# taz.de -- Stevie Schmiedel über Sexismus: „Eine Werbeagentur für Feminismus“
       
       > Stevie Schmiedel schaut sich zufrieden auf den Straßen um. Kaum mehr
       > sexistische Werbung ist da zu sehen – ein Verdienst ihrer Organisation
       > Pinkstinks.
       
 (IMG) Bild: In ihrer Freizeit will Stevie Schmidel nicht ständig zu Genderthemen Stellung nehmen
       
       taz: Frau Schmiedel, können Sie in einem Satz erklären, was Pinkstinks ist? 
       
       Stevie Schmiedel: Klar. Pinkstinks ist die reichweitenstärkste Organisation
       gegen Sexismus in Deutschland.
       
       Klingt gut, erklärt aber nicht, was Sie machen. 
       
       Wir arbeiten wie eine Werbeagentur für Feminismus. Dabei haben wir
       hauptsächlich Sexismus in Werbung und Medien im Blick und machen Kampagnen,
       um Menschen zu sensibilisieren, diesen zu sehen. Aber wir unterstützen auch
       andere Akteur:innen etwa bei Debatten um Schwangerschaftsabbruch oder
       queere Identitäten.
       
       Die Verbindung ist der Körper? 
       
       Die Verbindung ist Sexismus. Aber Frauen und weiblich gelesene Menschen
       werden über ihren Körper definiert, sexualisiert und diskriminiert. Männer
       eher über das, was sie tun oder nicht tun.
       
       Danke. [1][Sie machen Pinkstinks seit zehn Jahren]. Nervt es Sie nie, immer
       überall Sexismus zu sehen und anzuprangern? 
       
       Doch, tierisch! Ich weiß nicht, wie oft ich diese Woche zum Gesetz in
       Spanien, das Geschlechterklischees in Spielzeugwerbung verbietet,
       Interviews geführt habe.
       
       Ich meinte, ob es Ihnen nicht manchmal die Laune verhagelt. Mir geht das
       oft so. 
       
       Wahrscheinlich könnte ich meine Arbeit nicht machen, wenn ich nicht so ein
       grundpositiver Mensch wäre. Ich nehme unglaublich viel Wandel wahr in
       diesen zehn Jahren. Wenn ich daran denke, an welchem Punkt wir gestartet
       sind, wie furchtbar sexistisch besonders die Außenwerbung war.
       
       Heute fahre ich durch die Straßen in Hamburg und sehe eine
       Unterwäsche-Kampagne mit total normalgewichtigen Frauen. Und zwar ohne,
       dass darüber steht: „Bodyshaming muss aufhören.“ So wie vergangenes Jahr in
       der Dove-Kampagne, wo man zwar normalgewichtige Frauen gesehen hat, aber da
       wurde klargestellt, „na ja, so ganz schlank ist das ja nicht“. Wir sind
       wirklich schon ein großes Stück weiter, auch in Werbefilmen und
       Kinderbüchern.
       
       Aber sind das nicht eher die Ausnahmen? 
       
       Sie übernehmen ja gerade meine Rolle. Wir haben bei Pinkstinks eine
       Bücherliste für verschiedene Altersgruppen, da ist wahnsinnig viel
       dazugekommen in den letzten Jahren. Wenn ich nicht sehen würde, wie es
       vorangeht, könnte ich den Job nicht machen.
       
       Und doch sind Sie genervt, immer wieder erklären zu müssen, was das Problem
       etwa mit geschlechtsspezifischem Spielzeug ist? 
       
       Nur wenn ich jeden Tag dasselbe sagen muss. Und ich will auch nicht in
       meiner Freizeit ständig zu Genderthemen Stellung nehmen müssen, so wie
       neulich auf einer Party, da sollte ich jemand mal schnell erklären, warum
       geschlechtergerechte Sprache nicht total bescheuert ist. Aber ansonsten
       gibt mir das Energie. Wenn ich Interviews gebe oder in Talkshows sitze,
       habe ich so ein natürliches Adrenalin, das hochgeht, und dann will ich
       gewinnen.
       
       Fiel Ihnen schon mal kein gutes Argument ein? 
       
       Nein, es geht gar nicht so sehr um das beste Argument, sondern meistens um
       gutes Storytelling, so funktionieren auch unsere Kampagnen, die sehen
       einfach gut aus und sind hochwertig gemacht. Wir wollen ja den Mainstream
       erreichen und CDU- und FDP-Wähler überzeugen, dass Feminismus nicht weh tut
       und sie auch etwas davon haben. Denen muss ich das so erklären, dass das
       einen Punkt bei ihnen trifft. Mein Lieblingsbeispiel ist immer Atze
       Schröder …
       
       … der Comedian mit der Minipli-Perücke und der blau getönten Sonnenbrille,
       der auch mal eine übel sexistische Werbung für Wiesenhof gemacht hat …
       
       … für die er sich entschuldigt hat, heute gendert er. Dem habe ich damals
       gesagt, „Atze, Männer sterben fünf Jahre früher als Frauen, weil sie nicht
       zum Arzt gehen“. Das erzählt er mir heute noch, wenn wir uns treffen, dass
       er völlig baff gewesen sei, weil er das nicht gewusst hatte. Er dachte
       immer, Feminismus sei nur für Frauen.
       
