# taz.de -- Die Werteunion nach Thüringen: Die Brückenschläger
       
       > Seit die Werteunion die Thüringen-Wahl bejubelte, steht sie in der CDU
       > unter Beschuss. Einige wollen eine Kooperation mit der AfD.
       
 (IMG) Bild: Eine Anhängerin der Werteunion bei einer CDU-Gedenkveranstaltung zum Fall der Berliner Mauer 2019
       
       Seit Tagen führt Christian Sitter Gespräche in seinem CDU-Verband, tippt
       Mitteilungen, gibt Interviews. Er hat eine Mission: Verhindern, dass Bodo
       Ramelow in Thüringen doch noch mit CDU-Stimmen Ministerpräsident wird. „Das
       würde die CDU spalten.“ Am Samstag wird Sitter nach Frankfurt am Main
       reisen. Der Vorstand der Werteunion, das Sammelbecken erzkonservativer
       CDU-PolitikerInnen, trifft sich dort. Sitter ist Thüringens Landeschef der
       Werteunion.
       
       Als vor anderthalb Wochen in Thüringen der FDP-Mann Thomas Kemmerich mit
       den Stimmen von CDU, FDP und AfD zum Ministerpräsidenten gewählt wurde,
       erlebte Sitter das als einen großen Moment: „Ich habe mich gefreut, dass
       wir einen bürgerlichen Ministerpräsidenten bekommen.“ Wen die AfD wähle,
       bleibe ihr überlassen.
       
       Auch der Bundesvorstand der Werteunion begrüßte die Abwahl des bislang
       amtierenden Ministerpräsidenten Bodo Ramelow: Thüringen werde wieder
       „freiheitlich-demokratisch“ regiert. Dass dies nur mit Stimmen der AfD
       gelang – dazu kein Wort.
       
       ## „Eine Beleidigung für CDU-Mitglieder“
       
       Für andere war diese Wahl ein Dammbruch – [1][auch in der CDU]. Seit
       Monaten wird dort mit Argwohn beobachtet, wie die Werteunion die Partei in
       Richtung AfD ziehen will, obwohl ein Parteitagsbeschluss eine
       Zusammenarbeit ausschließt. Nun nennt Saarlands Ministerpräsident Tobias
       Hans die Truppe „eine Beleidigung für CDU-Mitglieder“, Elmar Brok vom
       Bundesvorstand spricht von einem „Krebsgeschwür“. Der Arbeitnehmerflügel
       CDA fordert einen Beschluss zur Unvereinbarkeit: Wer Mitglied der
       Werteunion ist, dürfe keines der CDU mehr sein.
       
       Alexander Mitsch, Bundeschef der Werteunion, an die AfD gespendet zu haben:
       2014 einen Betrag von 20 Euro, zwei Jahre später 100. Da hatte AfD-Gründer
       Bernd Lucke die sich radikalisierende Partei längst verlassen. Er habe
       damals einen Beitritt erwogen, später aber stattdessen die Werteunion
       gegründet.
       
       Zwei andere Mitglieder des Bundesvorstands hatten wohl noch engere Kontakte
       zur AfD: Sie waren Mitglieder. Klaus-Dieter Kurt war bis zum Sommer 2015
       AfD-Kreisprecher in Tübingen. Nachdem die AfD Lucke abservierte, trat er
       aus. Auch der stellvertretende Bundesvorsitzende der Werteunion, Hinrich
       Rohbohm, der auch für die Junge Freiheit schreibt, soll nach Informationen
       der Zeit 2013 kurze Zeit in der AfD gewesen sein.
       
       Mitsch wiederum beklagt eine „konzertierte Aktion“ gegen seinen Verein.
       Auch der Thüringens CDU-Chef Sitter – dreifacher Vater, Anwalt, Katholik –
       findet die Anwürfe „schlimm“. „Es gibt nichts Radikales in der Werteunion.“
       
       Ist das wirklich so?
       
       Die Werteunion plädiert seit langem für einen Dialog mit der AfD: Die CDU
       solle sich abgrenzen, die Rechtsaußen aber nicht ausgrenzen. Einige
       Mitglieder wollen noch mehr.
       
