# taz.de -- Politikwissenschaftler zum AfD-Erfolg: „Eine höhere Handwerkerdichte“
       
       > Wer hat die AfD in Thüringen gewählt und warum schnitt sie bei der
       > Landtagswahl so stark ab? Wolfgang Schroeder hat dafür mehrere
       > Erklärungen.
       
 (IMG) Bild: In Ostthüringen (hier: Gera) schnitt die AfD besonders gut ab
       
       taz: Herr Schroeder, in Thüringen hat fast jeder Vierte die AfD gewählt,
       mit einem rechtsextremen Kandidaten an der Spitze. Was bedeutet das?
       
       Wolfgang Schroeder: Als Erstes bedeutet dies, dass die Aktionen gegen
       rechts kaum Wirkung zeigen. Zweitens hat die AfD ihre Erfolgsserie
       fortsetzen können, wobei sie seit geraumer Zeit stagniert: Bei dieser Wahl
       haben weniger Menschen für die AfD gestimmt als bei der Bundestagswahl. Ich
       habe den Eindruck, dass das gegenwärtig ausgereizt ist. Meine These ist:
       Durch die Koalitionsunfähigkeit der AfD ist das unter parlamentarischen
       Gesichtspunkten letztlich ein erfolgreiches Scheitern. Die AfD kann mit
       ihren Siegen im Rahmen des Parlamentarismus eigentlich nichts anfangen.
       
       Hätte die AfD ohne Björn Höcke mehr Stimmen holen können? 
       
       Nein, das glaube ich nicht. Höcke ist für einen Teil der Wähler ein
       Motivations- und Mobilisierungsfaktor und für den anderen Teil zwar
       abschreckend, aber der ist bereit, diese Kröte zu schlucken. Denn Höcke
       sagt zwar unappetitliche Dinge, aber sorgt dadurch auch für Aufmerksamkeit
       und Dynamik. Ich gehe davon aus, dass die Hälfte der AfD-Wähler in
       Thüringen wirklich rechtspopulistisch bis rechtsextrem sind, die andere
       Hälfte sind eher unzufriedene Protestwähler. Was dahintersteht, ist aber
       nicht so wirklich klar, weshalb wir darüber auch noch besser forschen
       müssen.
       
       Die AfD war in allen Altersgruppen stärkste Kraft, außer bei den über
       60-Jährigen. Wie erklären Sie das? 
       
       Das ist unter anderem der Kohorteneffekt, den wir in der ganzen
       Bundesrepublik beobachten, das sind im Westen 68er und folgende. Die
       Mehrheit der Älteren ist eher skeptisch bis immun gegen rechtspopulistische
       Verheißungen.
       
       Auch in Ostdeutschland? 
       
       Gerade dort. Gewählt wir die AfD von den jüngeren und mittleren
       Altersgruppen, die im Berufsleben stehen.
       
       Und warum sind diese Gruppen so anfällig? 
       
       Da, wo die AfD stark ist, geht die Bevölkerung zurück, es gibt viele Alte
       und wenig Dynamik. Aus dieser Melange entwickelt sich eine Protest- und
       Anti-Establishment-Haltung. Hinzu kommt, dass in den ostdeutschen Ländern
       die Neigung zu rassistischen Positionen noch einen Tick stärker verankert
       ist, besonders in den ländlichen Regionen.
       
       Welche Rolle spielt die Abwanderung aus dem ländlichen Raum? 
       
       Sie erzeugt die Einschätzung, die Zukunft sei verbaut. Dazu kommt, dass
       eines der bestimmenden Themen im Wahlkampf die Infrastruktur war. Also: Es
       wird nicht genug dafür getan, dass unsere Zukunft gut wird. Die eigentliche
       Botschaft dieser Wahl ist, dass es tragende Teile der Gesellschaft sind,
       die für die AfD stimmen, insbesondere Männer mittleren Alters. Im
       ländlichen Raum sind die beiden entscheidenden Kriterien für die
       Wahrscheinlichkeit von verstärkter AfD-Wahl der erhöhte Altenquotient und
       eine höhere Handwerkerdichte.
       
