# taz.de -- Claudia Roth über Ukraine, AfD und Söder: „Wir dürfen nicht nachlassen“
       
       > Die Staatsministerin für Kultur und Medien fordert Solidarität mit der
       > Ukraine. Sowie im Kampf gegen rechts, gerade nach der Tat von
       > Aschaffenburg.
       
 (IMG) Bild: Claudia Roth mit dem ukrainischen Kulturminister Mykola Tochytsky im Herbst 2024 in Odessa
       
       taz: Frau Roth, am Donnerstagabend haben Sie die Ausstellung „Von Odesa
       nach Berlin“ in der Berliner Gemäldegalerie eröffnet. Warum ist Ihnen das
       kulturelle Engagement für die Ukraine gerade jetzt so wichtig? 
       
       Claudia Roth: Ich war im Herbst zum zweiten Mal während des Kriegs in
       Odesa. Der russische Angriffskrieg tobt in der Ukraine nun seit über 1.000
       Tagen. Er kostet auf ukrainischer Seite Zehntausende Menschenleben,
       Soldaten wie Zivilisten. Millionen Menschen sind auf der Flucht. Zerstörung
       überall. Unübersehbar ist es auch ein Krieg gegen die Kultur der Ukraine.
       
       taz: Wie macht sich das bemerkbar? 
       
       Roth: Bei meiner ersten Reise im Frühsommer 2022 wurde mir bewusst, wie
       gezielt das russische Militär auch Kultureinrichtungen angreift. Meine
       ukrainischen Kolleginnen haben mir damals schon die Verwüstungen gezeigt.
       Bis heute werden Theater, Konzertsäle, Opernhäuser, Kinos, Archive und
       Bibliotheken systematisch bombardiert. Sogar Kirchen. Mein ukrainischer
       Amtskollege, Kulturminister Mykola Tochytsky, spricht bis Anfang November
       von 2225 zerstörten Einrichtungen.
       
       taz: Warum greift Russland militärisch unbedeutende Ziele in diesem Ausmaß
       an? 
       
       Roth: Die russischen Aggressoren verbrennen ukrainische Bücher, zerstören
       Kunstobjekte, plündern und rauben. Kriegsziel Putins ist es, die kulturelle
       Identität der eigenständigen Ukraine zu vernichten. Daher die massiven
       Angriffe auf die Kulturstätten.
       
       taz: Welche Kunst präsentiert die Ukraine nun in der Berliner
       Gemäldegalerie? 
       
       Roth: Wir zeigen Meisterwerke der Europäischen Malerei der Sammlung des
       Museums für Westliche und Östliche Kunst aus Odesa. Darunter sind Gemälde
       von Andreas Achenbach, Francesco Granacci, Frans Hals, Roelant Savery,
       Bernardo Strozzi oder Frits Thaulow. Wir konfrontieren die Bilder aus
       Odesa, das Museum dort wurde 1924 eröffnet, mit Werken aus der Berliner
       Gemäldegalerie. Es ist erstaunlich, wie nahe die Perspektiven in Odesa oder
       Berlin kunstgeschichtlich sind.
       
       taz: Ein Museumsbetrieb in Odesa ist derzeit undenkbar? 
       
       Roth: Unter den jetzigen Bedingungen ist er fast unmöglich. Das Gebäude des
       Museums in Odesa ist wie andere schwer beschädigt. Der Bombenterror ließ
       kein Fenster heil. In einigen, wenigen Sälen werden aktuell kleinere
       Ausstellungen gezeigt. Doch die wertvollen Kunstschätze, die jetzt in
       Berlin sind, wären dort stark gefährdet. Die Ausstellung in Berlin macht
       deutlich, wie stark wir kulturell miteinander verbunden sind. Odesa, die
       ganze Ukraine gehört zu unserem gemeinsamen europäischen Kulturerbe. Die
       Gemälde waren teilweise beschädigt. Wir haben sie restaurieren lassen. In
       Charkiw hat Putin vor wenigen Monaten die größte Druckerei bombardieren
       lassen. Dabei wurden auch 54.000 fertige Bücher, bestimmt für die Buchmesse
       in Kyjiw, vernichtet. 1,7 Millionen ukrainische Kunstobjekte sollen
       inzwischen geraubt sein.
       
       taz: Mitten im Krieg gibt es eine Buchmesse in Kyjiw? 
       
