOn zu
       treffen, die in den USA schon groß Online-Petitionen machte, als dies hier
       noch niemand kannte. Wir fanden es faszinierend, wie es MoveOn gelang, mit
       den Mitteln des Internets hunderttausende Bürgerinnen und Bürger zu
       motivieren, sich politisch zu engagieren. Menschen, die sich aus
       Zeitgründen nicht dauerhaft in einer Bürgerinitiative einbringen können.
       Hier in Deutschland war das Konzept total neu, eine Petition kannte noch
       niemand. Über unsere erste große Kampagne gegen Nebeneinkünfte von
       Abgeordneten haben deshalb alle Medien berichtet.
       
       taz: Sind Petitionen nicht auch ein Ablasshandel für Menschen, um sich
       nicht wirklich zu engagieren? 
       
       Bautz: Es gibt immer wieder Petitionen, die wirklich einen Unterschied
       machen. Die Petition, die forderte, Björn Höcke das passive Wahlrecht zu
       entziehen, [3][war mit 1,7 Millionen Unterstützern die erfolgreichste], die
       es jemals gab, und sie hat die Debatte über ein AfD-Verbot extrem befeuert.
       Als wir sie an die Vorsitzenden der Bundestagsfraktionen übergeben haben,
       war das in der „Tagesschau“. Häufig sind Petitionen aber eher der Beginn
       einer Kampagne, danach kann man die Unterzeichner*innen motivieren,
       einen Schritt weiterzugehen und zum Beispiel eine Demonstration oder eine
       Protestaktion zu besuchen. Nicht zuletzt dienen Online-Petitionen auch der
       Legitimierung: Als wir zuletzt die [4][Maus-Statue vom WDR entwendet und
       auf Deutschlandtour geschickt haben], um gegen Einsparungen bei den
       BIldungs- und Informationsangeboten der öffentlich-rechtlichen Sender zu
       protestieren, half es zu sagen, hier haben schon 400.000 Menschen
       unterschrieben.
       
       taz: Für Campact läuft es gerade rund: so viele Abonnenten wie noch nie,
       Rekordspenden, regelmäßige Aufmerksamkeit. Wie erklären Sie sich das? 
       
       Bautz: Viele haben gesehen: Campact macht einen Unterschied in der
       Auseinandersetzung mit der AfD. Wir sind die, die die großen
       Mobilisierungen anschieben. Und wir gehen auch mit neuen Instrumenten in
       die politische Auseinandersetzung rein, etwa mit unseren Aufrufen zum
       taktischen Wählen bei den Landtagswahlen. Auch deswegen haben wir dieses
       Jahr 35.000 Förder*innen dazugewonnen, so viele wie noch nie. Und unser
       Newsletter ist um 900.000 Abonnenten auf 3,5 Millionen gewachsen.
       
       taz: Fühlt es sich manchmal trotzdem so an, als sei die Arbeit in den
       vergangenen 20 Jahren umsonst gewesen angesichts des derzeitigen
       kollektiven Rechtsrucks? 
       
       Bautz: Nein, auf keinen Fall. Wir hatten als Teil einer lebendigen
       Zivilgesellschaft große Erfolge. Ohne Protestbewegung hätte es nicht das
       Ende der Gentechnik auf den Feldern gegeben, wäre das TTIP-Abkommen nicht
       verhindert worden und gäbe es keinen Kohleausstieg. Wenn man sich die 20
       Jahre anschaut, sind das große Erfolge, die wir häufig auch errungen haben,
       obwohl Konservative an der Regierung waren. Der Atomausstieg ist von
       Schwarz-Gelb beschlossen worden, das Klimaschutzgesetz von der Großen
       Koalition. Und warum? Weil Bewegung auf der Straße so einflussreich und
       erfolgreich war, dass die Regierenden nicht anders konnten. Das zeigt:
       Engagieren macht einen Unterschied.
       
       taz: Inwiefern hat sich der Fokus der Arbeit von Campact über die Zeit
       verändert? 
       
       Bautz: Wir hießen am Anfang mal Demokratie in Aktion. Konkret ging es
       darum, Lobbyinteressen zurückzudrängen, und zu schauen, dass wir Demokratie
       verbessern, Volksentscheide oder Bürgerräte einführen. Heute stehen wir vor
       viel größeren Herausforderungen: die parlamentarische Demokratie ist unter
       Druck, es geht um das große Ganze. Dass wir parlamentarische Institutionen
       insgesamt als Bewegung wieder verteidigen müssen, hätten wir uns vor 20
       Jahren nicht vorstellen können. Dafür müssen wir in der Breite der
       Gesellschaft Menschen erreichen – bis hin zu Konservativen oder
       Unternehmen.
       
       taz: Hat das auch etwas Frustrierendes, so sehr Abwehrkämpfe führen zu
       müssen, anstatt die Politik mit progressiven Forderungen vor sich
       herzutreiben? 
       
