# taz.de -- EU-Einstufung von Atomkraft und Erdgas: Russisch-europäisches Roulette
       
       > Die EU-Kommission betreibt ein Glücksspiel. Berlin und Paris schieben
       > sich gegenseitig die Bälle zu. Paris setzt auf Kernenergie, Berlin auf
       > Erdgas.
       
 (IMG) Bild: Wenn die geahnt hätten, dass AKWs wieder in Mode kommen – Kernkraftgegner in Gorleben 1979
       
       Nachhaltigkeit ist ein dehnbarer Begriff. Besonders, wenn er für die
       Katastrophentechnologie Atomkraft und den [1][Klimakiller Erdgas] verwendet
       wird. So hat die EU-Kommission nun die beiden Verfahren zur
       Energieerzeugung im Entwurf der sogenannten Taxonomie als nachhaltige
       Investments eingestuft. Es handelt sich um einen klassischen Kompromiss
       nationaler Egoismen, der die Gefahren brutal ignoriert.
       
       Zwei Katastrophen durch AKW-Unfälle mit zahlreichen Toten hat die Welt
       schon erlebt: 1986 in [2][Tschernobyl] und 2011 in [3][Fukushima]. Außerdem
       schiebt die EU das ungelöste Problem des radioaktiven Mülls beiseite – eine
       Gefahr für zehntausende Jahre. Erdgas ist eine fossile Energiequelle, die
       den Klimawandel beschleunigt. Bei der Verbrennung in Kraftwerken wirkt das
       Gas zwar weniger klimaschädlich als Kohle.
       
       Allerdings entweichen bei Förderung und Transport große Mengen Methan, die
       den Treibhauseffekt verstärken. Nicht so schlimm, sagt die Erdgasindustrie.
       Diesen Daten sollte man jedoch nicht glauben. Dass Atom und Gas auf die
       Liste gerieten, ist ein Kompromiss zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten.
       [4][Paris setzt auf die heimische Atomindustrie]. In Berlin glaubt man eher
       an die Putin befriedende Wirkung der russischen Gaslieferungen. Besonders
       die SPD ist eine Erdgas-Partei.
       
       Allerdings kann die EU-Kommission auf einen realpolitischen Kern ihrer
       Entscheidung verweisen. Die Taxonomie ist kein EU-weites Programm für
       staatliche Energiepolitik, sondern nur ein Kompass, der Investoren die
       Richtung weist. Was die einzelnen Staaten, Konzerne und Investmentfonds
       tun, bleibt ihnen selbst überlassen. Dass beispielsweise die letzten drei
       deutschen AKWs in zwölf Monaten abgeschaltet werden, steht nicht zur
       Diskussion.
       
       Und tatsächlich entstehen bei der Stromerzeugung in AKWs keine
       klimaschädlichen Emissionen. Gaskraftwerke sollen laut EU nur noch bis 2030
       genehmigt, ab 2035 soll die Infrastruktur für grünen Wasserstoff genutzt
       werden. Gegen letztere Ansage spricht freilich, dass von der angeblichen
       Zukunftstechnologie des klimaneutralen Wasserstoffs bis jetzt nichts zu
       sehen ist.
       
       Wer weiß, ob diese neue Technik in den nächsten zehn Jahren wirklich kommt
       oder ob uns die Erdgaswirtschaft nicht noch Jahrzehnte begleitet – einfach,
       weil sie da ist. Bei der Atomkraft will die EU-Kommission das
       Genehmigungsende anscheinend auf 2045 legen. Heißt: Die Anlagen laufen bis
       2080. Wenn sich bis dahin in Europa keine Atomkatastrophe ereignet, haben
       wir echt Glück gehabt. Die EU-Kommission betreibt ein Glücksspiel. Erdgas
       ist russisches, Atomkraft europäisches Roulette.
       
       2 Jan 2022
       
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