# taz.de -- Gesundheitsökonom über Krankenhausreform: „Von der Ökonomie kommt man nicht weg“
       
       > Showdown: Freitag entscheidet der Bundesrat, ob die Krankenhausreform
       > trotz Ampel-Aus kommt. Boris Augurzky über Chancen, Risiken und
       > Nebenwirkungen.
       
 (IMG) Bild: Nur noch an spezialisierten Kliniken? Roboterassistierte Krebs-OP im Klinikum rechts der Isar (München)
       
       taz: Herr Augurzky, ist [1][die Krankenhausreform] tot? 
       
       Boris Augurzky: Das ist völlig offen. Fifty/fifty, würde ich sagen, ob die
       Reform am Freitag im Bundesrat durchgeht. Es hängt an ein, zwei
       Bundesländern. Falls das Gesetz aber nicht durchkommt, also in den
       Vermittlungsausschuss geschickt wird, dann ist es eigentlich tot.
       
       taz: Was würde passieren, wenn diese Reform nicht umgesetzt wird? 
       
       Augurzky: Ohne die Reform verschlechtert sich die Lage der Krankenhäuser in
       den kommenden Jahren weiter. Die Kosten im Krankenhaus, was Löhne und
       Sachkosten angeht, steigen weiter. Die Inflation ist zwar nicht mehr so
       heftig, aber weiterhin da. Wenn wir starkes Kostenwachstum und nur
       moderates Erlöswachstum verrechnen, ist klar, dass ohne Veränderungen die
       Mehrzahl aller Krankenhäuser in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts weiterhin
       defizitär sein wird.
       
       taz: Und was erhoffen Sie sich durch die Reform, falls sie doch durchgeht? 
       
       Augurzky: Auch das haben wir durchgerechnet. Die gestiegenen Tariflöhne in
       der Pflege und in anderen Berufsgruppen würden refinanziert werden, es
       kämen also Hunderte Millionen bis zu Milliarden für die Kliniken rein. Es
       gäbe Zuschläge für Kinderheilkunde, für Schlaganfalleinheiten und andere
       Bereiche. Einer der größten Faktoren in dieser Simulation ist die
       Schwerpunktbildung bei komplexen Eingriffen. Wenn in einer Region bisher
       drei Krankenhäuser Hüfte und Knie operiert haben, machen das künftig
       vielleicht nur zwei. Ein weiterer Faktor ist das Zusammenlegen von
       Standorten, zwei oder drei Standorte werden dann beispielsweise zu einem
       zusammengezogen – all das sind wirtschaftlich positive Effekte. Die Lage
       der Krankenhäuser würde sich verbessern. Das kann aber nicht sofort wirken,
       sondern erst gegen Ende des Jahrzehnts und bis in die 2030er Jahre.
       
       taz: Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) spricht von Spezialisierung,
       Entökonomisierung und Entbürokratisierung. Sehen Sie das auch so? 
       
       Augurzky: Tatsächlich: Wenn es so kommt, wird die Spezialisierung und auch
       die Zentralisierung im Krankenhausbereich beschleunigt. Aber den Begriff
       Entökonomisierung würde ich nicht wählen, von der Ökonomie kommt man ja
       nicht weg, wenn die Ressourcen knapp sind. Ich denke, die Idee, die Herr
       Lauterbach transportieren will, ist, dass ein Krankenhaus zukünftig nicht
       mehr das Ziel haben soll, möglichst viele Fälle behandeln zu müssen, um
       Erlöse zu erwirtschaften. Es wird pro Leistungsangebot eine gewisse
       Basisfinanzierung geben – die Vorhaltepauschalen. Die Fallpauschale ist
       dann immer noch da, aber nur noch halb so wichtig. Natürlich ist da viel
       Streiterei im Detail, da werden die Bundesländer nach wie vor nicht immer
       zufrieden sein.
       
       taz: Einige Länder und auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft
       kritisieren die Reform als Blindflug. Wie „blind“ sind wir? 
       
       Augurzky: Es ist in der Tat etwas ziemlich Neues, was da kommt. Damit ist
       man erst mal „blind“, man kennt es noch nicht. Es gibt eine neue
       Finanzierungssystematik und es ist im Detail nicht vorhersehbar, wie sich
       die Reform auf einzelne Krankenhäuser und Regionen auswirken wird. Bei
       einer so grundsätzlichen Reform kann man nicht sagen: „Ich ziehe den Hebel
       in eine Richtung, und dann weiß ich ganz genau, was passiert.“ Die
       Krankenhäuser müssen sich erst mal anpassen, die Landkreise, die
       Bundesländer. Und da werden wir schon vier, fünf Jahre neue Erfahrungen
       sammeln.
       
       taz: Es besteht jedoch die Sorge, [2][dass viele Kliniken insolvent gehen]
       und die Effekte der Reform so oder so gar nicht mehr erleben würden. 
       