       Mitsch, Finanzdirektor aus Baden-Württemberg, hat die Werteunion 2017 mit
       anderen rechtskonservativen Unions-Anhängern gegründet. In ihrem Manifest
       fordern sie, die „ungesteuerte Zuwanderung“ zu beenden und „ideologische“
       Klimapolitik abzulehnen. Migranten und Muslime müssten sich „assimilieren“.
       Und: „Wir stehen zu unserer Heimat.“
       
       Ein Programm, das an die AfD andockt. Heute zählt die Werteunion gut 4.000
       Mitglieder, in einer Partei von 400.000 ist das nicht viel. Doch mit ihren
       schrillen Äußerungen ist der Verein, eine offizielle Parteiorganisation ist
       er nicht, medial extrem präsent.
       
       Die Werteunion ist Ausdruck der Zerreißprobe, in der die CDU gerade steckt.
       Soll sie nach Merkel ihren Mitte-Kurs halten – oder wieder nach rechts
       rücken?
       
       Hans-Georg Maaßen, der nach rechts abgedriftete Ex-Verfassungsschutzchef,
       ist Mitglied der Werteunion – und ihr prominentestes Mitglied. Am Wahltag
       in Thüringen sagte er der taz, er sei „sehr zufrieden, da die
       sozialistische Regierung abgewählt worden ist“. Kemmerich werde „gute
       liberale und konservative Politik machen“. Und die AfD-Kooperation? Dazu
       schwieg er.
       
       Noch als Verfassungsschutzchef hatte Maaßen sich gegen die Beschäftigung
       seiner Behörde mit der AfD gesträubt. Als er im Frühjahr 2019 der
       Werteunion beitrat, diskutierte er eine mögliche Zusammenarbeit mit der
       AfD. Später warnte Maaßen, Teile der AfD seien zu radikal. Aber in
       Thüringen bekundete er, die Wahl eines CDU-Mannes mithilfe der AfD sei
       legitim.
       
       In Thüringen wurde diese Aufweichung zuletzt ganz praktisch vollzogen. Als
       CDU-Landeschef Mike Mohring nach der Landtagswahl Gespräche mit der Linken
       führen wollte, forderte die Werteunion, dies „umgehend einzustellen“. Zur
       AfD schrieb Sitter: „Warum Dialog verweigern, wenn wir die besseren
       Argumente haben?“ Ein Zusammentun mit der AfD war kein Tabu mehr: Warum
       solle man eine „abgehalfterte“ Linksregierung unterstützen, fragte die
       Werteunion.
       
       Sitter hatte kurz zuvor bereits mit 16 weiteren Thüringer CDU-Leuten,
       darunter ein Landtagsabgeordneter, einen Appell veröffentlicht: Es brauche
       einen Gesprächsprozess mit „allen“ Parteien im Landtag. Es könne nicht
       sein, „dass fast ein Viertel der Wählerstimmen bei diesen Gesprächen außen
       vor bleiben sollen“.
       
       Man könne mit einer AfD unter Björn Höcke nicht koalieren, sagt Sitter,
       aber über einzelne Projekte reden. Sitter ist mit dieser Position nicht
       allein. Zwar sei unter den Thüringer Landtagsabgeordneten kein Mitglied der
       Werteunion, aber ein halbes Dutzend Sympathisanten.
       
       Auch Teile des Spitzenpersonals der Werteunion scheuen den Kontakt zur AfD
       nicht. Ihr Pressesprecher, der Medienrechtler Ralf Höcker, in dessen
       Kanzlei auch Maaßen arbeitet, vertritt die AfD und referierte im Mai 2019
       bei einer AfD-Veranstaltung im Bundestag. Am Donnerstag trat Höcker
       plötzlich aus der Werteunion aus. Seine Begründung: Bedrohungen.
       
       Auch andere Bundesvorstände äußerten sich zuletzt einschlägig. Einer pries
       in einem Mitgliederschreiben als Vorbild für die Union den Kurs der
       österreichischen ÖVP in der Koalition mit der radikal rechten FPÖ. Ein
       zweiter ätzt auf Twitter über eine „Demokratur“ in Deutschland, nennt
       Politiker „Dreckspack“. Ein dritter plädierte schon im November für ein Aus
       der Kenia-Koalition in Sachsen-Anhalt und eine Minderheitsregierung mit
       „bürgerlich-konservativer Politik“. Mehrheitsbeschaffer wäre auch hier: die
       AfD.
       
