# taz.de -- Corona-Erlasse in Niedersachsen: Intransparente Justiz
       
       > Das niedersächsische Justizministerium verweigert die Veröffentlichung
       > von Erlassen. Das ist legal – weil es immer noch kein Transparenzgesetz
       > gibt.
       
 (IMG) Bild: Langer Weg zur Transparenz: Niedersachsens rot-schwarze Landesregierung ist uneinig
       
       Bremen taz | Auch die Arbeit der niedersächsischen Justiz ist vom
       Coronavirus betroffen. Acht Erlasse hat das zuständige Ministerium daher
       bereits verfasst, jedoch keinen davon öffentlich gemacht. Ein Unding,
       findet der Bremer Anwalt Jan Sürig. Weil er eine Akte zur Einsicht haben
       wollte, rief er Anfang April beim Amtsgericht Osnabrück an. „Die Richterin
       erzählte mir, es gebe einen Erlass des Justizministeriums, nach dem nur
       Eilsachen' bearbeitet werden“, schrieb er danach an das Ministerium und bat
       um Zusendung der Erlasse. Ohne Erfolg.
       
       „Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass es auch meine Arbeit betrifft“, sagt
       er nun der taz. „Das Zusenden von Akten kann zwar auch in
       Nicht-Corona-Zeiten lange dauern.“ Ob es nun an den Erlassen liegt, dass er
       gerade warten muss, wisse er aber nicht. Auch nicht, ob es Priorisierungen
       bei Verfahren gibt – ein „ganz sensibler Kernbereich richterlicher
       Unabhängigkeit“. Das Justizministerium sollte daher, die Erlasse öffentlich
       machen, fordert Sürig.
       
       Diese würden „innerdienstliche Vorgaben an die Gerichtsverwaltung im Umgang
       mit der Corona-Pandemie“ betreffen, sagt Mareike Janssen, Sprecherin des
       Amtsgerichts Osnabrück. Die rechtsprechende Gewalt sei aber, eben aufgrund
       der verfassungsrechtlichen Unabhängigkeit der Richter:innen nach
       [1][Grundgesetz-Artikel 97,] nicht betroffen. Eine etwaige Priorisierung
       von Verfahren liege ebenso wie die Wahl des Arbeitsplatzes allein bei den
       Richter:innen.
       
       Auch der Sprecher des niedersächsischen Justizministeriums, Christian
       Lauenstein, erklärt: „Selbstverständlich greift das Ministerium nicht in
       die richterliche Unabhängigkeit ein.“ Der Vorwurf, dass das Ministerium
       Richter:innen vorschreibe, wie sie momentan ihre Verfahren zu führen haben,
       sei „falsch“. Auch die Arbeit von Anwält:innen sei nicht betroffen. Die
       Erlasse stellen „den Umgang mit der aktuellen Corona-Lage dar“, es handele
       sich aber um „interne Regelungen, die nicht zur Veröffentlichung bestimmt
       sind“.
       
       „Bei den Gerichten von Interna zu sprechen, geht nicht“, findet dagegen
       Sürig. Und wenn die Arbeit der Richter:innen nicht betroffen ist – „warum
       wird dann diese Geheimniskrämerei betrieben“?
       
       Dass die Erlasse Corona-bedingte Maßnahmen enthalten, sei lediglich eine
       Behauptung, sagt auch Ulrich Karpen, emeritierter Professor für
       Verwaltungsrecht der Universität Hamburg. „Sie muss prüfbar sein.“ Und ob
       ein Erlass in öffentlichem Interesse liegt, „darüber entscheidet bestimmt
       nicht der Sprecher des Justizministeriums“. Nach Karpens Verständnis könnte
       Sürig gegen die Landesregierung auf Offenlegung der Erlasse klagen. „In
       Hamburg müssen alle solche internen Angelegenheiten transparent gemacht
       werden.“
       
       Aber Hamburg hat – im Gegensatz zu Niedersachsen – auch ein
       Transparenzgesetz. „Niedersachsen ziert sich“, weiß Kay Waechter, Professor
       für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie der Leibniz Universität
       Hannover. Es sei daher legal, diese Erlasse nicht zu veröffentlichen. „Das
       ist nicht erfreulich, aber bisher ist ein Transparenzgesetz unter den
       verschiedenen Koalitionen politisch nicht gewollt gewesen.“
       
