# taz.de -- Streit um die EU-Taxonomie: Ums Atom geht es nicht
       
       > So ärgerlich die EU-Vorschläge zur Atomkraft sind: Entscheidend ist
       > jetzt, die Regeln für klimapolitische Investitionen zu sichern und
       > auszubauen.
       
 (IMG) Bild: Idyllischer Blick auf den Kühlturm des französischen Atommeilers Cruas an der Ardèche
       
       Die hitzige Debatte um die „[1][EU-Taxonomie]“ und die geplante Einstufung
       von Investitionen in Atomkraft und Gas als „nachhaltig“ geht am
       eigentlichen Kern vorbei. Denn die Frage ist nicht, ob in Deutschland die
       Atomkraft subventioniert zurückkommt (wird sie nicht) oder ob wir neue
       Gaskraftwerke verhindern können (sollten wir nicht). Entscheidend ist auch
       nicht, ob die Bundesregierung diese EU-Regeln verhindern sollte (kann und
       will sie nicht) oder ob die Grünen dafür einen Koalitionskrach riskieren
       müssten (sollten sie erst recht nicht). Die Frage muss lauten: Wie retten
       wir die EU-Taxonomie?
       
       Sicher: Die Vorschläge der [2][EU-Kommission] sind ein Ärgernis. Aber sie
       kommen nicht überraschend. Es bleibt zwar falsch und skandalös, gerade der
       [3][Atomkraft] mit ihren ökologischen und finanziellen Risiken das Label
       „richtet keinen Schaden an“ anzuheften. Aber das sehen eben viele andere
       Länder in der EU wie Frankreich, Ungarn oder Tschechien ganz anders, die
       dringend frisches Geld für alte oder neue Meiler brauchen. Und beim Gas war
       immer klar, dass gerade Deutschland mit dem endgültigen Atomausstieg Ende
       dieses Jahres eine Menge neuer flexibler Kraftwerke braucht, um die
       Energiewende abzusichern. Die heikle Frage ist nur, wie man jetzt Turbinen
       für fossiles Gas baut, die man möglichst bald auf den Betrieb mit „grünen“
       Gasen wie Wasserstoff umstellen kann. Kippen kann Deutschland diesen
       Kompromiss nicht, dafür reichen die Mehrheiten nicht. Und kippen will ihn
       Deutschland auch nicht, weil das Gas auf dem Spiel steht – und weil die
       Regelung ein Hebel sein kann, die vielen anderen Zumutungen des „Fit for
       55“-Pakets der EU gerade in Osteuropa durchzusetzen.
       
       Es gab und gibt für den grünen Klimaminister Habeck deshalb wenig Grund,
       mit seinen Kollegen in Berlin und Brüssel darüber den Konflikt zu suchen.
       Viel wichtiger ist es, die Taxonomie zu sichern: Also auf der EU-Ebene
       einen klaren Maßstab dafür beizubehalten, welche Investitionen in Zukunft
       für eine klimagerechte Transformation von Industrie, Stromnetzen und
       Gebäuden gebraucht werden und welche nicht. Manche Experten wollen die
       Liste verbessern, andere diese Unterscheidung etwa über den CO2-Preis
       regeln. Mit der Taxonomie wollte die EU weltweit Vorreiter für grünes
       Investment sein. Diesen Vorsprung gilt es zu halten, klare Regeln müssen
       für Vertrauen bei Investoren und Gesellschaft sorgen. Die bisherige
       umfangreiche Taxonomie-Liste ist ein guter Anfang, sie muss aber noch
       klarer und konkreter werden. Denn die Klimapolitik der EU wird sich daran
       entscheiden, wohin die Billionen Euro privaten Kapitals in den nächsten 20
       Jahren fließen. Nicht an ein paar Milliarden für alte AKWs.
       
       8 Jan 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Finanzexpertin-ueber-EU-Taxonomie/!5823350
 (DIR) [2] /EU-und-Klimawende/!5823224
 (DIR) [3] /Atomkraft-und-Klimawandel/!5825470
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bernhard Pötter
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Atomkraft
 (DIR) Ursula von der Leyen
 (DIR) EU-Taxonomie
 (DIR) Energiewende
 (DIR) Bundesverfassungsgericht
 (DIR) Kommission
 (DIR) Schwerpunkt Atomkraft
 (DIR) EU-Politik
 (DIR) Schwerpunkt Emmanuel Macron
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) WWF-Studie zu erneuerbaren Energien: Energiewende ja, aber zu langsam
       
       Ein neuer Bericht des WWF zeigt: Weltweit setzen sich Wind- und Solarstrom
       schneller durch als gedacht. Deutschland hinkt aber hinterher.
       
 (DIR) Karlsruher Entscheid zu Atomtransporten: Symbolische Bedeutung
       
       Karlsruhe stoppt den Bremer Alleingang gegen Atomtransporte. Das heißt aber
       mitnichten, dass progressive Gesetze zum Scheitern verurteilt sind.
       
 (DIR) Energiewende und Erdgas: Eine toxische Beziehung
       
       Die EU will Investitionen in Gaskraft mit einem Öko-Siegel attraktiv
       machen. Das sorgt für viel Kritik – auch wenn neue Kraftwerke nötig sind.
       
 (DIR) Finanzexpertin über EU-Taxonomie: „Die EU untergräbt ihr Ziel“
       
       Die EU will Atomkraft und Gas als nachhaltig einstufen. Die Bundesregierung
       sollte sich dagegen wenden, fordert Magdalena Senn von „Finanzwende“.
       
 (DIR) EU-Einstufung von Atomkraft und Erdgas: Russisch-europäisches Roulette
       
       Die EU-Kommission betreibt ein Glücksspiel. Berlin und Paris schieben sich
       gegenseitig die Bälle zu. Paris setzt auf Kernenergie, Berlin auf Erdgas.
       
 (DIR) EU und Klimawende: Eine Hand greenwasht die andere
       
       Die EU-Kommission erklärt Atomenergie und Erdgas für klimafreundlich.
       Dahinter steckt ein Kompromiss zwischen Frankreich und Deutschland.