       Von dort kommen offene Avancen. Wiederholt lud AfD-Fraktionschef Alexander
       Gauland Werteunion-Anhänger zum Übertritt ein. In der „weichgespülten
       Mainstream-CDU“ hätten sie keinen Platz mehr.
       
       Einer, der in der Werteunion diesen Brückenschlag bereits umsetzt, ist Max
       Otte. Der CDU-Mann aus Nordrhein-Westfalen, Ökonom und Fondsmanager,
       verkündete bereits vor der jüngsten Bundestagswahl, die AfD wählen zu
       wollen. Inzwischen steht Otte auch dem Kuratorium der AfD-nahen
       Desiderius-Erasmus-Stiftung vor. Schon 2018 richtete er das „Neue Hambacher
       Fest“ aus, auf dem Thilo Sarrazin und AfD-Chef Jörg Meuthen sprachen. Vor
       der Europawahl verfasste Otte das Vorwort für ein Büchlein, mit dem Meuthen
       und andere AfD-KandidatInnen für sich warben.
       
       Ottes Einschätzung des Thüringer Wahlakts ist klar: „Das war eine
       Glanzstunde der Demokratie.“ Er ist es auch, der dem Werteunion-Chef offen
       widerspricht, es gebe im Verein kein Streben zur AfD: „Ich kenne etliche,
       auch hochrangige Mitglieder, die gerne mit der AfD zusammenarbeiten würden.
       Die trauen sich aber nur, das privat auszusprechen.“
       
       Es sind solche Aussagen, die in der CDU-Spitze sehr aufmerksam wahrgenommen
       werden. Die Chancen aber, Werteunion-Mitglieder tatsächlich aus der Partei
       zu schmeißen, sind sehr gering. „Wir haben zuletzt ja bei Sarrazin und der
       SPD gesehen, wie schwer Parteiausschlüsse durchzusetzen sind“, sagt die
       Düsseldorfer Parteienrechtlerin Sophie Schönberger.
       
       Laut Gesetz müsse man einen erheblichen Verstoß gegen die Grundsätze der
       Partei und zudem einen schweren Schaden für diese nachweisen. Das sei, wenn
       überhaupt, bei einzelnen Mitgliedern möglich – etwa bei Mitsch wegen seiner
       Spende an die AfD. Kollektiv aber sei das nicht nur schwierig, sondern im
       Sinne der Demokratie auch nicht wünschenswert, so die Parteienrechtlerin.
       „Es geht hier ja um einen Richtungsstreit in der Union, der muss politisch
       geklärt werden.“
       
       Tatsächlich ist selbst Max Otte bis heute Mitglied der CDU, wie eine
       Parteisprecherin bestätigt. Obwohl sogar die Werteunion für einen
       Parteiausschluss plädierte, nachdem Otte nach dem Lübcke-Mord einen
       relativierenden Tweet veröffentlichte. Otte aber weiß weder von einem
       Versuch, ihn aus der Werteunion auszuschließen, noch von konkreten
       Schritten zu einem Parteiausschluss.
       
       Die Spitze der Werteunion fühlte sich [2][ob der laufenden Debatte]
       bemüßigt, diese Woche eine „Klarstellung“ zu veröffentlichen: Man lehne
       eine Zusammenarbeit mit der AfD „entschieden“ ab. Es gehe vielmehr darum,
       zu der Partei Abgewanderte wieder für die Union zurückzugewinnen.
       
       Eine „Klarstellung“, die nicht für alle gilt. Max Otte jedenfalls erhob
       just am gleichen Tag eine andere Forderung: Er könne zwar nicht für die
       Werteunion sprechen. „Rein persönlich aber bin ich der Ansicht, dass die
       CDU die Möglichkeit für bürgerliche Koalitionen mit der AfD auf allen
       Ebenen ausloten sollte.“
       
       14 Feb 2020
       
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