       Roth: Auch das Filmfestival findet weiter statt. Musik wird gespielt, von
       Menschen wie Serhij Zhadan. Der Musiker und Schriftsteller kämpft nun in
       einer Sanitätseinheit. In den U-Bahn-Schächten von Charkiw hat er mit
       seiner Punkband Konzerte gegeben. Die Menschen wollen tanzen, Musik hören,
       zusammensein. Das ist für viele ein Lebenselixier in extrem gefährlicher
       Zeit. In Odesa habe ich die Oper besucht. Dort wird Ballett aufgeführt,
       werden Opern inszeniert.
       
       taz: Seit wann gab es die Planung für die Ausstellung „Von Odesa nach
       Berlin“? 
       
       Roth: Die Kontakte waren [1][mit meiner ersten Reise im April 2022 da]. Die
       Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die Gemäldegalerie und mein Haus haben
       sie gemeinsam möglich gemacht. Aber das möchte ich hier auch sagen: Viele
       andere haben auf ganz anderer Ebene durch ihr ziviles Engagement der
       Ukraine geholfen. Etwa der Geschäftsführer von Borussia Dortmund, Herr
       Watzke. Der BVB hat über den Fußball Kontakt in die Ukraine und sich sehr
       für Spenden und medizinische Hilfslieferungen eingesetzt. Die Unterstützung
       für die Ukraine kommt nicht nur aus der Politik, sondern insgesamt breit
       aus unserer Zivilgesellschaft. Damit dürfen wir jetzt in dieser Situation
       nicht nachlassen.
       
       taz: Aber könnte jetzt der Vorwurf kommen: Die Ukrainer kämpfen, aber ihre
       Kunstschätze wandern schon einmal aus? 
       
       Roth: So ist es ja gerade nicht, wir laden sie ein, sich bei uns zu
       präsentieren. Die Ausstellung ist das Ergebnis einer sehr guten
       deutsch-ukrainischen Museumszusammenarbeit. Ukrainische Galeristen,
       Künstlerinnen oder Museumsdirektoren sagen uns aber auch: Gut, dass ihr
       unsere Sammlungen zeigt, Theater, Ballett, Philharmoniker, Schriftsteller
       oder bildende Künstler einladet. Aber ihr müsst auch zu uns kommen. Trotz
       der Gefahren und dem Luftalarm. Im direkten Austausch bleiben, ist sehr
       wichtig.
       
       taz: Der militärischen Front fehlt es an Mitteln, wie kommen da Ausgaben
       für Kultur an? 
       
       Roth: Der Erhalt einer ukrainischen Kultur und Geschichte ist Teil des
       Widerstands gegen Russland. Es ist auch ein Signal an Präsident Selenskyj,
       dass wir die kulturelle Erzählung der Ukraine im Ausland unterstützen. Im
       Land ist die Situation für die Kultur schwer. Wo Kindergärten, Schulen,
       Krankenhäuser, Wasser- und Energieversorgung angegriffen werden, rangieren
       Museen nicht an erster Stelle. Aber es gibt dennoch breit geführte
       kulturelle Debatten wie um die Folgen einer historischen Kolonisierung
       durch das imperiale Russland – ein wichtiges Thema in dieser
       Kriegssituation.
       
       taz: Während Sie für Solidarität mit der Ukraine werben, wollen andere
       näher an Russland ran. AfD-Chefin Alice Weidel sagt, wäre sie „am Ruder“,
       würde sie „alle Windmühlen der Schande“ abreißen lassen. Statt erneuerbarer
       Energien will sie Kernkraft fördern und billiges russisches Gas. 
       
       Roth: Die Rede von Frau Weidel auf dem AfD-Parteitag wollte gar nicht mehr
       den Anschein einer gewissen Bürgerlichkeit erwecken. Wir sehen hier eine
       ganz offene Radikalisierung. Der extremste Flügel der Partei hat sich
       durchgesetzt. Und Weidel ist die Stimme. Die extreme Rechte ist
       antidemokratisch, unverhohlen völkisch und zukunftsblind. Was sie zur
       Windkraft sagt, ist in etwa so zutreffend wie die gemeinsame mit Elon Musk
       vorgetragene Erfindung, der Holocaust-Verbrecher Hitler sei Kommunist
       gewesen. Bei Weidel ist alles frei von Fakten. Wir decken mittlerweile 60
       Prozent des Stromverbrauchs aus erneuerbaren Energien. Bis 2030 sollen es
       80 Prozent sein. Frau Weidel und die AfD betreiben eine brutale,
       hetzerische Stimmungsmache. Sie trägt die Gewalt in ihrer Stimme, auch als
       sie sagte, wer hier alles das Land zu verlassen habe.
       
