# taz.de -- Die fehlenden Frauen der Kunstgeschichte: Die ewige Muse?
       
       > Das Bucerius Kunst Forum Hamburg zeigt Künstlerinnen von der Renaissance
       > bis zum Klassizismus, die von der Kunstwelt lange vergessen wurden.
       
 (IMG) Bild: Ausschnitt aus Giovanna Garzoni, „Schosshund mit Keksen und chinesischer Tasse um1648
       
       Eine Frau sitzt zwischen zwei Säulen und skizziert einen antiken Torso vor
       ihr auf einem Sockel. Das Bildmotiv identifiziert die Porträtierte so
       eindeutig als Künstlerin, dass eine Erklärung überflüssig erscheint.
       Angelika Kauffmann hat 1780 nicht nur eine ganze Berufsgruppe durch eine
       weibliche Personifikation repräsentiert, sie hat auch ein Sinnbild für das
       Talent und gleichzeitig die Einschränkungen von Künstlerinnen in der
       Neuzeit geschaffen. Subtil kommentiert sie mit diesem Werk den Missstand,
       dass Künstlerinnen der Zugang zum Zeichnen von Aktmodellen verwehrt wurde
       und ihnen als Alternative nur das Studium von Skulpturen blieb.
       
       Das Gemälde „Die Zeichenkunst“ ist neben 150 anderen Werken von
       Künstlerinnen der Renaissance, des Barocks und des Klassizismus aktuell in
       „Geniale Frauen. Künstlerinnen und ihre Weggefährten“ im Bucerius Kunst
       Forum zu sehen. Ähnlich wie Kauffmann will das Ausstellungshaus die
       Fähigkeiten und Limitierungen dieser Künstlerinnen aufzeigen und viele von
       ihnen aus der Vergessenheit holen.
       
       Dafür stellt es sie ihren Vätern, Brüdern, Ehemännern und Malerkollegen
       gegenüber. Ein etwas merkwürdiger Vergleich, reduziert er doch die
       Produktion von Kunst auf die Kategorie des Geschlechts.
       
       Diese Ausstellung ist nicht die erste, die sich Künstlerinnen der Neuzeit
       widmet. Die National Gallery in London würdigte 2020 [1][Artemisia
       Gentileschi] oder die Gemäldegalerie in Dresden kürzlich die Pastellmalerin
       [2][Rosalba Carriera]. Künstlerinnen, die historisch oft aus Akademien und
       Zünften ausgeschlossen wurden, sollen jetzt in den männlich dominierten
       Kunstkanon wieder eingeschrieben werden.
       
       Heute kaum bekannt ist, dass viele dieser Künstlerinnen zu Lebzeiten sehr
       erfolgreich waren und sich auch in ihren Werken entsprechend selbstbewusst
       inszenierten. Souverän präsentiert sich etwa Katharina van Hemessen in
       ihrem Selbstporträt, das als erstes Werk in die Hamburger Ausstellung
       einführt: Die flämische Künstlerin sitzt vor der Staffelei, der Pinsel in
       ihrer Hand liegt zielsicher auf der Leinwand und mit festem Blick fixiert
       sie den*die Betrachter*in. In der sonstigen Dunkelheit des Gemäldes
       scheinen Gesicht und Leinwand zu leuchten. „Ich Katharina van Hemessen habe
       mich gemalt / 1548 / ihres Alters 20“, heißt es auf der Inschrift. Eine
       Maßnahme, um nicht vergessen zu werden?
       
       ## Der selbstbewusste Blick
       
       Ebenso selbstbewusst porträtiert sich die niederländische Malerin Judith
       Leyster hundert Jahre später. Sie scheint eine*n von der Leinwand aus
       vorwurfsvoll anzuschauen, als würde man sie mitten in ihrer Arbeit stören.
       Die vielen Selbstporträts der Künstlerinnen sind ein bildlicher Höhepunkt
       der Ausstellung, eine ausführlichere historische Einordnung hätte aber
       geholfen.
       
       Van Hemessens Selbstporträt gilt als erstes Selbstporträt eines Künstlers
       oder einer Künstlerin überhaupt, aber warum dieser Wandel zur
       Selbstdarstellung von Künstler*innen plötzlich stattfindet, wird kaum
       erklärt. Die Wahrnehmung von Malerei und Skulptur als Kunst anstatt als
       Handwerk bringt im 16. und 17. Jahrhundert auch eine Inszenierung von
       Künstler*innen als Intellektuelle mit sich, denn Kunst wird, so lernt
       man aus der Kunstgeschichte, aber nicht in der Ausstellung, nun als
       intellektuelle Aktivität verstanden.
       
       Einzelne Vergleiche mit männlichen Familienmitgliedern oder Lehrern zeigen
       anschaulich deren Einfluss auf die Künstlerinnen. Die dunklen Schatten im
       Hintergrund von van Hemessens Porträts tauchen auch häufig im Werk ihres
       Vaters auf. Dann zeigt die Schau, wie sich die Frauen mit eigenem Stil und
       eigener Innovation hervortaten, wie Maria Sybilla Merians wissenschaftlich
       bedeutende Darstellung von Insekten und Pflanzen beweist.
       