       Wenn das für Sie eine Art Spiel ist, verstehe ich, warum es Sie nicht
       stresst. 
       
       Auf eine Weise stresst es mich wie Hölle. Ich bin ja schon zweimal für eine
       Zeit aus Pinkstinks rausgegangen, weil ich dringend eine Pause brauchte.
       Das, was wir hier machen, ist der Wahnsinn. Wir haben in zehn Jahren ein
       großes Büro mit zehn Mitarbeiterinnen auf Teilzeitstellen aus dem Nichts
       gestampft, rein spendenfinanziert. Wir machen Fundraising, organisieren
       Shitstorms, Diskussionen im Netz, produzieren Filme und Artikel, schreiben
       einen Newsletter, bespielen soziale Medien und so weiter. Nebenbei musste
       ich ständig in TV- und Tonstudios.
       
       Können Sie nicht weniger machen? 
       
       Nein, um wahrgenommen zu werden, müssen wir täglich viel mehr in irrer
       Geschwindigkeit veröffentlichen als andere Organisationen, weil für den
       Mitte-links-Feminismus, den wir machen, kaum jemand spendet. Der rechte
       Feminismus, wie ihn Teile der Emma oder Terre des femmes vertreten, läuft
       hingegen super.
       
       Woran liegt das? 
       
       Die Jüngeren, die uns unterstützen, haben noch nicht das Geld. Und die
       Älteren denken, „was soll das mit diesen ganzen Sternchen und diesem
       Gender? Da geht es doch gar nicht mehr um Frauen.“
       
       Und Emma und Terre des femmes bekommen Geld, weil sie Opfergeschichten
       erzählen können? 
       
       Wieso Opfer?
       
       Weil Emotionen das Bedürfnis wecken zu helfen. Arme unterdrückte
       Kopftuchmädchen, ausgebeutete Prostituierte. 
       
       Da geht es nicht um Opfer, da werden Feindbilder aufgemacht. Erst waren es
       die Muslimas, denen das Kopftuch heruntergerissen werden sollte,
       [2][momentan sind Transmenschen] im Visier. Damit sprechen sie eine rechte
       Zielgruppe an. Gemeinsam ist ihnen der Wunsch nach einer Rückkehr zur
       Ordnung.
       
       Aber ich kann diesen Wunsch, das Subjekt „Frau“ zu behalten, verstehen. 
       
       Klar, da hängen wir alle dran, weil uns das Sicherheit gibt, dieser
       gemeinsame Kampf als Frauen. Aber es ist leider komplizierter, es gibt
       nicht den einen wahren Feminismus und es gibt mehr als zwei Geschlechter.
       Diese Unordnung müssen wir aushalten.
       
       Hat sich Pinkstinks in dieser Hinsicht weiterentwickelt? Haben Sie mit
       Mädchen und Frauen angefangen und sind jetzt bei männlich und weiblich
       gelesenen Personen angekommen? 
       
       Ich würde sagen, dass wir uns immer noch hauptsächlich um die Belange von
       cis-Mädchen und -Frauen kümmern. Aber wir haben von Anfang an
       Mehrfachdiskriminierung thematisiert. Mit unserer Untermarke „Schule gegen
       Sexismus“ gehen wir in Schulen. Dort erklären wir, dass Sexismus alle
       betrifft, aber Mädchen of Color stärker, auch lesbische Mädchen, schwule
       Jungen, nichtbinäre und Transpersonen.
       
       Wir sind dieselbe Generation und mir fällt es sehr schwer, von Menschen mit
       Uterus oder Klitoris zu sprechen. Machen Sie das? 
       
       Das kommt auf den Kontext an, um wessen Rechte es gerade geht und wer die
       Zielgruppe eines Textes ist. Wenn es zum Beispiel um
       Schwangerschaftsabbrüche geht, würde ich das machen, weil der Kern des
       Patriarchats darin liegt, die Sexualität von Frauen aufgrund ihrer
       Gebärfähigkeit zu kontrollieren. Da gehört es sich, von Frauen und Menschen
       mit Uterus zu sprechen. Wenn ich aber über eine Studie spreche, die Männer
       und Frauen untersucht und Transidentität nicht mitgedacht hat, dann nicht.
       Und bekomme dann gerne mal einen Shitstorm in den sozialen Medien.
       