       taz: Parallel zur AfD hielt Sahra Wagenknechts BSW ihren Parteitag ab.
       Oskar Lafontaine, der auch etwas gegen Windräder hat, propagierte dort die
       Rückkehr zu Putins Gas. Und als Zugabe rief dort auch Sevim Dağdelen: „Ami
       go home!“ 
       
       Roth: Das ist der alte populistische Antiamerikanismus. Für die Ukraine hat
       das BSW nicht mehr als ein Schulterzucken übrig. Frieden meint hier
       absolute Unterwerfung unter Putin. In Migrationsfragen schlägt das BSW
       einen autoritären Ton nahe dem der AfD an. Wobei deren Zweitchef, Tino
       Chrupalla, jetzt zur Vereidigung Trumps nach Washington eilte. Die AfD
       fühlt sich den antidemokratischen Kräften um Trump sehr nahe. Gleichzeitig
       hassen bei den Rechten viele die USA, sind teilweise für Putin. Ein
       absurdes Gebräu.
       
       taz: Sie sind Direktkandidatin der Grünen für den Bundestag im Wahlkreis
       Augsburg Stadt. CSU-Chef Markus Söder hat Ihre Partei zum Hauptfeind
       ausgerufen. Wie erleben Sie die Stimmung in Bayern? 
       
       Roth: Markus Söder bläst bekanntlich gern die Backen auf, aber mittlerweile
       verbreitet er auf fast schon pathologische Art Hass gegen Grün. Dabei war
       er schon mal flexibler. In einem gemeinsamen Streitgespräch für den Stern
       hat er mir 2011 vorgeworfen, dass wir Grünen schuld seien, dass es mit dem
       Atomausstieg so langsam voranginge.
       
       taz: Wirklich? 
       
       Roth: Kann man alles nachlesen. Das Gespräch hab ich aufgehoben. Als Grüne
       in Bayern sehen wir uns als Gegenkraft zu dem hemdsärmligen CSU-Populismus.
       Das Verantwortungslose bei Söder ist, dass er um seine potenzielle
       Wählerschaft zu mobilisieren, den Jargon der Demokratiefeinde kopiert. Aber
       wenn er die Grünen so wie jetzt in Augsburg beim CSU-Parteitag über 40-mal
       basht, dann hilft das am Ende nur der AfD. Und die will er doch eigentlich
       bekämpfen. Mit seinem pathologischen Anti-Grün vergiftet er die Stimmung.
       Dabei ist es doch so: Selbst in Augsburg, immerhin der drittgrößten Stadt
       Bayerns, arbeitet Schwarz-Grün fair und respektvoll in einer Stadtregierung
       zusammen.
       
       taz: Hört sich an, als wären Sie für Schwarz-Grün? 
       
       Roth: Also man kann mir vieles unterstellen. Aber nicht, dass ich eine Nähe
       zur CSU hätte. Doch in einer Zeit, in der völkisch denkende
       Rechtsstaatsverächter die Demokratien weltweit angreifen, müssen wir über
       Fraktionen hinweg zusammenarbeiten können. In Österreich sehen wir gerade,
       was passiert, wenn die demokratischen Parteien bei allen Unterschieden
       nicht in der Lage sind, sich zusammenzuraufen. Schwarz-Grün in
       Nordrhein-Westfalen oder Schleswig Holstein zeigen auch, dass es da gut
       geht. Der Populismus der CSU stärkt nur die AfD. Dabei ist es doch so: Ein
       Herr Merz wetterte zunächst auch gegen grünen Stahl. Die Stahlunternehmen
       haben ihn eines Besseren belehrt. Und er korrigierte sich. Wir brauchen
       Modernisierung, erneuerbare Energien, um zukunftsfähig zu bleiben. Genauso
       wie den Zuzug von Arbeitskräften und ein starkes, geeintes, nicht
       nationalistisches Europa. Alles andere gefährdet Widerstandsfähigkeit und
       Wirtschaftskraft. Und wenn die CDU in ihrem Programm jetzt wieder von
       deutscher Leitkultur spricht, dann kann ich nur sagen: Das geht völlig an
       der Realität der Vielfalt unserer existierenden, Gesellschaft vorbei. Das
       stiftet vor allem Spaltung und Unfrieden. Wir haben ein Grundgesetz, eine
       Verfassung – und wollen weiterhin eine offene Gesellschaft bleiben.
       