       Bautz: Dass die AfD so mächtig geworden ist und wir gleichzeitig erleben,
       wie die Neue Rechte gut choreografiert Kampagnen macht, hätte ich mir
       anders gewünscht, klar. Aber ich bleibe hoffnungsvoll, dass sich
       gesellschaftliche Dynamiken schnell verändern können. Ein schönes Beispiel
       für mich ist: 2018 haben wir zum Beginn der Kohlekommission bundesweit
       getrommelt und Demonstrierende nach Berlin mobilisiert – nur kaum einer
       kam. Ich dachte, das Klimathema ist zu abstrakt, nicht kampagnenfähig. Vier
       Monate später gab es den [5][Hambacher Wald], plötzlich wurde die
       Auseinandersetzung um das Klima greifbar. 50.000 Menschen standen plötzlich
       auf dem Acker am Rande des Waldes. Noch ein Jahr später waren 1,4 Millionen
       mit Fridays for Future auf der Straße. Das zeigt mir: Ein Momentum für ein
       Thema kann ungeheuer schnell entstehen.
       
       Wie wollen Sie jetzt wieder in die Offensive kommen? 
       
       Bautz: Wir stehen im Hinblick auf die Bundestagswahl vor der Frage, wie wir
       nicht den alleinigen Fokus auf die Abwehr gegen die AfD legen und wieder
       eine linke identitätsstiftende Wir-Erzählung entstehen lassen. Dafür müssen
       wir auch selbstkritisch schauen: Wo spricht die Bewegung nicht mehr die
       Sprache vieler Menschen, die Angst haben abzusteigen? Wir haben über die
       sozial-ökologische Transformation sehr abstrakt geredet, aber nicht so,
       dass es die Leute in ihrem Alltag berührt. Auch haben wir sie zu wenig in
       ihren Alltagssorgen und ihren Ungerechtigkeitsgefühlen abgeholt, während
       die Rechten das mit ihrer Polarisierung sehr erfolgreich geschafft haben.
       
       taz: Wie strickt man daraus eine neue Hoffnungserzählung? 
       
       Bautz: Ganz viele haben den Eindruck, es geht nicht mehr gerecht zu im
       Land. Ganz viel ist marode und kaputtgespart, die Infrastruktur
       funktioniert nicht, die Brücken brechen zusammen, in den Schulen kommt der
       Mörtel runter, die Kitas sind hoffnungslos überlastet, die Bahn fährt nicht
       mehr pünktlich. Da muss sich doch was ändern! Wir brauchen mehr soziale
       Gerechtigkeit. Jetzt müssen politische Entscheider*innen mehr Geld in
       die Hand nehmen und in die Infrastruktur dieses Landes investieren. Woher
       das Geld kommen soll? Die, die am besten durch die Krise kommen, müssen
       mehr Verantwortung tragen. Das sind die Multimillionäre und Milliardäre.
       Die Reichen zur Kasse bitten, damit wir in einem Land mit guten Schulen,
       Kitas, intakten Brücken, Straßen und Bahngleisen leben – das könnte eine
       neue Erzählung sein, die die Menschen in ihren Alltagserfahrungen abholt.
       
       taz: In der Vergangenheit war Campact, das ja eher aus der ökologischen
       Tradition kommt, mit sozialen Themen aber nicht so erfolgreich. 
       
       Bautz: Ja, 2013 hatten wir die Umfairteilen-Kampagne. Die war zwar medial
       sehr erfolgreich, aber es ist uns nicht gelungen, das Thema so zu setzen,
       dass auch Zehntausende auf die Straßen gegangen wären. Wir haben nicht nah
       genug an den Menschen kommuniziert. Daraus müssen wir jetzt lernen und
       unsere Botschaften und Forderungen genau abwägen.
       
       taz: Sie haben Ihr ganzes Berufsleben in NGOs verbracht. Wollten Sie nie
       die Seiten wechseln und in die Politik gehen? 
       
       Bautz: Nein. Der Gestaltungsspielraum von Politik, etwas durchzusetzen,
       hängt von den gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen ab. Und diese
       verändere ich vor allem auf der Straße. Sehen Sie, was ab 2019
       klimapolitisch möglich war, als Fridays for Future auf den Straßen waren.
       Damals hatten wir eine Große Koalition – und dennoch gab es ein
       Klimaschutzgesetz. Jetzt sind die Grünen an der Regierung, bekommen aber
       kaum etwas gegen die FDP und SPD durchgesetzt, auch weil die Klimabewegung
       schwach ist. Ich sehe nicht, dass ich in einem politischen Amt einen
       größeren Hebel hätte.
       
       taz: Ihr persönlicher Antrieb, immer noch ins Megafon zu rufen, lässt also
       nicht nach? 
       
       Bautz: Wenn ich auf einer Bühne stehe, vor mir 100.000 Menschen, dann
       kommen mir schon mal die Tränen und dann denke ich: Wow,
       Bürger*innenprotest kann so einen großen Unterschied machen. Davon ein
       Teil sein zu können, treibt mich an. Und das Spannende ist, dass wir uns
       mit Campact immer wieder neu erfinden: gerade sind wir die erste
       Organisation, die richtig strategisch auf TikTok und Instagram geht.
       
       taz: Punktuelle Erfolge reichen Ihnen aus, es muss keine Revolution sein? 
       
       Bautz: Ich glaube, dass gesellschaftliche Veränderungen in Schritten
       passiert. Es braucht eine Vision, wo es hingehen soll, die dann aber in
       vielen kleinen Auseinandersetzungen erkämpft wird. Und dann gibt es die
       Momente, in denen man mehr erreichen kann. In der Geschichte von Bewegungen
       gab es immer wieder die Momente, wo diese Chancen nicht genutzt wurden.
       Campact aber ist die Organisation, die genau dann zur Stelle ist, wenn das
       Momentum da ist – um politisch wirklich etwas zu verändern.
       
       2 Nov 2024
       
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