# taz.de -- Retrospektive „Der andere Wiener Film“: Gegenwart der Filmgeschichte
       
       > Eine Retrospektive zeigt österreichische Filme der Jahre 1934 bis 1936.
       > Emigrant:innen aus Deutschland stießen damals zu den Wiener
       > Filmemacher:innen.
       
 (IMG) Bild: Geschlechterbilder durch die Luft wirbeln: Hermann Kosterlitz’ Film „Katharina die Letzte“ (1936)
       
       Hans von Gerstikow setzt alles auf eine Karte: durch einen falschen Anruf
       lockt er einen Diplomaten aus seiner Opernloge, riskiert diplomatische
       Konsequenzen – all das, um der Frau seiner Träume nah zu sein. Sybill
       Braun, die Angebetete, ist etwas überrumpelt, als ihr Liebhaber in der
       Nachbarloge auftaucht, aber doch auch angetan.
       
       Ganz anders der Papa. Um den Operngenuss gebracht, wechselt er still in die
       Nachbarloge, lauscht kurz den Tiraden des Liebhabers seiner Tochter gegen
       deren tyrannischen Vater und serviert den Mann dann routiniert ab. Hermann
       Kosterlitz’ „Katharina die Letzte“ beginnt als Komödie über die
       Aufdringlichkeiten eines Liebhabers.
       
       Kosterlitz’ Film wird in fünf Wochen eine Online-Retrospektive beenden, die
       das Filmarchiv Austria nun dem „anderen Wiener Film“ widmet. Die Reihe ist
       das Gegenstück zu einer parallel gezeigten Retrospektive zu dem
       Schauspieler Willy Forst. Während Forst den Wiener Film von den 1920er
       Jahren, über den Austrofaschismus der frühen 1930er Jahre ungebrochen, bis
       in den Nationalsozialismus verkörperte, verengten sich für viele seiner
       Kolleg:innen die Möglichkeiten.
       
       Die Retrospektive konzentriert sich auf Filme der Jahre 1934 bis 1936, den
       Jahren, in denen [1][Emigrant:innen aus Deutschland] zu den Wiener
       Filmemachern stießen und eine letzte große Blüte des österreichischen Films
       der Vorkriegszeit entstand.
       
       ## Ist der Busen das Gegenstück?
       
       In seinem regulären Betrieb hatte das Filmarchiv Austria dieses
       Filmschaffen in einer Ausstellung erforscht, die von zwei Retrospektiven
       und einem ausführlichen Katalog begleitet wurde. Mit der Online-Filmreihe
       setzt das Filmarchiv Austria sein digitales Programm fort, das im Laufe des
       letzten Jahres zu einer festen Größe für ein filmhistorisches Angebot
       geworden ist.
       
       Nachdem Sybills Vater in „Katharina die Letzte“ Hans von Gerstikow den
       Zutritt zum Haus verboten hat, sinnt der Liebhaber auf einen neuen Weg
       hinein. Die Hausangestellte Katharina, von allen verlacht, soll ihm helfen.
       Er verkleidet sich als Chauffeur und macht der jungen Frau den Hof. Was aus
       Kalkül beginnt, wird bald zu Liebe. Kosterlitz fegt in seiner temporeichen
       Komödie durch die Themen der Zeit: Die mondäne Welt von Gerstikows
       kontrastiert hart mit der Welt Katharinas, der von ihrer Umwelt unablässig
       übel mitgespielt wird.
       
       Vor allem aber wirbelt der Film Geschlechterbilder durch die Luft: Als von
       Gerstikow auf einem Rummel mit einem stärkeren Mann aneinandergerät, eilt
       Katharina herbei und rettet ihn. Und bevor es zum Happy End kommen kann,
       muss sich von Gerstikow von dem eitlen selbstherrlichen Stutzer, der Sybill
       als Spiegel seiner Selbstherrlichkeit gewinnen will, zum mitfühlenden Mann
       wandeln.
       
       Die Lebenslinien, die von dem Film ausgehen, sind verworren. Wie viele
       seiner Kolleg:innen hatte Hermann Kosterlitz nach der Machtergreifung
       der Nazis Deutschland verlassen. Nach „Katharina die Letzte“ musste er auch
       Wien verlassen, ging auf Vermittlung des Universal-Produzenten Joe
       Pasternak nach Hollywood. „Three Smart Girls“, sein erster Film in den USA,
       rettete Universal vor dem Bankrott und eröffnete Kosterlitz eine zweite
       Karriere als Hollywoodregisseur unter dem Namen Henry Koster.
       
       Auch viele der anderen Mitwirkenden versuchten sich später wie Kosterlitz
       und der Drehbuchautor Felix Joachimson nach Hollywood zu retten, nicht
       allen gelang es. Otto Wallburg, der Sybills Vater spielt, ging in die
       Niederlande, wurde in das KZ-Durchgangslager Westerbork, später nach
       Theresienstadt und Auschwitz verschleppt und dort schließlich ermordet.
       
