# taz.de -- Nach Abschiebung aus Frauenhaus: „Die Kinder hatten riesige Angst“
       
       > Wenn gewalttätige Expartner ihre Kinder sehen, ist das oft ein
       > Sicherheitsrisiko für ein Frauenhaus. Auch Abschiebungen erschweren den
       > Gewaltschutz.
       
 (IMG) Bild: Ein Frauenhaus sollte auch für Kinder ein sicherer Ort sein. In Hamburg wurde ein Tabu gebrochen
       
       taz: Frau Ziemba, im November wurde in Hamburg eine Frau mit zwei kleinen
       Kindern (6 und 8 Jahre alt) abgeschoben, die in einem Frauenhaus lebten.
       Waren Sie dabei? 
       
       Anika Ziemba: Nein, die Frau ging an dem Tag allein mit ihren Kindern in
       die Ausländerbehörde, um ihre Duldung zu verlängern. Die Betroffene und die
       Mitarbeiterinnen, die an dem Tag im Dienst waren, gingen davon aus, dass es
       ein Standardtermin war und verabschiedeten sich mit den Worten: „Bis
       später.“ Nach einigen Stunden kam der Anruf aus der Behörde, dass die Frau
       [1][in Gewahrsam genommen wurde] und abgeschoben werde.
       
       taz: Konnten Sie sie noch sprechen? 
       
       Ziemba: Nein, sie musste ihr Handy abgeben. Außerdem musste sie sich in der
       Behörde für eine Leibesvisitation ausziehen. Sie und die Kinder durften die
       Toilette nur bei geöffneter Türe nutzen. Das ist für jeden entwürdigend,
       aber die allermeisten Frauen, die bei uns Schutz suchen, haben
       sexualisierte Gewalt erlebt. Für so jemanden ist das sehr schlimm und
       wahrscheinlich retraumatisierend.
       
       taz: Haben Ihre Kolleginnen versucht zu intervenieren? 
       
       Ziemba: Natürlich, aber es war nichts zu machen. Ein Mitarbeiter der
       Ausländerbehörde wollte die Adresse des Frauenhauses haben, damit die Frau
       noch ein paar Sachen holen könne. Natürlich können wir die Adresse nicht
       rausgeben. In der Ausländerbehörde wurde die Frau dann so unter Druck
       gesetzt, dass sie die Adresse preisgab.
       
       taz: Wo ist die Frau jetzt? 
       
       Ziemba: Sie ist nach der Dublin-Regelung [2][nach Österreich gebracht
       worden]. Dabei hatte sie gerade ihre freiwillige Rückkehr in die Türkei
       vorbereitet. Die Beamten der Ausländerbehörde meinten nur: „Tja, wir sind
       ihr zuvorgekommen.“ Das ist so unsinnig. Ob sie jetzt noch in die Türkei
       will, weiß ich nicht. Die Kinder werden ja auch jedes Mal aus ihrem Umfeld
       gerissen. Auch für sie war das Ganze traumatisierend. Der Bus, in dem sie
       abgeschoben wurden, glich einem Gefangenentransport.
       
       taz: Konnten Sie sich noch am Bus verabschieden? 
       
       Ziemba: Wir konnten einen Termin vereinbaren, um der Frau ihre Koffer zum
       Bus zu bringen. Erst durfte sie nicht zur Tür kommen, dann wurde sie doch
       mit zwei Sicherheitsbeamten zur Tür gebracht und wir konnten sie kurz
       umarmen. Die Kinder haben hinten gesessen und nur starr aus dem Fenster
       geguckt. Die wussten überhaupt nicht, wie ihnen geschieht. Die Gepäckablage
       des Busses war komplett leer – die anderen Geflüchteten, die mit
       abgeschoben wurden, hatten keine Leute, die ihnen noch Koffer gepackt
       haben. Es war so bedrückend. Eine ekelhafte Politik.
       
       taz: Wie geht es der Frau und den Kindern? 
       
       Ziemba: Wir stehen mit ihr im Kontakt und wissen, dass es ihr schlecht
       geht. Sie hat immer wieder Albträume von den Szenen in der Ausländerbehörde
       und im Bus. Sie hat den maximalen Kontrollverlust und damit eine
       Retraumatisierung erlebt. Aber sie hat sich jetzt rechtliche Unterstützung
       geholt und versucht, sich neu zu sortieren. Den Kindern geht es auch nicht
       gut, sie konnten sich von niemandem verabschieden. Wie soll man sechs- und
       achtjährigen Kindern so etwas erklären?
       
       taz: Wo hält sich der gewalttätige Ex-Mann auf? 
       