       Waechter würde ein solches Gesetz befürworten, da es auch positive
       Erfahrungen aus anderen Bundesländern damit gebe. Das Ministerium könnte
       zwar spätestens jetzt auf Nachfragen die Erlasse trotzdem veröffentlichen.
       „Aber ich nehme an, dass die Behörde denkt: Wenn wir einmal damit anfangen,
       jeden Kram zu veröffentlichen, legen wir uns womöglich fest, das immer zu
       tun.“
       
       Christopher Bohlens, Leiter der Regionalgruppe Niedersachsen von
       Transparency International Deutschland, ist ebenso „unglücklich darüber,
       dass Niedersachsen als eines von drei Ländern neben Bayern und Sachsen noch
       kein Transparenzgesetz hat“. Denn Transparenz sei wichtig, „auch bei
       solchen Erlassen“. Es mache den Bürger:innen das Handeln der Behörden
       zugänglich. „Das ist ein demokratischer Grundsatz.“
       
       Aktuell läuft in Niedersachsen [2][der fünfte Versuch seit 2009], ein
       solches Gesetz zu schaffen. Der von der Grünen-Fraktion vorgelegte Entwurf
       eines Informationsfreiheits- und Transparenzgesetzes (IFG) aus dem Oktober
       vergangenen Jahres liegt derzeit im Landtags-Ausschuss für Rechts- und
       Verfassungsfragen, sagt die stellvertretende Ausschussvorsitzende Esther
       Niewerth-Baumann (CDU).
       
       Im März wurde er letztmalig behandelt. Damals berichtete die
       Landesregierung „über die Ergebnisse der Evaluation der Erfahrungen des
       Bundes und anderer Bundesländer“ mit diesen Gesetzen. Der Ausschuss sei
       anschließend übereingekommen, die kommunalen Spitzenverbände schriftlich
       anzuhören, so Niewerth-Baumann
       
       Das Vorgehen steht so auch im Koalitionsvertrag zwischen CDU und SPD: „Wir
       wollen die Erfahrungen anderer Bundesländer mit einem
       Informationsfreiheits- und Transparenzgesetz evaluieren und auf der
       Grundlage dieser Ergebnisse über die Einführung entscheiden.“
       
       ## Kommunale Spitzenverbände scheuen Arbeitsaufwand
       
       Gerade die kommunalen Spitzenverbände seien aber die, die sich in
       Niedersachsen bislang gegen ein IFG wehren, so Bohlens, „da sie einen hohen
       Arbeitsaufwand fürchten“. Dabei zeige eine Evaluierung aus Hamburg vor drei
       Jahren, dass die Verwaltung die größte Nutznießerin der Transparenz ist.
       „Die befürchtete Anfragenflut hat sich nicht bestätigt.“
       
       Nach weiteren Anhörungen werde der Ausschuss entscheiden, wie dringend ein
       IFG gebraucht wird, sagt Niewerth-Baumann. „Meine Einschätzung zum Sinn des
       Gesetzes ist, dass es dann beschlossen werden sollte, wenn es erforderlich
       ist.“ Der CDU-Fraktion sei kein einziger Fall bekannt, in dem Bürger:innen
       keine Antwort auf Anfragen an Behörden oder Verwaltungen bekommen hätten.
       
       Auch das CDU-geführte Justizministerium sehe wenig Erfordernis, so der
       Eindruck von Ausschussmitglied Ulf Prange (SPD). Entsprechend sei die
       [3][Vereinbarung im Koalitionsvertrag] nur ein „Kompromiss“, die [4][SPD
       habe sich immer für ein IFG ausgesprochen]. „Unter Rot-Grün hätte es das ja
       auch fast gegeben.“ Obwohl es in einzelnen Gesetzen immer wieder
       Festlegungen über Auskunftsrechte gibt, brauche es ein IFG, in dem diese
       „handhabbar und bürgerfreundlich“ zusammengeführt werden. „Das Handeln der
       Regierung muss transparent und nachvollziehbar sein“, meint Prange.
       
       14 Apr 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_97.html
 (DIR) [2] https://transparenzgesetz-nds.de/blog/fuenfter-versuch-ein-ifg-in-niedersachsen-einzufuehren/
 (DIR) [3] ttps://cdu-niedersachsen.de/medien/koalitionsvertrag-2017-2022/
 (DIR) [4] /Informationsfreiheitsgesetze-im-Norden/!5375903
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Alina Götz
       
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