# taz.de -- Linkspartei in der Krise: Zwischen Austritten und Eintritten
       
       > Desaströse Wahlergebnisse, Klaus Lederer wirft hin – bei der Linken geht
       > es um die Existenz. Da sind junge Neumitglieder ein rarer
       > Hoffnungsschimmer.
       
 (IMG) Bild: Neumitglied Paul Uebler vor dem Treffpunkt der Linkspartei in Berlin-Friedrichshain
       
       BERLIN/STRAUSBERG taz | Die ersten drei Monate hat Paul Uebler sich nicht
       hingetraut zum Treffen des Ortsverbands Friedrichshain Südost. Aber dann,
       im Januar, kam [1][eine weitere Demo gegen den Rechtsruck] und über den
       Mailverteiler der Linken der Treffpunkt am Ostkreuz. Uebler überlegte sich:
       Wenn die Leute freundlich wirken, würde er sie ansprechen. Wenn nicht,
       würde er einfach wieder umdrehen. So erzählt er es einige Monate später.
       
       Die Leute am Ostkreuz wirkten nett. Eine Europawahl und drei Landtagswahlen
       später sitzt Uebler, 29, Neumitglied seit Wagenknechts Austritt, im Roten
       Laden in Berlin-Friedrichshain. Ein paar Linken-Wimpel sind im Raum
       verteilt, im Fenster hängt eine rot-weiße Plastikgardine. Zwei Plätze
       weiter hat Regina Siering, 85, ab 1957 in der SED, dann in der PDS, jetzt
       bei der Linken, ihr Notizbuch aufgeschlagen.
       
       Knapp 12.000 Menschen sind nach dem Austritt von Sahra Wagenknecht, im Zuge
       der Correctiv-Recherchen und der Europawahl in die Linke eingetreten. Mehr
       als die Partei verlassen haben. Es ist einer der raren Hoffnungsschimmer,
       auf den die rund 52.000 mitgliederstarke Partei bauen kann.
       
       Der Europawahlkampf endete mit vernichtenden 2,7 Prozent. Bei den Wahlen in
       Sachsen, Thüringen und Brandenburg brach sie ebenfalls ein. In Dresden
       reichte es nur noch dank zweier Direktmandate für den Wiedereinzug ins
       Landesparlament, [2][in Potsdam klappte nicht einmal mehr das.] Zu den
       desaströsen Wahlergebnissen kommen parteiinterne Querelen. Beim
       Landesparteitag in Berlin kam es zum Eklat, als Delegierte zahlreiche
       Änderungsanträge an einem Antrag „Gegen jeden Antisemitismus“ einbrachten.
       Rund zwei Dutzend Befürworter des Antrags verließen den Saal, [3][mehrere
       Parteiaustritte folgten, darunter der von Ex-Kultursenator Klaus Lederer].
       
       „Ich will wenigstens mitgekämpft haben, bevor die letzte verbliebene linke
       Partei in Deutschland untergeht“, sagt Paul Uebler, der bei Tiktok als
       Content Manager arbeitet, über seinen Eintritt. Uebler traf die
       Entscheidung für sich allein. Andere schlossen sich zusammen, darunter vor
       allem Aktivist*innen linker Bewegungen. Mehrere Hundert versammelten
       sich im vorigen November hinter dem Aufruf [4][„Wir jetzt hier“]. Darin
       erklärten sie, „aktiv und radikal“ beim Wiederaufbau der Partei mitwirken
       zu wollen.
       
       In Ortsgruppen und Kreisverbänden treffen nun Skateboard auf Hörgerät,
       Anarchist*innen auf ehemalige SED-Mitglieder,
       Ukraine-Unterstützer*innen auf Friedensbewegte. Kann das gutgehen?
       
       ## „Uns alle verbindet der Kampf für soziale Gerechtigkeit“
       
       Im Roten Laden haben sich rund ein Dutzend Parteimitglieder und
       Interessierte zusammengefunden. Die Basisgruppe muss einen Termin für eine
       Delegiertenwahl finden. Jemand schlägt den 2. Dezember vor. „Ich bin ja
       gegen Weihnachten, aber wollen wir das nicht mit einer Weihnachtsfeier
       kombinieren?“, überlegt einer der Jüngeren. „Machen wir eine
       Jahresabschlussfeier daraus“, sagt Regina Siering. Zu DDR-Zeiten hat sie
       FDJ-Jugendgruppen betreut. „Wenn man will, dass die jungen Leute bleiben,
       muss man auch mit ihnen zusammenarbeiten wollen“, findet sie.
       