       Ziemba: Der Hamburger Senat geht davon aus, dass er sich noch in Hamburg
       aufhält. Aber wie will man da sicher sein? Es könnte ja auch jemand die
       Frau erkennen, der noch Kontakt zu dem Mann hat, und ihm Bescheid sagen.
       
       taz: Wie hat die Abschiebung die Arbeit der Frauenhäuser verändert? 
       
       Ziemba: So etwas ist in den fast 50 Jahren, in denen es die Hamburger
       Frauenhäuser gibt, noch nie passiert. Wir waren alle total geschockt. Es
       war ähnlich wie beim Kirchenasyl ein ungeschriebenes Gesetz, dass die
       Menschen in Ruhe gelassen werden. Wir verstecken auch niemanden, sondern
       bemühen uns mit den Betroffenen um einen legalen Aufenthalt. Wir müssen
       jetzt gucken, wie wir noch Sicherheit herstellen können. Zum Beispiel
       lassen wir Frauen im Dublin-Verfahren jetzt nicht mehr allein in die
       Ausländerbehörde gehen, sondern begleiten sie mit zwei Kolleginnen.
       
       taz: Wie gehen die schutzsuchenden Frauen mit der Situation um? 
       
       Ziemba: Sie haben es natürlich aus der Presse erfahren und sind sehr
       verunsichert. Auch Frauen, die eigentlich einen sicheren Aufenthaltsstatus
       haben, fragen sich: „Wie lange habe ich den noch?“ Auch im Team ist die
       psychische Belastung seit der Abschiebung sehr hoch. Unser Anliegen ist,
       die Frauen, die aus einer gewaltvollen Situation ausbrechen, zu
       stabilisieren. Aber wir können nicht mehr ruhigen Gewissens vermitteln:
       „Hier seid ihr sicher.“ Auch die Kinder haben viele Fragen und wollen
       wissen, warum die Abgeschobenen nicht mehr da sind.
       
       taz: Wie erklären Sie es ihnen? 
       
       Ziemba: Ich habe gesagt, dass es in Deutschland Gesetze gibt und Menschen,
       die denken, sie könnten entscheiden, wer hier leben darf und wer nicht. Und
       das manchmal bedeutet, dass Menschen andere Leute wegschicken, auch wenn
       das total fies und unfair ist.
       
       taz: Wie läuft der Kontakt zur Ausländerbehörde normalerweise? 
       
       Ziemba: Die Frauen, die bei uns leben, haben als Meldeadresse eine
       Postfachadresse, damit die Straßenadresse anonym bleibt. In der
       Ausländerbehörde sehen die Mitarbeiter*innen eine Auskunftssperre und
       den Vermerk, dass die Frau im Frauenhaus lebt. Trotzdem sind [3][die
       Termine dort oft problematisch].
       
       taz: Warum? 
       
       Ziemba: Wenn eine Frau ihre Duldung verlängern muss, muss sie an einem
       bestimmten Tag dorthin, bekommt aber keinen Termin. Das heißt, sie muss
       fünf, sechs Stunden dort warten – mit den Kindern. Sie sind verpflichtet
       mitzukommen. Sie sitzen dann in der Eingangshalle und wissen nicht, ob der
       gewalttätige Ex-Mann jeden Moment zur Tür reinkommt. Es ist nicht
       unwahrscheinlich, dass seine Duldung am gleichen Tag ausläuft, wenn sie
       vorher zusammen den Aufenthalt beantragt haben. Das ist eine unzumutbare
       und gefährliche Situation.
       
       taz: Wie könnte es besser geregelt werden? 
       
       Ziemba: Indem die Frauen einen festen Termin bekämen und direkt in das
       Zimmer des Sachbearbeiters durchgehen könnten. Außerdem müssten die Kinder
       von der Erscheinungspflicht befreit werden. Es ergibt keinen Sinn, dass sie
       die Schule für einen so belastenden Behördentermin verpassen.
       
       taz: Setzt Hamburg die Istanbul-Konvention gut um? 
       
