# taz.de -- Konflikt zwischen Israel und Hisbollah: Die letzte Hoffnung
       
       > Zwei Dinge könnten eine Eskalation noch verhindern: Die schwächelnde
       > Wirtschaft sowie die Einschätzung der israelischen Militärs. Ob Netanjahu
       > zuhört?
       
 (IMG) Bild: Auf dem Weg nach Saida, Libanon, 24. September: Menschen fliehen vor den israelischen Luftangriffen
       
       Hunderte Tote, Tausende Verletzte. Zehntausende fliehen vor israelischen
       Bomben und Raketen. Die Bilder aus dem Süden des Libanon gleichen jenen in
       Gaza, wo das technologisch überlegene israelische Militär zivile Opfer
       produziert.
       
       Der rechtsradikale israelische Finanzminister Smotrich fordert die
       „Kapitulation der Hisbollah oder Krieg“. Das bedeutet wohl eine Invasion in
       den Südlibanon mit Bodentruppen. Der israelische Außenminister sekundiert,
       man werde „mit aller Kraft bis zum Sieg“ kämpfen. Ministerpräsident
       Benjamin Netanjahu droht: „Jedem, der versucht, uns zu schaden, schaden wir
       noch mehr.“ Auch in der Wortwahl sind kaum mehr Unterschiede zwischen
       Rechtsextremen und Moderateren in der israelischen Regierung erkennbar.
       Seit Gaza weiß man, dass diese Ankündigungen keine Rhetorik, sondern
       blutiger Ernst sind.
       
       ## Die Frage von Schuld ist komplex
       
       [1][Die USA und die EU, Katar und Saudi-Arabien fordern eine Waffenruhe in
       Gaza und dem Südlibanon], um diese Eskalationsdynamik zu bremsen. Denn im
       Hintergrund droht ein großer Brand, ein Krieg zwischen Israel und Iran, den
       weder Iran noch [2][die USA] wollen. Die Netanjahu-Regierung aber setzt auf
       Sieg. Egal, was Washington will, egal, was die Weltöffentlichkeit sagt.
       Egal, zu welchem Preis.
       
       Die Frage von Schuld und Unschuld in dem sich anbahnenden Krieg im
       Südlibanon ist komplex. Die Hisbollah feuert seit dem 8. Oktober Raketen
       auf israelisches Staatsgebiet. Seitdem gibt es einen niedertourigen
       militärischen Konflikt. Zehntausende haben auf beiden Seiten der Grenze
       [3][ihre Häuser verlassen]. Aber weder die Hisbollah noch Israel haben die
       Gewalt bis zum Point of no Return gesteigert – bis jetzt.
       
       ## Die falsche Art der Terrorbekämpfung
       
       Die israelische Logik lautet: Wenn der Raketenbeschuss der Hisbollah
       aufhört, gibt es Frieden an der Nordfront. Die Logik der Hisbollah lautet:
       Wenn Israel den Krieg in Gaza beendet, gibt es Frieden an der Nordfront.
       Doch das will die Netanjahu-Regierung nicht. Bloß keinen Waffenstillstand
       in Gaza.
       
       Israel verfolgt das legitime Ziel, den Geflüchteten die Rückkehr in ihre
       Häuser im Norden des Landes zu ermöglichen. Allerdings mit Mitteln, die
       Zehntausende Unschuldige das Leben kosten wird. Netanjahu setzt auf Gewalt.
       Eskalation zur Deeskalation, so soll diese Strategie heißen. Wie in Gaza
       soll im Südlibanon wohl erst viel kaputt gebombt werden. Dann will man mit
       Bodentruppen den Feind zerstören. Das ist keine politische Strategie,
       sondern Reflex. Der Terrorbekämpfung dient es nicht. Vertreibung und
       Flucht, Tod und Elend sind der Nährboden, auf dem Terror wächst.
       
       Nach fast einem Jahr Krieg und Zehntausenden Toten haben die IDF, das
       israelische Militär, die Hamas nicht aus Gaza vertrieben. Jetzt sollen die
       IDF das, was in Gaza scheitert, im Südlibanon wiederholen – gegen einen
       militärisch von Iran hochgerüsteten Gegner, der über 150.000 Raketen
       verfügt. Netanjahus Logik hat etwas Irrwitziges: Wenn wir die Hamas nicht
       ausradieren können, versuchen wir das Gleiche mit der Hisbollah. Anstatt
       einen Waffenstillstand in Gaza auszuhandeln und eine Nachkriegsordnung zu
       etablieren, eskaliert man im Südlibanon.
       
       ## Zwei Dinge könnten die Eskalation noch verhindern
       
       Die politische Elite in Israel scheint seit dem 7. Oktober lernblockiert zu
       sein. Netanjahus Projekt war [4][das Abraham-Abkommen] – Israel wollte mit
       allen antiiranischen Staaten in der Region eine Aussöhnung ohne Lösung der
       Palästinafrage. Will sagen: mit einer faktischen Annexion Palästinas. Denn
       das bedeutet Netanjahus Nein zu einer Zweistaatenlösung. Dieser Plan hatte
       etwas Finsteres. Aber es war immerhin ein politischer Plan, der
       veränderbar, verhandelbar gewesen wäre. Jetzt setzt Israel nur noch auf
       Feuerkraft. Das fatale Anreizsystem ist dabei: Solange der Krieg
       weitergeht, so lange wird Netanjahu regieren.
       
       Der Westen steht dabei hilflos an der Seitenlinie. Die USA haben keinen
       Einfluss mehr auf die Regierung in Jerusalem. Deren Kalkül lautet, dass die
       USA an ihrer Seite stehen werden, wenn es zum großen Krieg kommt.
       
       Zwei Faktoren könnten die Entgrenzung des Kriegs verhindern. Die Wirtschaft
       ist in Israel seit dem 7. Oktober um mehr als 4 Prozent geschrumpft. Ein
       großer Krieg kann Israel ruinieren. Und israelische Militärs könnten doch
       noch begreifen, dass ein Krieg gegen die Hisbollah extrem riskant ist. Denn
       die verfügt über effektive Tunnel, stabile Befestigungsanlagen und ein
       Waffenarsenal, das Israels Antiraketenschirm überwinden kann.
       
       Auf politische Ratio der israelischen Rechten ist nicht zu hoffen,
       vielleicht auf wirtschaftliche und militärische Kosten-Nutzen-Kalküle. Wenn
       diese Bremsen nicht greifen, droht ein Krieg, der schlimmer als in Gaza
       werden kann.
       
       27 Sep 2024
       
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 (DIR) Stefan Reinecke
       
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