# taz.de -- Finanzexpertin über EU-Taxonomie: „Die EU untergräbt ihr Ziel“
       
       > Die EU will Atomkraft und Gas als nachhaltig einstufen. Die
       > Bundesregierung sollte sich dagegen wenden, fordert Magdalena Senn von
       > „Finanzwende“.
       
 (IMG) Bild: Echte Nachhaltigkeit: größter deutscher Solarpark in Werneuchen/OT Löhme in Brandenburg
       
       taz: Frau Senn, die EU-Kommission will, dass das neue Siegel für
       nachhaltige Finanzanlagen [1][auch für Investments in Atomkraft und
       Gasanlagen gilt] – das ist die sogenannte Taxonomie-Verordnung. Welche
       konkreten Konsequenzen hätte es, wenn sich die EU-Kommission durchsetzt? 
       
       Magdalena Senn: Wenn die EU Atom und Gas als nachhaltig definiert, drohen
       viele nachhaltige Anlagegelder in diese Technologien zu fließen, die in
       einer klima- und umweltgerechten Welt keine Zukunft haben. Das Wirrwarr von
       verschiedenen Standards für nachhaltige Finanzanlagen würde bleiben.
       Bestehende Standards wie das FNG-Siegel in Deutschland oder das
       französische staatliche Siegel für nachhaltige Fonds schließen Atomkraft
       aus, zum Teil auch Gas. Aus gutem Grund: Einer Umfrage von
       Finanzwende-Recherche zufolge [2][sehen 82 Prozent der Deutschen Atomkraft
       nicht als nachhaltig an].
       
       Um wie viel Geld geht es? 
       
       Der Markt für nachhaltige Fonds allein in Deutschland hat nach Angaben des
       deutschen Fondsverbands im Jahr 2021 ein Volumen von 360 Milliarden Euro
       überschritten. Die Nachfrage nach nachhaltigen Geldanlagen steigt. Wie viel
       davon in Atomkraft oder Gas fließen würde, lässt sich nicht sagen. Niemand
       ist ja gezwungen, nachhaltiges Geld in Atomkraft zu stecken. Aber: Die
       Kommission untergräbt mit der vorgeschlagenen Einstufung ihr eigenes Ziel.
       Sie wollte Kapital in nachhaltige Investitionen lenken und Greenwashing
       eindämmen. Und beides verfehlt sie mit ihrem Vorschlag.
       
       Wenn sich die Kommission durchsetzt, werden dann demnächst in Frankreich
       mit grün deklariertem Geld AKWs gebaut und hier Gaskraftwerke? 
       
       Ja, das ist durchaus möglich mit privatem Kapital.
       
       Und was ist mit öffentlichen Geldern? 
       
       Das ist ein Grund, warum das Thema politisch so hochkocht: Es ist denkbar,
       dass die Kommission den Nachhaltigkeitsstandard, den sie jetzt schafft,
       auch für öffentliche Subventionen der Mitgliedstaaten heranzieht und bei
       der Überarbeitung der europäischen Schuldenregeln zugrunde legt. Weil
       viele EU-Länder weiter auf Atomkraft und Gas setzen, betrifft der Vorschlag
       der Kommission nationale Interessen.
       
       Expert:innen sind der Auffassung, dass die Taxonomie eine echte
       Trendwende an den Kapitalmärkten in Richtung Nachhaltigkeit hätte einleiten
       können. Ist es damit jetzt vorbei? 
       
       Das muss sich zeigen. Aber was Europa eigentlich wollte, einen
       einheitlichen Standard zu schaffen und international zum Vorbild zu werden
       für nachhaltige Kapitalmärkte, das dürfte tatsächlich gescheitert sein,
       wenn Gas und Atom als nachhaltig eingestuft werden.
       
       Wie kann die Einstufung von Atom- und Gasinvestments als grün noch
       verhindert werden? 
       
       Bis 12. Januar dürfen die Mitgliedsstaaten Rückmeldungen zu den Vorschlägen
       der Kommission geben. Wenn genug Mitgliedsstaaten das kritisch beurteilen,
       können sie darauf drängen, dass die Kommission ihren Vorschlag ändert. Das
       erscheint nicht besonders wahrscheinlich, weil die Kommission ja nur
       vorlegt, was sie für mehrheitsfähig hält. Ist die Frist vorbei, wird die
       Kommission den Vorschlag formal annehmen. Dann können der Ministerrat oder
       das Europaparlament nur noch insgesamt widersprechen, aber keine Änderungen
       mehr vornehmen. Dass das geschieht, ist sehr unwahrscheinlich.
       
       Was sollte die deutsche Bundesregierung jetzt tun? 
       
       Sie sollte sich jetzt in Brüssel starkmachen, dass die Vorschläge der
       EU-Kommission nicht angenommen werden. Die Grünen [3][haben ja schon recht
       klar auf den Vorschlag der Kommission reagiert]. Ungewiss ist, ob sich die
       neue Bundesregierung insgesamt zu einer kritischen Rückmeldung zu Atomkraft
       und Gas nach Brüssel durchringt. Wenn Deutschland daran gelegen ist,
       Greenwashing zu bekämpfen und für Anlegerinnen und Anleger für mehr
       Klarheit zu sorgen, dann sollte die Bundesregierung in Brüssel
       widersprechen.
       
       Die österreichische Regierung will gegen die Einstufung klagen. Bringt das
       was? 
       
       Ja, das ist ein möglicher Weg. Es gibt Gutachten, die sagen, dass der
       Einbezug von Atomkraft der Rechtsgrundlage der Taxonomie widerspricht, also
       den Vorgaben von Europaparlament und Rat.
       
       3 Jan 2022
       
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