# taz.de -- Debatte über Schuldenbremse: Die deutsche Schuldenpolitik muss in die Werkstatt
       
       > Kaputte Gebäude, marode Brücken und überlastete Netze. Deutschlands
       > Infrastruktur ruft nach einem Werkstatttermin – doch wer löst die
       > Handbremse?
       
 (IMG) Bild: Der Supermond über der supermaroden, teileingestürzten Carolabrücke in Dresden, im Oktober 2024
       
       Schon nach ein paar Kilometern stinkt und qualmt es, wenn man beim
       Autofahren vergisst, die Handbremse zu lösen. Fährt man trotzdem weiter,
       drohen große Schäden an Bremsanlage und Hinterrädern. Dann hilft nur noch
       eins: Ab zur Werkstatt.
       
       Was für Autos gilt, lässt sich auf die deutsche Wirtschaft übertragen. Seit
       drei Jahrzehnten fährt Deutschland mit angezogener Handbremse. Folglich
       stinkt und qualmt es: [1][Brücken stürzen ein], Straßen sind marode, viele
       Gebäude sanierungsbedürftig. Die Stromnetze drohen zu überlasten,
       Jugendzentren müssen schließen – die Liste ließe sich fortsetzen. Die
       Bremskontrollleuchte blinkt rot, die deutsche Wirtschaft stottert.
       
       Derweil sind Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände genervt, und im Ausland
       reibt man sich verwundert die Augen und fragt sich, warum der
       [2][ausgeschiedene Finanzminister Christian Lindner] so stolz darauf ist,
       die Handbremse dermaßen fest angezogen zu haben. Die Sache ist allerdings
       ähnlich wie bei der Autoreparatur: Je länger man wartet, desto teurer wird
       es. 400 Milliarden Euro muss Deutschland in den nächsten zehn Jahren
       zusätzlich investieren, um die Schäden zu reparieren, rechnet der
       Bundesverband der Industrie. Das Institut der deutschen Wirtschaft erhöht
       auf geschätzte 600 Milliarden, und das Dezernat Zukunft legt nochmal 200
       Milliarden drauf. Das ist in jedem Fall weit mehr, als die aktuellen Regeln
       erlauben würden.
       
       Was also tun? An Schrittgeschwindigkeit gewöhnen, den Stinkequalm weiter
       ignorieren und hoffen, dass die Schäden von alleine verschwinden? Oder die
       Schuldenregeln so ändern, dass man sich den Werkstatttermin leisten kann?
       Ich meine: Letzteres!
       
       ## Mythos der nächsten Generation
       
       Jeder Euro, der in moderne Infrastruktur fließt, ist ein gut angelegter
       Euro. Erstens, weil es die Wirtschaft produktiver macht. Zweitens, weil es
       das Leben lebenswerter macht. Drittens, weil es uns reicher macht.
       Schließlich fließt bei neuen Staatsschulden mehr Geld in die Wirtschaft,
       als über Steuern und Abgaben rausgezogen werden. Dass neue Schulden die
       nächste Generation nur benachteiligen, ist also ein Mythos. Die nächste
       Generation erbt vollere Bankkonten und modernere Infrastruktur. Win-win!
       
       Benachteiligt wird die kommende Generation hingegen, wenn die Reparatur
       aufgeschoben wird. Nicht nur werden die Schäden größer und teurer, auch
       gibt es wegen der Alterung immer weniger Arbeitskräfte, die den Job
       erledigen könnten. Die Werkstätten schrumpfen in ihrer Kapazität. Je länger
       wir die Reparatur aufschieben, desto weniger Mechaniker stehen zur
       Verfügung, um das Land auf Vordermann zu bringen – während natürlich immer
       mehr Rentner finanziert werden müssen.
       
       Aber nun zur guten Nachricht: Auch wenn Ex-Finanzminister Lindner sich mit
       Händen und Füßen gegen eine Reform gewehrt hat, dreht sich langsam die
       Stimmung in der Bevölkerung. Im neuesten ARD-Deutschlandtrend wollten
       erstmals weniger als die Hälfte der Befragten (48 Prozent) die
       Schuldenbremse in der jetzigen Form beibehalten. 45 Prozent waren für eine
       Reform – fast Gleichstand also. Und auch Friedrich Merz, der derzeit beste
       Chancen auf die nächste Kanzlerschaft hat, [3][hat die Schuldenbremse
       neulich zu einer „technischen Frage“ degradiert]. Immerhin ließe die sich
       leichter lösen. Zum Beispiel, indem man öffentliche Investitionen,
       Infrastruktur oder Sondervermögen von der Schuldenbremse ausklammert.
       Hauptsache, die Handbremse wird gelöst und das Land findet einen
       Werkstatttermin.
       
       26 Nov 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Einsturz-der-Carolabruecke-in-Dresden/!6036277
 (DIR) [2] /Lang-geplantes-Ende-der-Ampelkoalition/!6046959
 (DIR) [3] /Merz-stellt-Reform-in-Aussicht/!6049332
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Maurice Höfgen
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Kolumne Was kostet die Welt?
 (DIR) wochentaz
 (DIR) Zukunft
 (DIR) Schuldenbremse
 (DIR) Finanzpolitik
 (DIR) Christian Lindner
 (DIR) Social-Auswahl
 (DIR) Zivilgesellschaft
 (DIR) Friedrich Merz
 (DIR) Ampel-Koalition
 (DIR) Dresden
 (DIR) Kolumne Materie
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Spendensammler will Demokratie schützen: „Der Kampf gegen die Feinde der Demokratie ist ein Marathon“
       
       Demonstrieren kostet Zeit. Die Demokratie lässt sich auch mit Geld
       schützen, sagt Stephan Schwahlen von der Plattform Effektiv Spenden.
       
 (DIR) Schuldenbremse-Debatte in Union: Die Bredouille um die Bremse
       
       Selbst die Union und Kanzlerkandidat Merz debattieren jetzt über die Reform
       der Schuldenbremse. Wie realistisch sind die möglichen Varianten?
       
 (DIR) Merz stellt Reform in Aussicht: Zarte Bewegung bei der Schuldenbremse
       
       CDU-Chef Merz rückt vom strikten Nein zur Schuldenbremse ab, SPD und Grüne
       wollen die Union zu einer Reform noch vor der Bundestagswahl locken.
       
 (DIR) Marode Infrastruktur in Dresden: Eingestürzte Brücke als Warnung
       
       In Dresden ist ein Teil der wichtigsten Elbbrücke in der Stadt
       zusammengebrochen. In ganz Deutschland müssen tausende Brücken saniert
       werden.
       
 (DIR) Infrastruktur deutscher Schwimmbäder: Deutschland säuft ab
       
       Wer einen Schwimmkurs sucht, muss sich auf lange Wartezeiten und marode
       Schwimmbäder einstellen. Vom beschwerlichen Weg zum Seepferdchen.