       Sie haben mal in einem Interview gesagt, der Hass, der Ihnen von links
       entgegenschlage, sei schlimmer als der von rechts. Ist das noch so? 
       
       Ja, das finde ich wirklich anstrengend.
       
       Warum? 
       
       Weil es viel schlimmer ist, in seinem eigenen Zuhause angebrüllt zu werden
       als auf der Straße von rechten Prolls, im übertragenen Sinn.
       
       Weil Sie denken, Sie kämpften für dieselben Ziele? 
       
       Ja. Pinkstinks ist damals ziemlich schnell in die Presse gekommen. Wir
       hatten tolle Ideen, tolle Kampagnen, tolle Mitarbeitende. Wir waren ganz
       schnell auf der Straße, waren ganz schnell ganz viele und hatten ein
       Riesenglück, dass wir von der Bewegungsstiftung damals eine Förderung
       bekommen haben. 7.000 Euro – das war damals wahnsinnig viel Geld für uns!
       Heute brauchen wir viel, viel mehr.
       
       Auf jeden Fall hatten wir hart gearbeitet und das größtenteils
       ehrenamtlich, und erreicht, was niemand für möglich gehalten hatte: Der
       Werberat nahm unser Anliegen ernst, und es gab [3][Proteste gegen Germany’s
       Next Topmodel]. Und dann kriegst du von links einen Shitstorm an die Backe,
       dass du denkst, „Mädels, wenn ihr uns jetzt lahmlegt, ist das doch ein
       Albtraum für alle“.
       
       Wann war das und worum ging es? 
       
       Das war 2013/2014. Ich hatte eine Rubrik, in der ich jeden Monat ein
       alternatives Role Model online gestellt habe. Und von den ersten zehn war
       nur eine of Color. Es hätten aber mindestens zwei sein müssen, weil in
       Deutschland ein Viertel aller Menschen einen sichtbaren
       Migrationshintergrund hat. Auch der Name wurde angegriffen.
       
       Oh, warum? 
       
       Wegen [4][des rosa Winkels], den Homosexuelle in den KZs an der Kleidung
       tragen mussten.
       
       Aber rosa ist doch nicht pink … 
       
       Ich weiß, aber ich hätte mir das besser überlegen sollen. Ich hatte den
       Namen aus England übernommen, wo ich zuvor gelebt hatte. Ich bin einfach
       nicht drauf gekommen, dass der in Deutschland diese Konnotation hat. Uns
       wurde auch noch unsere Kritik an hellblauen und rosa Kindersachen übel
       genommen.
       
       Warum denn das?! 
       
       Weil es Menschen gibt, die sich nur Kleidung vom Discounter leisten können.
       Und da gibt es nichts anderes. Die würde ich dann beschämen.
       
       Das ist Quatsch. 
       
       Klar, aber wir waren dann trotzdem die Kolonialisten, die Patriarchen des
       Feminismus.
       
       Waren Sie wütend? 
       
       Ja, weil es der Sache schadete. Wir hatten es geschafft, in Bereiche
       vorzudringen, wo ältere Feministinnen zu uns gesagt haben, vergesst es, das
       versuchen wir seit Jahrzehnten. Aber der Werberat hat wegen uns seine
       Regeln verschärft, die großen Werbeagenturen arbeiten alle mit unseren
       Tipps zur Vermeidung von Sexismus, bei den großen Marken findet man ihn
       heute nicht mehr.
       
       Ich habe mir auf Ihrer Homepage [5][die Sammlung sexistischer Werbung]
       angesehen. Das war schon noch sehr gruselig. 
       
       Ja, aber wir bekommen nur noch wenige Einsendungen. Allerdings betreffen
       sie vor allem irgendwelche kleinen Klitschen auf dem Land, die noch nicht
       gemerkt haben, dass sie ohne Herrenwitze eine größere Zielgruppe erreichen.
       
       Dann können Sie jetzt aufhören? 
       
       Nein. Ein neues Problem, das wir haben, sind Werbestorys auf Instagram, die
       sind nach 24 Stunden nicht mehr zu sehen. Oder Sexismus in Onlinespielen
       oder Anzeigen für Onlinespiele, die teilweise hinter Paywalls versteckt
       sind.
       
       O ja, Frauen als Trophäen, der Vergewaltigung preisgegeben. Eine Aufgabe
       für Pinkstinks? 
       
       Theoretisch ja. Wir werden auch aufgefordert, etwas gegen Musikvideos zu
       machen, aber wir schaffen das alles gar nicht. Bei uns ist gerade total
       Krise, mit Krankheitsfällen und Personalwechsel. Ich könnte natürlich
       wieder anfangen, wie damals mit meinem Mitstreiter Nils Pickert die Nächte
       durchzutwittern und zu -bloggen, aber das mache ich nicht mehr, das geht
       auf Kosten meiner Gesundheit.
       
