# taz.de -- Abgang von Regierungschef Müller: Ab in den Bundestagsausschuss
       
       > Am Dienstag wird Franziska Giffey zur Regierenden Bürgermeisterin
       > gewählt. Das ist auch der Rückzug von Michael Müller aus der
       > Landespolitik.
       
 (IMG) Bild: Und tschüs: Michael Müller auf seiner letzten Senatspressekonferenz als Regierender
       
       Berlin taz | 9.453 Tage, fast 26 Jahre, gehen an diesem Dienstagmorgen im
       Abgeordnetenhaus zu Ende. Genau so lang wird Michael Müller dann in der
       Berliner Landespolitik gewesen sein, als Regierender Bürgermeister,
       Senator, Fraktionschef oder Abgeordneter.
       
       Im Plenarsaal zuschauend wird er diesen Moment erleben. Denn seine Amtszeit
       als Regierungschef endet nicht durch ein eigenes Tschüss, sondern durch das
       „Ja“ seiner Nachfolgerin: Wenn alles gut läuft für die Koalition, [1][wird
       Franziska Giffey damit gegen kurz nach 11 Uhr ihre Wahl zur Regierenden
       Bürgermeisterin] annehmen und damit an seiner Stelle im Amt sein.
       
       Es geht ein Mann, der [2][angenehm uneingebildet] ist, der auch mal
       ungeschützt seine Begeisterung über etwas zeigt genauso wie seine
       Bestürzung. Einer, der lange einem anderen, seinem Vorgänger Klaus
       Wowereit, den Rücken in Fraktion und Partei frei gehalten hat, ohne selbst
       glänzen zu können. Einer, den alle Anfeindungen und Beschreibungen als
       blasser Typ nicht ausgebrannt haben und der nicht so wirkt, als ob auf
       diese 9.453 Tage Landespolitik nicht noch etwas Gewichtiges folgt.
       
       Es ist ein weit nüchternerer Besprechungsraum in der insgesamt sehr
       zweckmäßig wirkenden Senatsverwaltung für Stadtentwicklung am Fehrbelliner
       Platz, wo an einem Freitagmorgen Ende August 2014 das bedeutendste Kapitel
       jener Geschichte beginnt, die nun im flaggenbehängten Plenarsaal endet.
       Müller residiert dort zu jener Zeit als Stadtentwicklungssenator. Drei
       Jahre zuvor hat er diesen Posten in der Landesregierung übernommen, nach
       über zehn Jahren als Chef der SPD-Fraktion, der er schon seit dem 2.
       Februar 1996 angehörte.
       
       Das Senatorenamt sollte quasi die abschließende Ausbildungsstufe dafür
       sein, irgendwann Parteifreund Klaus Wowereit als Regierungschef abzulösen
       und aus dem Zweckbau in die Backsteingotik des Roten Rathauses umzuziehen.
       Doch das kam anders: Müller wurde 2012 als SPD-Landesvorsitzender abgewählt
       wurde, galt als abgemeldet und sogar unter Druck, auch als Senator
       abzutreten. Andere schoben sich in den Vordergrund: der neue
       Parteivorsitzende Jan Stöß und Raed Saleh, Müllers Nachfolger als
       Fraktionschef.
       
       ## Wowereit macht die Bühne frei
       
       Doch genervt von immer neuen Querelen um die Großbaustelle BER und
       gesunkene Umfragewerte kündigte Klaus Wowereit Ende August 2014
       überraschend [3][seinen Rücktritt für Mitte Dezember] an – und brachte
       einen Mitgliederentscheid auf den Weg. Saleh meldete als Erster Ambitionen
       an, Stöß folgte. Müller kündigte „ein bis zwei Tage“ Bedenkzeit ein.
       
       Es reicht ihm einer davon: An jenem Freitag macht er in jenem nüchternen
       Besprechungsraum früh um halb zehn vor Journalisten seine Kandidatur
       öffentlich. Fortan erleben viele einen Michael Müller, wie sie ihn noch
       nicht kannten: mal kämpferisch, mal witzig – und merken erst jetzt, welch
       guter Redner er ist. Eineinhalb Monate später setzt er sich beim
       Mitgliederentscheid mit fast 60 Prozent der Stimmen gegen Stöß und Saleh
       durch.
       
       Müller gewinnt auch die Abgeordnetenhauswahl 2016, als er zum ersten und
       einzigen Mal Spitzenkandidat der Berliner SPD ist. Wobei das mit dem
       Gewinnen Ansichtssache ist. Die SPD bleibt zwar stärkste Partei, schneidet
       aber, in Zahlen betrachtet, so schlecht ab wie noch nie.
       
       Nach einem Jahr würde Müller weg sein, ist an jenem Wahlabend von einem zu
       hören, der selbst einige Höhen und Tiefen hinter sich hat und der im Januar
       2022 CDU-Generalsekretär werden würde. Mario Czaja hatte zuvor als
       Sozialsenator fünf Jahre mit Müller in der rot-schwarzen Landesregierung
       zusammengesessen und war von ihm zuletzt heftig wegen des suboptimalen
       Managements der Flüchtlingsunterbringung kritisiert worden. Vielleicht ist
       es der Ärger darüber, der an jenem Abend Czajas Urteilsvermögen
       beeinträchtigt.
       
