# taz.de -- Aktivistin über patriarchale Gewalt: „Erst muss was Schlimmes passieren“
       
       > Niedersachsen will Belästigung auf der Straße verbieten. Aber der
       > Fortschritt kommt zu langsam, kritisiert Lisanne Richter von „Catcalls of
       > Hannover“.
       
 (IMG) Bild: Berührungen im intimen Bereich sind erst seit 2016 in Deutschland strafbar
       
       taz: Lisanne Richter, Gewalt gegen Frauen hat in Deutschland in den
       vergangenen Jahren [1][laut Statistiken zugenommen]. Woran liegt das? 
       
       Lisanne Richter: Wir beobachten gesamtgesellschaftlich einen Rollback.
       Rechte Parteien, die auch Frauenrechte stark beschneiden wollen, sind seit
       Jahren im Aufwind. 2017 hatten wir #Metoo, danach wurde viel diskutiert,
       was wir als Gesellschaft verändern müssen. Heute ist die Stimmung eher:
       „Man darf nichts mehr sagen und nicht mehr flirten.“ Aus so einer Stimmung
       folgen eben auch Gewalttaten.
       
       taz: Versagen staatliche Strukturen beim Schutz von Frauen? 
       
       Richter: Ich würde nicht unbedingt von einem Versagen sprechen. Der Umgang
       etwa mit Hassdelikten bei der Polizei ist sehr unterschiedlich. Und
       natürlich ist alles immer eine Kostenfrage. In Hannover wurde gerade im
       Kultur- und Sozialbereich viel gestrichen. Dabei hat die Stadt die Pflicht,
       Beratungsstellen mitzufinanzieren. Da zu sparen ist fatal für die ganze
       Gesellschaft.
       
       taz: Immerhin will [2][Niedersachsen Catcalling verbieten]. 
       
       Richter: Stimmt, die niedersächsische Justizministerin hat einen
       entsprechenden Gesetzesentwurf eingebracht. Wir müssen natürlich gucken, ob
       der am Ende so durchkommt. Seit 2020 ist Upskirting verboten, also das
       Fotografieren unter den Rock, und seit 2016 sexuelle Belästigung. Ich
       wundere mich nur, warum das immer so lange dauert.
       
       taz: Wie meinen Sie das? 
       
       Richter: Der Gesetzesentwurf zu Catcalling, aber auch die Gesetze zu
       Upskirting und sexueller Belästigung, waren beeinflusst durch beharrliche
       aktivistische Arbeit. Meistens muss [3][etwas Schlimmes passieren], bis
       sich was verbessert. Warum brauchen wir die Köllner Silvesternacht, um
       unter Strafe zu stellen, dass Menschen an intimen Körperteilen angefasst
       werden?
       
       taz: Was raten Sie Betroffenen von Catcalling, wie sie in der Situation
       reagieren sollten? 
       
       Richter: Viele Betroffene schreiben uns, dass sie sich schämen, nichts
       gesagt zu haben. Das ist total normal! Man ist überfordert und überrumpelt
       und muss sich nicht schämen. Natürlich kann man zurückbellen, wenn man sich
       das in dem Moment zutraut. Grundsätzlich würde ich eher von Beleidigungen
       abraten, weil das leider dazu führen kann, dass man sich weiter in Gefahr
       bringt.
       
       taz: Was kann ich tun, wenn ich Partnerschaftsgewalt in meinem Umfeld
       mitkriege und die Betroffene nichts dagegen unternimmt? 
       
       Richter: Dass jemand in einer Gewaltspirale feststeckt, ist sehr typisch.
       Ein Problem ist, dass es nicht mit dem blauen Auge anfängt, sondern mit
       kleineren, unsichtbaren Sachen. Als Laie, der das mitbekommt und helfen
       will, kann man aus Versehen dafür sorgen, dass sich die Betroffene noch
       mehr zurückzieht. Deshalb würde ich immer eine Beratungsstelle aufsuchen.
       Als Betroffene schafft man es nicht alleine, aber auch als Angehörige oder
       Beobachterin nicht.
       
       16 Dec 2024
       
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