       ## Flucht in die USA
       
       Franziska Gaal, der ungarisch-jüdischen Schauspielerin, die die
       Hausangestellte Katharina spielt, gelang die Flucht in die USA. Doch kurz
       bevor Ungarn in den Zweiten Weltkrieg eintrat, kehrte sie aus persönlichen
       Gründen nach Ungarn zurück. Sie überlebte den ungarischen Faschismus im
       Versteck, ging nach 1945 erneut in die USA, doch die Zeiten hatten sich
       gewandelt und Gaal starb 1972 krank und elend.
       
       Gaals Verkörperung von Katharina ruft in Erinnerung, dass man historische
       Filme nicht immer historisch sehen sollte. Wenige Schauspielerinnen
       verstanden die Ungerechtigkeiten der Welt so zu verkörpern wie Gaal, und
       kurz darauf wieder zu einem Lachen überzugehen. Wer sieht, wie Gaal sich
       als Katharina unsicher durch fremde Räume bewegt, sie zögern lässt, wann
       immer sie in der Öffentlichkeit ist, sieht nichts Vergangenes, sondern eine
       Figur auch der Gegenwart. Filmgeschichte ist nicht vergangen, sondern wird
       im günstigsten Fall in der Wiederentdeckung stets aufs Neue gegenwärtig.
       
       Für den Drehbuchroutinier Walter Reisch eröffnete sich mit dem Wechsel von
       Berlin nach Wien die Gelegenheit zu den ersten beiden eigenen
       Regiearbeiten. Leider ist der Ballettfilm „Silhouetten“, mit dem die
       Retrospektive eröffnet, nicht gut gealtert. Lydia Sanina kämpft darin um
       das Überleben ihrer Ballettgruppe. Der Erfolg früherer Jahre ist dahin und
       innerhalb der Gruppe wächst der Unmut.
       
       Dann trifft sie durch einen Zufall den jungen, wohlhabenden Charlie West
       und findet durch einen weiteren Zufall eine junge Tänzerin, die der Truppe
       wieder Erfolg beschert. Reisch, der unter anderem die Vorlagen zu Ernst
       Lubitschs Klassiker „Ninotchka“ lieferte, inszeniert die wenig überzeugende
       Handlung ohne jeden Einfall und hat überdies noch Hauptdarsteller Fred
       Hennings als Klotz am Bein, dessen Spiel kaum hölzerner sein könnte.
       
       ## Von Wien nach Buchenwald verschleppt
       
       Die Erzählung einer Tänzerin und Geschäftsfrau, die um das Überleben ihrer
       Truppe kämpft, erstickt Reisch im Ansatz unter patriarchalen Gesten. Wie
       anders dagegen Karl Hartls „Der Prinz von Arkadien“ auf der Grundlage eines
       Drehbuchs von Reisch über das befreite Leben eines jungen Monarchensprosses
       nach der Abdankung. Auch der Schauspieler Fritz Schulz musste 1933
       Deutschland verlassen und fand in Wien zunächst die Möglichkeit,
       weiterzuarbeiten.
       
       Im Rahmen der Online-Retrospektive ist seine Komödie „Salto in die
       Seligkeit“ von 1934 zu sehen. Der Trubel in einem Kaufhaus bildet den Kern
       der Handlung, um den herum Schulz eine Handlung mit sich selbst in der
       Hauptrolle webt. Bisweilen droht der Film in eine Nummernrevue zu
       zerfallen, aber einige charmante Flirts und hervorragend besetzte
       Nebenrollen halten den Film vergnüglich. Einer der präsenteren
       Nebendarsteller ist Felix Bressart als unfähiger, wortspielender
       Kaufhausdetektiv.
       
       Auch Bressart emigrierte 1938 in die USA, schon im Jahr darauf konnte er
       seine Karriere als brillanter Schauspieler für Nebenrollen als
       Politkommissar in Lubitschs „Ninotchka“ fortsetzen. Fritz Schulz wurde 1938
       gemeinsam mit seinem Schauspielerkollegen Paul Morgan von Wien aus in das
       Konzentrationslager Buchenwald verschleppt, schließlich aber freigelassen
       und konnte in die Schweiz emigrieren. Morgan starb noch Ende 1938 in
       Buchenwald.
       
       Dennoch zeigt die Retrospektive „Der andere Wiener Film“ – ähnlich wie es
       vor einigen Jahren die Filmreihe „Lachende Erben“ zu den Lustspielen der
       späten Weimarer Republik im Berliner Zeughauskino tat –, welchen Verlust
       für die deutschsprachige Filmkunst sich Deutsche und Österreicher mit dem
       Nationalsozialismus selbst zugefügt haben. Keine der beiden Filmkulturen
       hat sich in den Jahrzehnten nach 1945 erholt.
       
       20 Jan 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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