# taz.de -- NS-Helfer in Den Haag: Das Recht zu wissen, wer die Angehörigen verriet
       
       > Es ist überfällig, dass Kollaborations-Akten aus der NS-Zeit freigegeben
       > werden. Besser wäre es aber, wenn die Akten digital zugänglich wären.
       
 (IMG) Bild: Akten imniederländischen Nationalarchiv in Den Haag
       
       Aleid Wolfsen hat einen Punkt. Der Chef der niederländischen
       Datenschutzbehörde erklärte kurz vor dem Jahreswechsel: „Man kann nicht zu
       jemand sagen: Sie sind jetzt 90 Jahre alt, Ihre Privatsphäre ist weniger
       wichtig!“ Damit meinte er noch lebende Personen, über die im Archiv der
       Kollaboration mit den Deutschen beschuldigter Niederländer*innen Akten
       angelegt sind. Diese hätten an diesem 2. Januar online allgemein zugänglich
       werden sollen – was Wolfsens Behörde unter Berufung auf die Privatsphäre im
       letzten Moment verhinderte.
       
       [1][Die Behörde beruft sich auf Verstöße gegen das Datenschutzgesetz.] Das
       zuständige Nationalarchiv betont dagegen, man habe sich bei dem Projekt an
       alle Vorschriften gehalten und sei mit Angehörigen von
       Kollaborateur*innen regelmäßig in Kontakt gewesen. Die Entscheidung
       zeigt, wie heikel das Thema Zweiter Weltkrieg nach wie vor ist in diesem
       Land. [2][Vorerst ist nur der klassisch analoge Zugang zu den Akten
       möglich].
       
       Dass eine allgemeine Öffnung der Archive nur in Übereinstimmung mit
       datenschutzrechtlichen Bestimmungen geschehen kann, ist unbestritten.
       Rechtsstaatliche Bestimmungen sind dazu da, um sie einzuhalten. Es wird
       weitere Verhandlungen benötigen zwischen Angehörigen von Opfern und
       Täter*innen sowie juristischen und historischen Expert*innen, um sich
       auf die Modalitäten einer vollständigen Öffnung der Archive zu
       verständigen. Dieses Ziel nämlich wird zwar vorerst aufgeschoben, deswegen
       aber nicht aufgehoben – und das sollte es auch nicht.
       
       ## Digital ist alternativlos
       
       Vielmehr ist der allgemeine digitale Zugang zu den Akten alternativlos –
       gerade in Zeiten, in denen die letzten Zeitzeug*innen sterben und sich
       weltweit Fachleute fragen, wie man die Erinnerung an den Holocaust für
       künftige Generationen lebendig hält. In Zeiten, in denen Antisemitismus
       grassiert, wie man es vor 20 Jahren nicht für möglich gehalten hätte. In
       denen Geschichte umgedeutet wird, Donald Trump seine Gegner*innen als
       „Faschisten“ bezeichnet oder Wladimir Putin die seines autoritären
       Russlands als „Nazis“. In denen AfD oder FPÖ nach der Macht greifen und
       ihre europäischen Partnerparteien diese schon haben – auch in den
       Niederlanden.
       
       Ein möglichst barrierefreier Zugang ist in diesem Kontext auch von großem
       Belang für die internationale Forschung. Vor allem aber ist es eine
       gesellschaftliche Verpflichtung gegenüber oft (hoch-)betagten Angehörigen,
       die nicht nur jahrzehntelang mit den Löchern leben mussten, [3][die ihre
       ermordeten Familienmitglieder hinterließen], sondern nicht einmal
       Informationen darüber hatten, wer von ihren Landsleuten sie einst verriet.
       
       2 Jan 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /NS-Archiv-in-den-Niederlanden/!6056651
 (DIR) [2] https://www.juedische-allgemeine.de/juedische-welt/niederlande-oeffnen-archiv-ueber-nazi-kollaboration-der-oeffentlichkeit/
 (DIR) [3] /Quellensammlung-zur-NS-Forschung/!5010680
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tobias Müller
       
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