# taz.de -- NS-Glocke bekommt Lernort: Hakenkreuz wird nun doch nicht versteckt
       
       > Die Michaelkirche im niedersächsischen Faßberg soll Teil eines Lern- und
       > Denkortes werden. 2017 war auch dort eine Hakenkreuz-Glocke gefunden
       > worden.
       
 (IMG) Bild: Wird demnächst vom Dachboden geholt: die umstrittene Hakenkreuz-Glocke der Faßberger Michaelkirche
       
       Hamburg taz | Ein winzig kleines Hakenkreuz, so groß wie ein
       Schlüsselanhänger, mehr nicht. Zu sehen auf der Kirchenglocke, gehalten vom
       Adler der NS-Luftwaffe, ein Siegel für die Ewigkeit: Unspektakulär wirkt
       die Glocke der einstigen Garnisonskirche im niedersächsischen [1][Faßberg]
       bei Celle auf den ersten Blick. Sie liegt gut versteckt im Turm des einst
       500 Plätze fassenden Backsteinbaus. Lange stritt die Gemeinde, wie sie mit
       der Glocke umgehen wollte. Nun soll die Michaelkirche doch noch ein Lern-
       und Denkort werden.
       
       Die Kirche ist ein architektonisches Abbild der [2][Ideologie ihrer
       Erbauungszeit]. 1938 war sie fertig, Höhe- und Mittelpunkt der 1934 vom
       NS-Staat gebauten Luftwaffensiedlung Faßberg. Vor diesem Hintergrund wirkt
       selbst der Gekreuzigte auf dem Altarfenster wie ein Held, ein Recke bis in
       den Tod – sicher auch als Vorbild für die dort stationierten Soldaten
       gedacht.
       
       Doch da sind noch mehr NS-Insignien: Die vier Evangelisten der – historisch
       im heutigen Nahen Osten angesiedelten – Bibel etwa hat der NS-Funktionär
       Werner Thiede in [3][Wikinger-Tuniken] an die Südwand gemalt, getreu der
       NS-Ideologie der nordischen „Herrenrasse“. Auch der goldene Vogel über der
       Kanzel ähnelt eher dem Luftwaffen-Adler als der den Heiligen Geist
       symbolisierenden christlichen Taube. Und auf dem deutlich sichtbaren
       Grundstein neben dem Altar prangt ein weiterer Luftwaffen-Adler mit – 1945
       entferntem – Hakenkreuz in den Krallen.
       
       ## Streit begann am Buß- und Bettag 2017
       
       All dies lag in Faßberg, inzwischen Standort eines riesigen
       Luftbrücken-Museums, jahrzehntelang unangefochten zutage – bis 2017 Sigrid
       Peters, einstige Organistin der St.-Jakobs-Kirche im rheinland-pfälzischen
       [4][Herxheim am Berg], öffentlich machte, dass dort eine in großen Lettern
       Hitler preisende Glocke hing. Aufgeschreckt gingen alle Landeskirchen auf
       die Suche und wurden auch in Faßberg fündig. Der Streit begann, als deren
       Glocke nach einem Umbau am Buß- und Bettag 2017 wieder läuten sollte. „Da
       haben wir uns mit Flugblättern vor die Kirche gestellt und gebeten, dass
       die Glocke schweigen möge“, sagt Hans-Dietrich Springhorn. Er ist einer der
       damals zehn AktivistInnen, die die Inbetriebnahme der Glocke nicht
       hinnehmen wollten und inzwischen die [5][Geschichtswerkstatt Faßberg]
       gegründet haben.
       
       Genützt hatte der Protest zunächst nichts. Kirchenvorstand, Pastor und
       Gemeinde wollten die Glocke behalten. Als der Pastor dann in jenem
       Gottesdienst vorschlug, man könne eine Glocke für den von den Nazis
       ermordeten Theologen [6][Dietrich Bonhoeffer] daneben hängen, waren die
       ProtestlerInnen so empört, dass sie die Sache öffentlich machten. „Das
       klang ja, als werde Bonhoeffer ein zweites Mal aufgehängt“, sagt
       Springhorn.
       