       Jedoch wird die Beeinflussung nicht als gegenseitig dargestellt. Könnten
       nicht die Künstlerinnen ebenso ihre männlichen Weggefährten beeinflusst
       haben? Dies wird im Bucerius Kunst Forum bei 30 Künstlerinnen alleinig für
       Gesina ter Borch herausgestellt. Stattdessen werden die Künstlerinnen hier
       in einer sehr passiven, man könnte sagen: der Frau zugeschriebenen Rolle
       dargestellt.
       
       Auch die britische Kunsthistorikerin Katy Hessel fragte in ihrer Kolumne
       für den Guardian: „Warum definieren wir Künstlerinnen immer noch als
       Ehefrauen, Freundinnen und Musen?“ Natürlich kann der Vergleich oder
       Verweis auf männliche Familienmitglieder oder Lehrer sinnvoll sein, das
       zeigt das Bucerius Kunst Forum teilweise auch. Jedoch würde ein
       Ausstellungshaus sich dieses Themas wohl nicht annehmen, wenn die Rollen
       vertauscht wären.
       
       Trotzdem macht die Schau deutlich: Frauen eroberten sich vor einigen
       Jahrhunderten auf vielfältige Weise ihren Platz in einer
       Künstlergemeinschaft, in der sie aufgrund ihres Geschlechts eigentlich
       ausgeschlossen wurden. Dass sie ihre männlichen Kollegen auch künstlerisch
       in den Schatten stellen konnten, beweist der eindringliche Blick der Bianca
       Ponzoni Anguissola in dem gleichnamigen Porträt, das ihre Tochter
       [3][Sofonisba Anguissola] 1557 von ihr malte.
       
       Lebensgroß betrachtet sie die Besucher*innen mit funkelnden Augen, in
       denen sich ihr glänzender Schmuck spiegelt. Obwohl Anguissola die
       detaillierte Wiedergabe von Materialien ihrem Lehrer Bernardino Campi zu
       verdanken haben soll, wirkt sein ausgestelltes Portrait der Bianca Ponzoni
       grob und blass dagegen.
       
       1 Nov 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Ausstellung-zu-Susanna-Motiv/!5897531
 (DIR) [2] /Ausstellung-der-Malerei-Rosalba-Carrieras/!5941713
 (DIR) [3] /Vergessene-Kuenstlerinnen/!5922424
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Pauline Barnhusen
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Ausstellung
 (DIR) Hamburg
 (DIR) Künstlerinnen
 (DIR) Renaissance
 (DIR) Kunstgeschichte
 (DIR) wochentaz
 (DIR) Bildende Kunst
 (DIR) Frauen
 (DIR) Musik
 (DIR) Künstlerin
 (DIR) Barock
 (DIR) Ausstellung
 (DIR) Barock
 (DIR) Ausstellung
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Ausstellung im Bode-Museum: Splatter im Münzkabinett
       
       Ein gescheiterter Staatsstreich im Florenz der Renaissance wird im Berliner
       Bode-Museum zum Thriller. „Die Pazzi-Verschwörung“ hat wenig Raum für
       Hintergründe.
       
 (DIR) Sean Scully-Retrospektive in Hamburg: Hinter den Fassaden
       
       Sean Scully ist einer der renommiertesten Vertreter abstrakter Malerei. Im
       Bucerius Kunst Forum wird er auch als Geschichtenerzähler und DJ gezeigt.
       
 (DIR) Frauen in der Kunst: Viel Care und wenig Kohle
       
       Die Benachteiligung freischaffender Künstlerinnen übertrifft den
       gesamtwirtschaftlichen Gender-Pay-Gap. Und die Schere geht noch weiter
       auseinander.
       
 (DIR) Musik von Komponist*innen of Color: „Aus der Musikgeschichte gestrichen“
       
       Das Bremer Namu-Ensemble pflegt die Musik verdrängter Komponist*innen. Sein
       Programm „Romantic of Color“ umfasst Musik aus drei Kontinenten.
       
 (DIR) Wiederentdeckte Malerin Julie Wolfthorn: Freude entspannt
       
       Der Verein der Berliner Künstlerinnen erinnert an die jüdische Künstlerin
       Julie Wolfthorn. Im Fin de Siècle war sie eine geschätzte Porträtmalerin.
       
 (DIR) Brisante Artemisia-Gentileschi-Biografie: Pin-up-Girls des 17. Jahrhunderts
       
       Kunsthistorikerin Susanna Partsch stellt das populäre Narrativ der
       Barockmalerin Artemisia Gentileschi als sich emanzipierendes Opfer triftig
       infrage.
       
 (DIR) Künstlerin Füsun Onur stellt in Köln aus: Der Platz im Alltäglichen
       
       Das Kölner Museum Ludwig richtet der 85-jährigen Füsun Onur eine
       Retrospektive aus. Sie ist eine ganz Große für die zeitgenössische Kunst
       der Türkei.
       
 (DIR) Ausstellung der Malerei Rosalba Carrieras: So fulminant wie das Rokoko
       
       Die Venezianerin Rosalba Carriera war im 18. Jahrhundert berühmt für ihre
       Porträts in Pastell. Die Gemäldegalerie Dresden widmet ihr eine
       Ausstellung.
       
 (DIR) Vergessene Künstlerinnen: Heldinnen im Kupferstich
       
       Sie waren Künstlerinnen und Unternehmerinnen. Den Frauen in der
       italienischen Kunst von Renaissance und Barock gilt eine neue Ausstellung.