       Stand Anfang Oktober zählt die Linke in Berlin rund 1.700 Neumitglieder.
       Auf Mitte 30, etwa die Hälfte bereits zuvor politisch aktiv, schätzt
       Kerstin Wolter, Bezirksvorsitzende in Friedrichshain-Kreuzberg, die Neuen.
       „Wir waren schon immer ein bunt gemischter Bezirk“, sagt sie, „natürlich
       treffen da Lebensrealitäten aufeinander.“ Neulich habe ein neues Mitglied
       beim Basisgruppentreffen vorgeschlagen, in der Vorstellungsrunde auch das
       eigene Pronomen zu nennen. Die Antwort eines Älteren: „Nee, bei der Linken
       sind wir alle per Du.“
       
       Vereinzelt habe es in Wolters Basisgruppe Sorge gegeben, „dass jetzt die
       ‚woken Großstadtlinken‘ in unsere Partei kommen“. Ihr Zwischenfazit: Die
       Sorge war größer als die tatsächlichen Konflikte: „Uns alle verbindet der
       Kampf für soziale Gerechtigkeit.“
       
       Die Linke muss die Neuen halten. Mit der Spaltung von Wagenknecht sind
       vielerorts Parteistrukturen weggebrochen. Hinzu kommt die Demografie. 2021
       waren [5][40 Prozent älter als 60]. Vor allem in ländlichen Kreisen in
       Ostdeutschland ist der Altersdurchschnitt oft deutlich höher. „Viele
       unserer Mitglieder sind inzwischen im Altersheim“, sagt Susanne Lang aus
       Strausberg. „Die können nicht mehr plakatieren gehen.“ In der
       brandenburgischen Kleinstadt kämpft die Linke aber auch mit der
       Parteipsyche: 2006 gab es in Strausberg 16 Unterorganisationen, jetzt sind
       es noch vier. Die 48-Jährige ist seit 2013 in der Partei aktiv und
       mittlerweile im Stadtvorstand.
       
       ## Viele blicken nach Österreich, auf die KPÖ
       
       Doch es gibt mehr Gründe für die Schrumpfung, findet Lang. „Das Überleben
       der Linken wird sich daran entscheiden, ob man inzwischen bereit ist für
       Erneuerung oder doch zurück will zur PDS.“ Ihr selbst fiel es schwer, in
       der Partei Fuß zu fassen. Auch wegen einiger Altkader, die für neue Ideen
       kaum Platz machen wollten. „,Ihr jungen Aktivisten habt ja keine Ahnung',
       denken da viele“, sagt Lang. „Paternalismus ist eine ganz schlimme Art,
       Leute zu demütigen.“
       
       Ihre Beobachtungen decken sich mit denen von Parteienforscher Benjamin
       Höhne. Ihm zufolge hat bislang keine Partei in Deutschland eine
       flächendeckende Willkommenskultur etabliert, die über Willensbekundungen in
       Sonntagsreden hinausgeht. „Die Neuen werden mitunter als Konkurrenz
       wahrgenommen“, sagt Höhne. Selbst wenn die Parteiführung das ändern wolle,
       stocke es oft auf unteren Ebenen. In der Forschung spreche man von Parteien
       als anarchischen Organisationen: „Von oben Durchregieren ist unmöglich.“
       
       An einem Samstag vor der Landtagswahl im September bringt Lang
       Neumitglieder aus Tempelhof-Schöneberg für Haustürgespräche mit nach
       Strausberg. Sie möchte, dass das Ankommen in der Partei heute besser läuft,
       als es für sie damals war. Man hat den Eindruck, das kann gelingen. Der
       erste Stopp ist im Linken-Büro auf der Großen Straße im Stadtzentrum. Die
       Eingangstür steht offen. „Da kommt ja unsere Helfertruppe aus Berlin“,
       werden die Ankömmlinge begrüßt, „Kaffee ist fertig“. Mehrere Stapel
       Wahlkampfflyer und Infomaterialien sind vorbereitet, ordentlich sortiert.
       
       Chris Godotzky ist einer der Neuen, die nun mit Lang zum Haustürwahlkampf
       in einer Plattenbausiedlung unterwegs sind. Godotzky hat den „Wir jetzt
       hier“-Aufruf mitinitiiert. „Es ist kuschelig in unseren linksradikalen
       Grüppchen, aber wir kommen nirgendwo hin, wenn wir in unserer Bubble
       bleiben“, findet er und plädiert dafür, „unsere Antiparteihaltung beiseite
       zu legen“.
       