       Das wirkte. Eine Debatte in nationalen und internationalen Medien brach
       los, in deren Folge Kirchenvorstand, Pastor und Gemeinde beschlossen, die
       Glocke abzuhängen, auf den Dachboden zu stellen und eine neue zu gießen.
       Die Landeskirche Hannover bezahlte, 2019 wurde die neue Glocke geweiht.
       Auch gründete die Landeskirche einen Gesprächskreis, um den Vorgang
       aufzuarbeiten.
       
       Ende 2021 wurde auf Initiative der Geschichtswerkstatt eine Tafel vor der
       Kirche aufgestellt, die den Vorgang dokumentierte. „Zu diesem Anlass haben
       wir als Geschichtswerkstatt gefordert: Diese Glocke kommt nicht weg, wird
       nicht eingeschmolzen oder verschwindet im Museum, sondern bleibt in der
       Kirche als Teil eines Lern-, Denk- und Dokumentationsorts“, sagt
       Springhorn. Man sei sich mit VertreterInnen von Gemeinde und
       Kirchenvorstand einig gewesen, dass dieser Ort im Zuge der anstehenden
       Kirchensanierung eingerichtet werde. Doch bei Wiedereröffnung der
       Michaelkirche im Frühjahr 2024 war von einem Lernort nichts zu sehen und zu
       hören.
       
       ## Bischöfin machte den Lernort zur Chefsache
       
       Nun war aber seit Kurzem die neue Regionalbischöfin des zuständigen
       Sprengels Lüneburg, Marianne Gorka, im Amt. Sie griff die Idee gern auf,
       machte den künftigen Lern- und Denkort zur Chefinnensache und belebte den
       Gesprächskreis nach fünfjähriger Pause neu.
       
       Der hat kürzlich getagt, besetzt unter anderem mit VertreterInnen von
       Kirchenvorstand, Gemeinde und Geschichtswerkstatt sowie [7][Elke
       Gryglewski] von der Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten und Christian
       Staffa, Studienleiter für Demokratische Kultur und Kirche mit Schwerpunkt
       Antijudaismus und Antisemitismus. „Das Treffen markiert den Beginn einer
       erneuten intensiven Auseinandersetzung mit der historischen Last der Glocke
       und ihrer symbolischen Bedeutung für die Kirchengemeinde Faßberg“, heißt es
       in der Pressemitteilung der Bischöfin. Ziel der Gruppe sei, „einen Lern-
       und Gedenkort zu entwickeln, der die Glocke in ein umfassendes
       pädagogisches Konzept einbettet“.
       
       ## Gemeinde soll beteiligt werden
       
       Wichtig sei, ergänzt Gorka, dass die Gemeinde beteiligt werde. „Deshalb
       werden wir am 16. Januar zu einem ‚Welt-Café‘ einladen, wo Menschen
       zunächst in Kleingruppen überlegen könnten: Was für einen Gedenkort wünsche
       ich mir, was verbinde ich persönlich mit dieser Glocke, was bedeutet es
       mir, in einer Kirche getauft zu sein, deren Glocke ein Hakenkreuz trägt?“
       
       Wobei der Denkort nicht nur die Glocke kommentieren müsste, sagt Springhorn
       von der Geschichtswerkstatt, sondern auch besagte [8][Evangelistengemälde],
       den Vogel auf der Kanzel und den Grundstein mit Luftwaffen-Adler und Spuren
       des 1945 herausgefrästen Hakenkreuzes.
       
       Noch sei nichts entschieden, betont indes Regionalbischöfin Marianne Gorka.
       Sie könne sich beispielsweise einen – sei es durch Beschriftungen, sei es
       durch QR-Codes – geleiteten Rundgang vorstellen. Aber darüber müsse in
       einem partizipativen Prozess diskutiert werden.
       