       taz: Aber es gibt auch islamistische Attentate. Oder jetzt die
       Messerattacke eines psychisch gestörten Asylbewerbers auf eine Kitagruppe
       und Passanten in Aschaffenburg. Sehen Sie Versäumnisse in der Migrations-
       und Asylpolitik, die den Aufstieg der extremen Rechten begünstigten? 
       
       Roth: Ein kleines Kind und ein Mann, der großen Mut, Zivilcourage gezeigt
       hat, sind tot, andere schwer verletzt. Das macht fassungslos und wütend.
       Meine Gedanken sind bei den Opfern, bei den Verletzten und den Angehörigen.
       Es muss gründlich aufgeklärt werden, wie es dazu kommen konnte. Wo hat es
       hier in der Zusammenarbeit verschiedener Behörden nicht funktioniert und
       warum? Hier gibt es doch offenbar vor allem ein Vollzugsproblem der
       bestehenden Gesetzeslage. [2][Aber so wie Merz jetzt vor allem unsere
       Grenzen] mitten in Europa dichtmachen will, widerspricht das nicht nur
       Europa- und Verfassungsrecht. Es würde unser Europa auch erheblich
       schwächen. Das wäre auch angesichts eines US-Präsidenten Trump fatal.
       Rassistische Stimmungsmache, wenn wir um einen kleinen Jungen mit
       marokkanischen Wurzeln trauern und um ein syrisches Mädchen sorgen, das im
       Krankenhaus liegt, ist wirklich widerwärtig.
       
       taz: Letztes Wochenende waren Sie zur Eröffnung der [3][Europäischen
       Kulturhauptstadt 2025 nach Chemnitz] gereist. Welche Eindrücke nahmen Sie
       aus Sachsen mit? 
       
       Roth: Ich bin wirklich beeindruckt. Die Chemnitzer Stadtgesellschaft
       beteiligt sich aktiv und begreift dies als Chance für einen Prozess lokaler
       Aneignung und Vergegenwärtigung. Ich bin begeistert von einem erweiterten
       Kulturbegriff, der dort praktiziert wird, der Kultur für alle ermöglichen
       will und zum Mitmachen einlädt. Von Inszenierungen in der Oper, über
       Konzerte unter freiem Himmel und Projekten, wie sie in den 3.000 Garagen
       stattfinden sollen. Aber auch in historischen Erinnerungsstätten wie dem
       früheren Gefängnis Kaßberg. Im Mai eröffnet zudem ein
       Dokumentationszentrum zum Rechtsterrorismus des NSU. 38 Kommunen sind in
       der ganzen Region am Programm beteiligt. Einiges ist sogar
       grenzüberschreitend, bezieht Tschechien, Polen und die zweite
       Kulturhauptstadt in Slowenien, Nova Gorica, mit ein.
       
       taz: Sie sprachen auf der Eröffnungsgala auch über die Ukraine, gab es da
       Pfiffe? 
       
       Roth: Im Gegenteil, bei der Eröffnung in der Chemnitzer Oper gab es
       Applaus. Auch als ich über Vielfalt sprach und sagte, dass für eine freie
       Gesellschaft und Kultur, wie wir sie haben, die Ukraine Tag und Nacht
       kämpft, habe ich kräftigen Beifall vernommen. Trotz der AfD-Repräsentanten
       im Saal. Die Menschen in Chemnitz sehen in überwiegender Mehrheit diese
       Auszeichnung zur Europäischen Kulturhauptstadt als Chance. Sie unterstützen
       ein Programm, das für Freiheit und Vielfalt in Kunst, für eine lebendige
       Demokratie, für Weltoffenheit und ein gemeinsames Europa steht. Und das
       nachhaltig ist – immerhin kommt der Erfinder des Konzepts, Hans Carl von
       Carlowitz, aus der Region.
       
       25 Jan 2025
       
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