       ## Gerüchte um vorzeitige Ablösung
       
       Denn ein Jahr später ist Müller weiter im Amt, und das bleibt er auch,
       selbst als ihm eine Umfrage im Sommer 2019 bescheinigt, unbeliebtester
       Ministerpräsident in Deutschland zu sein. Es kursieren zwar Gerüchte über
       eine vorzeitige Ablösung durch die damalige Bundesfamilienministerin
       Franziska Giffey, als Müller mit ihr und Saleh Anfang 2020 in einer
       Pressekonferenz seinen Rückzug vom SPD-Landesvorsitz ankündigt.
       
       Doch dann kommt Corona, während parallel Giffey wiederholt mit
       Plagiatsvorwürfen wegen ihrer Doktorarbeit zu tun hatte. Zu dieser Zeit
       wird Müller, gerade noch Wackelkandidat, zum beliebtesten Politiker
       Berlins. Seite an Seite mit der Kanzlerin ist er regelmäßig zu sehen, in
       der Koalition legen die führenden Köpfe – Müller, die Grüne Ramona Pop und
       Klaus Lederer von der Linkspartei – überzeugende gemeinsame Auftritte hin.
       
       Müller zeigt sich dabei als Lernender, der wiederholt den Kontakt zum
       Virologen Christian Drosten und zur Charité-Führung suchte. Zu Beginn der
       Pandemie hatte er vor Journalisten noch Forderungen der Wissenschaftler
       nach einem früheren Osterferienbeginn zur Kontaktminderung mit der
       Gegenfrage „Gibt es Grippeferien?“ abgelehnt. Außerdem scheute er erst
       davor zurück, Großveranstaltungen abzusagen, was Alleingänge bei den
       Koalitionspartnern auslöste.
       
       Corona bringt Müller noch näher an das Feld heran, das er seit 2016 quasi
       nebenher betreut, wenn auch sein Staatssekretär Steffen Krach die
       Hauptarbeit macht: die Wissenschaft. Müller wirbt um Ansiedlungen, Müller
       unterstützt, Müller interessiert sich. Es hatte Menschen gegeben, die ihm
       die Kompetenz für dieses Ressort absprachen: Der habe nicht studiert, der
       habe noch nicht mal Abitur, der sei ja von der Ausbildung her nur Drucker.
       
       ## „Nur Drucker“
       
       „Nur Drucker“. Es ist Müller durchaus anzumerken gewesen, wie ihn solche
       Äußerungen trafen, nach knapp 20 Jahren Landespolitik, größtenteils in
       führenden Ämtern. Wobei er selbst mit dem Image des Handwerkers – bei dem
       stets ein unausgesprochenes „bodenständiger“ oder „ehrlicher“ mitschwingt –
       durchaus kokettiert hat. Eine bessere Aufstiegsgeschichte hatte die SPD
       seit Gerhard Schröder ja auch nicht mehr gesehen. In der SPD-Fraktion war
       er, ausgerechnet als Chef, der einzige Handwerker, dazu im lange weiter
       betriebenen väterlichen Betrieb in Tempelhof.
       
       Dünnhäutigkeit beschränkt sich bei Müller nicht auf diesen Punkt und auch
       nicht auf Kritik an Journalisten, die aus seiner Sicht unsachlich
       berichten, wie noch in der Pressekonferenz nach der jüngsten Senatssitzung
       zu erleben. Immer mal wieder hieß es aus der Koalition, Müller habe sich
       unverstanden gefühlt, auf stur geschaltet und dadurch eine verfahrene
       Situation noch komplizierter gemacht.
       
       Schon im rot-schwarzen Senat hatte sich Müller nicht nur mit CDU-Mann Czaja
       gefetzt, sondern auch mit dem von der SPD gestellten parteilosen
       Finanzsenator Ulrich Nußbaum. In seiner letzten Senatssitzung übt er
       Selbstkritik: Er habe zu früh zu viel gewollt und zu wenig kommuniziert.
       
       Dass ihn die Bundes-SPD um den neuen Kanzler Olaf Scholz nun außen vor
       gelassen hat, als es um die Verteilung von Ministerposten ging, konnte
       überraschen. Denn schließlich hatte die SPD ein passendes Ressort zu
       vergeben: Müller war nicht nur als Senator, sondern auch als Regierungschef
       zu einem guten Teil mit Baupolitik und Stadtplanung beschäftigt. Dass seine
       Brandenburger Parteifreundin Klara Geywitz, 2019 Scholz’ running mate bei
       der erfolglosen Bewerbung um den SPD-Vorsitz, als Bauministerin kompetenter
       ist, erschließt sich nicht sofort.
       
       So bleibt Müller – vorerst – nur das Bundestagsmandat. Bislang waren
       Ministerpräsidenten, amtierende wie ausscheidende, nur auf die Bundesebene
       gewechselt, um dort ins Kabinett einzusteigen. Er ist ehrlich genug, zum
       Abschied nicht bloß floskelhaft von spannenden neuen Aufgaben zu sprechen,
       die ihn erwarten würden. Er lässt auch anklingen, dass er an dem damit
       einhergehenden Bedeutungsverlust zu knabbern haben könnte.
       
       Müller ist 57, nur zehn Jahre jünger als die vor zwei Wochen verabschiedete
       Exkanzlerin. Von der es heißt, sie würde künftig in ihrer sagenumwobenen
       Uckermärker Datsche gleichfalls sagenhafte Eintöpfe kochen und maximal an
       ihren Memoiren schreiben. Tatsächlich aber wirkt er in vielen Momenten
       jünger und weiter begierig auf mehr als lehrreiche Reisen mit dem
       Auswärtigen Ausschuss des Bundestags. Und von einem leidenschaftlich
       kochenden Müller war bislang nichts zu hören.
       
       21 Dec 2021
       
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