       Im niedersächsischen [9][Schweringen], in deren Kreuzkirche man eine weit
       größere „Vaterlandsglocke“ mit Hakenkreuz fand, wurde anders entschieden.
       Nachdem Unbekannte eines Nachts Hakenkreuz und NS-Inschrift abgefräst
       hatten, ließ man einen Psalm über die NS-Beschriftung drucken, weihte die
       Glocke 2020 neu und hängte sie wieder auf. Vor die Kirche stellte man ein
       „Hörmal“ mit der Hohlform der Glocke. Auch hier musste Bonhoeffer
       herhalten: mit dem vielfältig deutbaren Zitat „Vergebung ist ohne Anfang
       und Ende.“
       
       ## In Rheinland-Pfalz hängt die Hakenkreuz-Glocke bis heute
       
       Auch im rheinland-pfälzischen Herxheim, wo die Debatte um die NS-Glocken
       2017 begann, hängt die Glocke mit der Aufschrift „Alles fuer’s Vaterland –
       Adolf Hitler“ bis heute. Der Stadtrat ließ sie „als Anstoß zur Versöhnung
       und Mahnmal gegen Gewalt und Unrecht“ hängen. Die Klage eines jüdischen
       Deutschen, der darin die Verhöhnung der Holocaust-Opfer sah, wies das
       Oberverwaltungsgericht Koblenz 2018 ab.
       
       Warum Menschen ausgerechnet in Zeiten massiver Kirchenaustritte an ihren
       Glocken hängen, kann auch Bischöfin Gorka nur vermuten. „Trotz allem
       besteht eine emotionale Bindung an die Kirche im Dorf, mit der man sich
       identifiziert“, sagt sie. Da sei es schwer zu verkraften, dass die Glocke,
       unter der man zum Beispiel geheiratet habe, plötzlich „böse“ sei.
       
       2 Jan 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /!5630554/
 (DIR) [2] /Kirche-im-Nationalsozialismus/!5051992
 (DIR) [3] /Streit-um-NS-Archaeologie/!5071680
 (DIR) [4] /Streit-um-die-Hitler-Glocke/!5434136
 (DIR) [5] https://celle.vvn-bda.de/besuch-in-geschichtswerkstatt/
 (DIR) [6] /!1473099/
 (DIR) [7] /Elke-Gryglewski-ueber-Shoah-Gedenken/!5705762
 (DIR) [8] /Ende-einer-Dauerausstellung/!5038660
 (DIR) [9] /!5456344/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Petra Schellen
       
       ## TAGS
       
 (DIR) NS-Ideologie
 (DIR) NS-Verfolgte
 (DIR) Hakenkreuz
 (DIR) Hitler
 (DIR) Niedersachsen
 (DIR) Evangelische Kirche
 (DIR) Antisemitismus
 (DIR) Schwerpunkt Nationalsozialismus
 (DIR) Theater
 (DIR) Neues Album
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Theologe über österlichen Judenhass: „Bachs Genie vergrößert die Probleme noch“
       
       Die Karfreitagsrituale sind antijüdisch geprägt: Theologe Stephan Vasel
       über die Johannes-Passion und den Bedarf an einer heutigeren Oster-Musik.
       
 (DIR) NS-Helfer in Den Haag: Das Recht zu wissen, wer die Angehörigen verriet
       
       Es ist überfällig, dass Kollaborations-Akten aus der NS-Zeit freigegeben
       werden. Besser wäre es aber, wenn die Akten digital zugänglich wären.
       
 (DIR) Theaterstück über Felix Hartlaub: Im Epizentrum der Nazis
       
       Das Nationaltheater und die Kunsthalle Mannheim bringen das kurze Leben des
       Kriegstagebuchschreibers Felix Hartlaub auf die Bühne.
       
 (DIR) Chilly Gonzales: „Mein Dasein als Superschurke Gonzo ist sehr verführerisch“
       
       Chilly Gonzales spricht über seine Psychoanalyse, Gemeinsamkeiten von
       Rapperinnen und Comic-Helden und einen Beef mit Richard Wagner in Köln.