       Ziemba: An vielen Stellen leider nicht. Es gibt zu wenig Frauenhausplätze
       und zu wenig Ressourcen. Wir arbeiten mit einem Betreuungsschlüssel von
       eins zu acht. Das ist eine Katastrophe. Wir brauchen einen
       Betreuungsschlüssel von eins zu vier, um Familien so begleiten zu können,
       wie es nötig wäre. Außerdem findet Prävention bei uns nicht statt, wir sind
       eine Kriseneinrichtung, wo Menschen hinkommen, die Gewalt schon erlebt
       haben. Aber die Frauen bringen ihre Kinder mit.
       
       taz: Das heißt? 
       
       Ziemba: Wir wissen aus der Forschung, dass Kinder, die in gewaltsamen
       Beziehungen aufgewachsen sind, dazu neigen, später wieder gewaltsame
       Beziehungen zu führen. Im Frauenhaus müsste viel mehr präventive Arbeit mit
       den Kindern stattfinden, um den Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen. Dafür
       braucht es aber Ressourcen, die wir nicht haben. Ein weiteres Problem ist
       der Umgang der Gerichte mit Sorgerechts- und Umgangsverfahren.
       
       taz: Also wenn vor Gericht darüber gestritten wird, inwieweit ein Vater
       Umgang mit seinen Kindern haben soll. 
       
       Ziemba: Genau, die weitaus meisten Frauen wollen, dass die Kinder ihren
       Vater sehen. Aber wenn sie zu uns kommen, haben sie oft schon kurze Zeit
       später den ersten Gerichtstermin, wo sie dem gewalttätigen Mann
       gegenüberstehen. Umgangsverfahren werden als Eilverfahren priorisiert, aber
       den Frauen geht das meistens viel zu schnell, sie müssen sich erst mal
       stabilisieren. Weil die Gerichte die Fälle aber schnell abarbeiten wollen,
       ist es gängige Praxis, einfach einen begleiteten Umgang anzuordnen.
       
       taz: Was heißt das? 
       
       Ziemba: Zu den Terminen, an denen der Vater die Kinder sieht, kommt eine
       pädagogische Fachkraft, die das Ganze beaufsichtigt. Außerdem kommt der
       Vater eine Viertelstunde früher und bleibt auch länger, sodass er die Frau
       nicht verfolgen kann oder sieht, wo sie hingeht.
       
       taz: Klingt doch ganz okay. 
       
       Ziemba: Für die Frauen und Kinder ist es oft überfordernd und belastend.
       Frauen, die zu uns kommen, haben sich [4][gerade erst aus einer
       fürchterlichen Situation befreit]. Die Kinder haben die Gewalt in der Regel
       miterlebt. Oft gab es vorher Kontakt zum Jugendamt, das gesagt hat: „Sie
       müssen die Kinder schützen.“ Kurze Zeit später soll die Frau den Kindern
       einen guten Kontakt zum Vater ermöglichen. Das bedeutet nicht nur, die
       Kinder zum Termin zu bringen, sondern die erzählen ja auch und stellen
       Fragen.
       
       taz: Aber wenn die Frauen den Umgang mit dem Vater auch wollen … 
       
       Ziemba: In manchen Fällen passt es auch, aber es ist kein gutes
       Schutzkonzept für alle Familien. Wir hatten es schon, dass nach einem
       begleiteten Umgang ein Tracking-Gerät in den Sachen des Kindes versteckt
       war. Eine Frau, die bei uns lebte, wurde nach dem begleiteten Umgang von
       drei Freunden ihres Ex-Mannes gestellt. Sie solle die Kinder dem Mann
       geben, sonst passiere etwas Schlimmes, drohten sie. Die Kinder standen
       daneben und hatten riesige Angst. Der Umgang wurde trotzdem weitergeführt.
       
       taz: Der Umgang ist also ein Sicherheitsrisiko für die Frauenhäuser. 
       
       Ziemba: Wenn in der Vergangenheit ein Mann die Adresse eines unserer
       Frauenhäuser herausgefunden hat, war es über den Umgang. Für die Frauen und
       Kinder hat das schwere Konsequenzen. Wenn die Schutzadresse bekannt wird,
       müssen sie umziehen. Das heißt: wieder eine neue Schule oder Kita für die
       Kinder, wieder neu irgendwo ankommen. Es gibt so wenig Frauenhausplätze,
       dass es keine Auswahl gibt, damit die Kinder und Mütter keine ewig langen
       Wege auf sich nehmen müssen.
       
       taz: Haben solche Vorfälle für die Väter Konsequenzen? 
       