       Ihre Kolleginnen sind fast alle sehr viel jünger als Sie – arbeiten die
       nach Feierabend? 
       
       Nein, die legen viel mehr Wert auf Work-Life-Balance, das habe ich echt von
       ihnen gelernt. Die machen nicht wie wir unbezahlte Praktika und kellnern
       abends. Die kommen mit Arbeitsverträgen und sagen: „Am Wochenende und
       abends arbeiten wir nicht.“ Diese Selbstfürsorge ist im Prinzip richtig,
       bedeutet aber auch, dass so eine Kampagnenorganisation wie Pinkstinks, die
       nicht nur Sexismus benennt, sondern für Veränderung sorgt, heute nicht mehr
       entstehen könnte. Wir sind da ziemlich allein auf weiter Flur.
       
       Und sitzen zwischen den Stühlen, wie Sie vorhin sagten, sowohl von jungen
       Linken als auch älteren Feministinnen geschnitten. 
       
       Wir sind Schweinchen in the middle, genau. Darüber schreibe ich gerade ein
       Buch. Die Rechten lachen sich darüber kaputt, wie wir uns gegenseitig die
       Omme einhauen.
       
       Aber Ihre Lösung ist wahrscheinlich nicht, jetzt haben wir uns alle lieb … 
       
       … nein, es gibt Unterschiede und die muss man ansprechen dürfen, ohne
       gleich auf den Deckel zu kriegen, aber auch ohne sich niederzuschreien. Wir
       müssen einander zuhören. Trotzdem tut es manchmal weh.
       
       Bei der Vorbereitung des Interviews habe ich mich darüber gewundert, dass
       es in Interviews oder Porträts von Ihnen immer nur um Pinkstinks geht. 
       
       Ja, das habe ich bewusst so gemacht, weil mein Privatleben niemand etwas
       angeht. Außerdem war ich auf der Judas Watch Liste …
       
       … einer antisemitischen Hetzseite mit Steckbriefen und Fotos von Personen,
       die für den „Niedergang der weißen Rasse“ verantwortlich gemacht werden …
       
       … in unseren Briefkasten wurde schon mal „Fotze“ eingeritzt, ich hatte
       Personenschutz, ich habe zwei Kinder – irgendwo ist Schluss. Und ich ziehe
       mich schon nackt aus, wenn ich mit dem Thema Gender an die Öffentlichkeit
       gehe, weil immer irgendjemand fragt, was mit mir nicht stimme, ob ich ein
       Problem mit meiner Weiblichkeit habe, was mir Schlimmes widerfahren sei.
       Deshalb schminke ich mich ja auch, wenn ich vor die Kamera muss, obwohl ich
       es hasse, das ist ein Schutz vor noch mehr Hass.
       
       Und färben sich die Haare? 
       
       Nee, ich warte darauf, dass die endlich mal grau werden. Die ersten weißen
       Haare habe ich schon. Mein nächstes Pressebild soll eines werden mit grauen
       Haaren und Brille auf der Nase. Neulich hat mal jemand gefragt, ob ich auch
       kompetent sei, weil ich zu gut auf einem Pressebild aussah.
       
       Aber Ihr gutes Aussehen war doch in Kombination mit Ihrer Eloquenz der
       Türöffner, oder? Sie haben niemand Angst gemacht und wurden vom Mainstream
       als dessen Teil wahrgenommen. 
       
       „Sie sehen ja gar nicht aus wie eine Feministin“, das habe ich oft gehört,
       hat ein Journalist auch mal im Spiegel geschrieben, irgendwas über meinen
       zarten Kettenanhänger. Ich glaube auch, dass es anders nicht funktioniert
       hätte.
       
       Das hat mich jahrelang fertiggemacht. Ich dachte, geil, ich trete hier an,
       um gegen Schönheitsideale oder für vielfältigere Schönheitsideale
       anzutreten und muss selbst immer darauf achten, dass ich gut aussehe.
       Deshalb haben wir Pinkstinks in den letzten Jahren auch verändert, weg von
       Pressearbeit und rein politischer Arbeit, die an meiner Person hing, hin zu
       mehr Videos und Content.
       
       Aber es funktioniert ja nur, weil Sie auch gut reden können. 
       
       Ja, ich bin viel stolzer darauf, viele Themen komprimiert schnell nennen zu
       können, und auf meine Kreativität als auf mein Aussehen – wobei ich in der
       Hinsicht genauso unsicher bin wie alle Frauen.
       
       30 Jun 2022
       
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