       Augurzky: Das stimmt, die Sorge gibt es. Wir beobachten zurzeit Insolvenzen
       und die wird es weiterhin geben, vielleicht auch mehr. Doch Insolvenz heißt
       nicht gleich Schließung, sondern Insolvenz ist erst mal der Versuch, das
       Krankenhaus zu retten. Wie bei anderen Wirtschaftsunternehmen erlaubt mir
       die Insolvenz viele Veränderungen, die ich im Normalbetrieb nicht so
       einfach oder schnell machen kann. Von den rund 50 Insolvenzen in den
       vergangenen eineinhalb Jahren sind deswegen – bislang – nur wenige in eine
       Schließung gemündet.
       
       taz: Die Opposition hat vorgeschlagen, den Kliniken bei den Betriebskosten
       kurzfristig unter die Arme zu greifen. Würde das nicht den ökonomischen
       Druck erleichtern?
       
       Augurzky: Ich halte wenig von der großen Gießkanne. Also davon, mehrere
       Milliarden in das Krankenhaussystem zu schütten, wie die Union es
       vorschlägt, zumal die Krankenkassen auch große Defizite aufweisen. Ich
       berate viele kommunale Krankenhäuser: Ich kenne sie, ich schätze sie, aber
       ich weiß auch, wie sie ticken. Die Eigentümer, also die Landkreise oder
       Städte, werden nichts verändern, wenn es keinen finanziellen Druck gibt.
       Die Kommunalpolitik sagt dann lieber: „Nee, dann lassen wir es noch, ich
       möchte keine Bürgerproteste, keine Demos, weil ich ein Krankenhaus
       schließen, verlagern, umwandeln muss.“ Das passiert erst, wenn die Defizite
       in die 20, 30, 40 Millionen Euro pro Jahr gehen. Deshalb kann ich nicht
       sagen, füllt die Lücken komplett auf und dann ist alles gut. Denn dann wird
       genau die Strukturveränderung nicht passieren, die das Gesetz erreichen
       will. Besser wäre eine Art Rettungsfonds für die nächsten paar Jahre, damit
       Krankenhäuser, die für die Versorgungssicherheit nötig sind, gezielt
       stabilisiert werden können. Es muss um Hilfe zur Selbsthilfe gehen. Und da
       ist nicht nur der Bund, sondern es sind auch die Bundesländer gefordert,
       mehr Investitionsmittel zur Verfügung zu stellen.
       
       taz: Stichwort Versorgungssicherheit. Gehen Sie davon aus, dass die Wege
       für die Bevölkerung auf dem Land zukünftig weiter werden?
       
       Augurzky: Durch Zentralisierung können die Entfernungen länger werden. Aber
       sie sind gedeckelt, es ist eine maximale Entfernung vorgegeben. Wenn ich
       also heute 20 Minuten zum Krankenhaus brauche, und künftig 30, dann ist das
       okay. Heute 20 Minuten und künftig 50 Minuten wäre dagegen zu weit.
       
       taz: Viele Krankenhäuser auf dem Land wird es also nicht mehr geben. 
       
       Augurzky: Am meisten kann ich in den Ballungsgebieten zentralisieren.
       Anstatt eine bestimmte Leistung zehnmal anzubieten, wird sie künftig
       vielleicht nur fünfmal angeboten. Im Ländlichen kann ich das natürlich
       nicht so machen. Und bisherige Krankenhausstandorte, die für die
       Rund-um-die-Uhr-Sicherstellung nicht erforderlich sind, können als
       sektorenübergreifende Versorgungszentren betrieben werden. Dort habe ich
       dann eine ambulante und stationäre Basisversorgung. Das ist für viele
       Regionen, die von Zentralisierung betroffen sind, eine gute Alternative.
       Zudem entsteht in solchen Regionen im neuen Zentrum meist eine größere
       Klinik mit einer höheren Notfallstufe, was die Notfallversorgung sogar
       verbessert.
       
       taz: [3][Die Krankenhausreform soll vor allem über die Beiträge der
       gesetzlich Versicherten finanziert werden.] Nächstes Jahr sollen die
       Kassenbeiträge schon um 0,8 Prozentpunkte steigen. 
       
       Augurzky: Die Höhe der Beitragssatzerhöhung hat auch mich überrascht, muss
       ich gestehen. Wir hatten ja schon in diesem Jahr eine Erhöhung bei den
       Krankenkassen. Und wir stehen erst am Anfang eines beschleunigten
       demografischen Wandels. Das heißt, die nächsten 10 Jahre kriegen wir ohne
       massive Strukturveränderungen nicht hin, das ist mit der Krankenhausreform
       noch nicht getan, da geht es um viel mehr. Ich muss ran an die unglaublich
       vielen Arztkontakte und Krankenhausfälle. Unterstützende Patientensteuerung
       ist da ein Schlagwort, in anderen Ländern gibt es weit weniger Arztkontakte
       und Krankenhausfälle. Und dies bei oft höherer Lebenserwartung als in
       Deutschland.
       
       taz: Was wird das Erste sein, was die Bevölkerung in ihrem Alltag von der
       Krankenhausreform spüren wird? 
       
       Augurzky: Falls sie im Januar startet, spürt man zunächst einmal noch
       nichts im Alltag. Da müssen nächstes Jahr über Rechtsverordnungen noch
       Details definiert werden. So richtig spüren die Menschen dann erst etwas
       gegen 2027. Baustellen zum Beispiel. Wenn Krankenhäuer wirklich anfangen
       neu- und umzubauen, wenn Standorte zusammengelegt werden, dann ändert sich
       auch rein optisch etwas vor Ort.
       
       21 Nov 2024
       
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