       Ziemba: Meistens nicht. In der Regel sind die Väter von sich aus auch nicht
       bereit, Verantwortung zu übernehmen. Zum Beispiel habe ich es in den zwölf
       Jahren meiner Arbeit noch nie erlebt, dass ein Vater zu den Kindern sagt:
       „Du hast wirklich schlimme Sachen erlebt und was ich Mama angetan habe, tut
       mir leid. Ich verspreche, dass es nie wieder passiert.“ Stattdessen sagen
       die Väter meistens: „Die Alte ist total irre, lügt und ist sowieso
       suizidgefährdet.“
       
       taz: Aber man kann ja niemanden zur Einsicht zwingen. 
       
       Ziemba: Nein, aber man könnte es zur Voraussetzung für den Umgang machen.
       Reflexionsfähigkeit ist ja auch ein Merkmal von Erziehungsfähigkeit. Warum
       gewaltvolles Verhalten gegenüber der Ex-Partnerin, in den meisten Fällen im
       Beisein der Kinder, nicht als Hindernis gilt, verstehe ich nicht. Der
       Schritt von „Ich schreie meine Partnerin zusammen, schlage sie und
       beschimpfen sie als dreckige Schlampe“ zu „Ich schreie meine Kinder
       zusammen, schlage sie oder sperre sie ein“ ist nicht weit.
       
       taz: Sie fordern also mehr Täterarbeit. 
       
       Ziemba: Es gibt nicht umsonst Täterberatungen. Die sind nur viel zu
       schlecht ausgestattet und oft nicht zugänglich für Menschen mit schlechten
       Deutschkenntnissen. Ausreichende Angebote für Täter vorzuhalten, ist aber
       Bestandteil der Istanbul-Konvention.
       
       taz: Sind die Fachkräfte in den Behörden und der Justiz, die etwa über den
       Umgang entscheiden, ausreichend geschult? 
       
       Ziemba: Was Gewaltdynamiken oder Strategien der Traumabewältigung von
       Kindern angeht, fehlt leider oft das Fachwissen. Zum Beispiel laufen Kinder
       mitunter auf ihren Papa zu, umarmen ihn, und alle denken: „Prima, das Kind
       freut sich.“ Dabei kann das auch eine Strategie sein, den Vater zu
       besänftigen – in der Illusion, weitere Gewaltausbrüche zu verhindern.
       
       taz: Haben Sie das Gefühl, Gewaltschutz wird auf politischer Ebene nicht
       ernst genommen?
       
       Ziemba: Es ist nicht so, dass der Hamburger Senat sich nicht für das Thema
       interessiert. Trotzdem sind die Konsequenzen, die daraus gezogen werden,
       nicht die richtigen. Wir bekommen einfach zu wenig Geld. Dabei ist Hamburg
       eine reiche Stadt. Warum unter einer rot-grünen Regierung so am
       Sozialsektor gespart wird, ist mir ein Rätsel.
       
       taz: Sind Sie zu dem Fall der abgeschobenen Frau noch in Kontakt mit den
       Behörden? 
       
       Ziemba: Wir hatten Gespräche mit der Sozialbehörde, aber die signalisiert
       uns nur, dass sie nichts gegen die Innenbehörde ausrichten kann. Wir würden
       gern Innensenator Andy Grote persönlich fragen, wie er sich das mit dem
       Gewaltschutz unter den Umständen vorstellt, die er schafft. Aber bisher hat
       er, kein Interesse an einem Gespräch gehabt. Bis heute haben wir kein
       Zeichen der Einsicht vom Senat vernommen, dass das, was passiert ist, nicht
       richtig war. Stattdessen wird immer gesagt, die Entscheidung sei richtig
       gewesen und es könnte jederzeit wieder passieren.
       
       taz: Was erwarten Sie zukünftig in Sachen Gewaltschutz? 
       
       Ziemba: Wir erwarten, dass der Senat alles tut, um Schutzbedürftige zu
       schützen. Dieses Wettrennen um die Erfüllung irgendwelcher Dublin-
       Abschiebequoten darf nicht auf dem Rücken von gewaltbetroffenen Menschen
       ausgetragen werden. Es ist irrsinnig, dass jetzt auf die vulnerabelsten
       Menschen zugegriffen wird – [5][im Kirchenasyl], im Frauenhaus oder anderen
       Schutzeinrichtungen. Selbst wenn die Frau keine Frauenhausbewohnerin
       gewesen wäre, hätte sie immer noch zwei kleine Kinder. Kinder im
       Grundschulalter auf diese Weise abzuschieben – da frage ich mich, was das
       für eine weltoffene Stadt sein soll, die so etwas macht.
       
       11 Dec 2024
       
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