       Mit dem Eintritt bei der Linken habe man auf gar keinen Fall eine neue
       Parteiströmung verfestigen wollen. Aber den Aktivist*innen sei ein
       strategischer Minimalkonsens wichtig gewesen. Im Aufruf forderten die
       Neuen, Mandate auf zwei Amtszeiten zu begrenzen sowie Quoten für
       Arbeiter*innen, Arbeitslose und prekär Beschäftigte. [6][Viele blicken nach
       Österreich, wo die KPÖ] unter anderem durch Gespräche mit Bürger*innen
       und soziale Angebote zumindest auf regionaler Ebene beachtliche Erfolge
       erzielt. „Die Partei von unten aufbauen“, nennt Godotzky das.
       
       ## Die Zeit des Tolerierens scheint vorbei zu sein
       
       Über Ähnliches denkt man im Karl-Liebknecht-Haus nach. In der
       Parteizentrale wird eine Kampagne erarbeitet, die auf dem
       Organizing-Prinzip aufbaut: Mittels Tausender Haustürgespräche möchte die
       Partei mit Menschen ins Gespräch kommen, ihnen zeigen, dass sie
       Lebensrealitäten versteht. Mehr als 80 von über 300 Kreisverbänden sind
       laut Partei inzwischen dabei.
       
       Im Vergleich zu linksradikalen Plena können Bezirksversammlungen durchaus
       Vorteile haben, findet Godotzky: Zum Beispiel, „dass man sich nicht vier
       Stunden lang eine Debatte anhören muss, die sich eigentlich auf eine
       beschränken ließe“. Die Leute bei der Partei seien „angenehm unverkrampft,
       nicht wie auf manchen autonomen Plena, wo niemand seinen echten Namen sagen
       und auch nicht so richtig Aufgaben übernehmen will“. Der lange Atem sei
       zudem etwas, was Aktivist*innen von Parteilinken lernen könnten.
       
       Zur Wahrheit gehört aber auch, dass von den Älteren aus
       Tempelhof-Schöneberg an diesem Samstag niemand mit den Neuen nach
       Strausberg gefahren ist. Die Älteren wollten Positionspapiere schreiben,
       die Jüngeren lieber mit den Leuten ins Gespräch kommen, berichten Letztere.
       Vielfach steht der [7][Ukrainekrieg zwischen den Generationen.] „Solange
       wir uns in unserer Unterschiedlichkeit tolerieren können, finde ich das
       okay“, sagt Godotzky.
       
       Spätestens seit am Mittwoch unter anderem Ex-Kultursenator Klaus Lederer,
       Ex-Bausenator Sebastian Scheel und die ehemalige Sozialsenatorin Elke
       Breitenbach ihren Parteiaustritt erklärt haben, scheint auf der
       Führungsebene der Berliner Linken die Zeit des Tolerierens vorbei zu sein.
       
       ## Der Bundesparteitag hat Mut gemacht
       
       Zwar hatte sich der Landesvorstand am Dienstag noch auf eine Resolution
       geeinigt, die jede Form von Antisemitismus verurteilt. Doch die Nachricht
       verpuffte vor dem Hintergrund der Austritte ebenso wie die [8][Ankündigung
       der neuen Bundesvorsitzenden,] auf die Hälfte ihres Gehalts verzichten zu
       wollen.
       
       „Ich empfinde das schon als einen Nackenschlag“, sagt Susanne Lang aus
       Strausberg über den Rückzug der Ex-Senator*innen, „aber ich lasse mir
       die Hoffnung nicht nehmen“. In ihrem Kreisverband habe am selben Abend eine
       Veranstaltung stattgefunden. „Langjährige und neue, junge und alte
       Mitglieder haben darüber diskutiert, warum sich viele Menschen eher das
       Ende der Welt als das Ende des Kapitalismus vorstellen können, und wie sie
       daran etwas ändern können“, erzählt sie. „Da habe ich Hoffnung gespürt, und
       davon will ich mich tragen lassen.“
       
       Chris Godotzky sagt, [9][ihm habe der Bundesparteitag] Mut gemacht, daran
       änderten die grantigen Abgänge nichts. Auch Paul Uebler zeigt sich
       unbeeindruckt. Er habe weiterhin das Bedürfnis, eine starke linke Partei in
       Deutschland aufzubauen, und wolle ohnehin lieber mit Menschen ins Gespräch
       kommen, als seine Freizeit auf Parteitagen zu verbringen.
       
       Die 85-jährige Regina Siering sagt: „Meine Devise ist: Die Partei geht
       nicht unter.“ Man solle sich an der Geschichte orientieren, wenn man mal am
       Boden zerstört sei. „Da wären wir dann wieder bei Marx“, meint sie und
       lacht.
       
       26 Oct 2024
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [6] /Erfolgsrezept-fuer-linke-Parteien/!6033226
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