       Was bedeutet die Handerwerkerdichte? 
       
       Wen ich wähle, geht oft auf den Einfluss von Leuten zurück, die etwas zu
       sagen haben und für mich orientierend sind. Im ländlichen Raum sind das
       häufig auch Handwerker, Kleingewerbetreibende, die schon in der DDR eine
       wichtige soziale und kulturelle Rolle einnahmen. Diese Rolle spielen sie
       jetzt eigentlich wieder. Sie selbst haben aber für sich den Eindruck, ihre
       Leistung wird nicht so anerkannt, wie das ihrer Bedeutung entsprechen
       sollte, und sie fühlen sich vom Staat und den IHKs gegängelt. Deshalb
       suchen sie in einer Alternative zum Establishment eine Adresse für ihren
       Unmut.
       
       Die Jugendlichen, die in den 90er Jahren Teil der gewaltbereiten rechten
       Szene waren, sind jetzt auch im mittleren Alter. Wählen sie die AfD? 
       
       Soweit ich weiß, gibt es dazu keine empirischen Untersuchungen. Aber das
       ist ein wichtiger Punkt: Das Potenzial für rassistische und extremistische
       Positionen ist über die Jahre ja relativ gleich geblieben, aber die
       Angebotsstrukturen haben sich verändert. In den 90er Jahren sind die
       Rechtsextremen vom Westen in den Osten gegangen und haben eine Art
       Gegengesellschaft aufgebaut: mit Sport, Jugendzentren, Musik. Heute bündelt
       die AfD deren Zorn und verleiht denen, die sich abgehängt fühlen, eine
       Repräsentanz.
       
       In Ihrem Buch heißt es, die AfD-Wähler seien vor allem klassische
       Modernisierungsverlierer. Geht es also um die alte These von den
       Abgehängten? 
       
       Ich glaube ja, dass der Soziologe Andreas Reckwitz recht hat, wenn er sagt,
       dass die akademische, kosmopolitische Mittelklasse bei uns den Ton angibt
       und das Maß der Dinge für die Bewertung der anderen ist. Die
       nicht-akademische Mittelschicht, die mitunter mehr verdient und eine
       stärkere Rolle in den lokalen Netzwerkstrukturen des sozialen Raums hat,
       fühlt sich durch Politik und Staat dagegen nicht hinreichend wertgeschätzt.
       Auch die ökonomische Basis ist wichtig: Die ostdeutschen AfD-Wähler, häufig
       Facharbeiter, haben wenig Chancen, sich weiterzuentwickeln.
       
       Die Betriebe im Osten sind kleiner, sie haben nicht die
       Weltmarktorientierung und Ausdifferenzierung wie im Westen, wo es
       Forschungs- und Entwicklungsabteilungen gibt. Und wenn die Betriebe groß
       sind, wie zum Beispiel bei BMW in Leipzig, dann gibt es massenhaft
       rechtlose Leiharbeiter. Die Leute sehen, dass sie nicht vorankommen. Und
       noch eine Zahl, die ich wichtig finde: 35 Prozent der Ostdeutschen
       verdienen weniger als 10,50 Euro die Stunde. Sie können mit ihrer Arbeit
       keinen eigenen Rentenanspruch erarbeiten, der über die Grundsicherung
       hinausgeht. Das Ganze ist eingebunden in diese alte neue Konfliktlage
       zwischen Zentrum und Peripherie, wobei Letztere abgehängt zu werden droht.
       
       Steigt mittelfristig die Chance, dass die anderen Parteien WählerInnen
       zurückgewinnen? 
       
       Die empirischen Analysen in unserem Buch zeigen, dass die AfD-Wähler
       einerseits immer stärker zu Stammwählern werden und andererseits immun
       gegen die Argumente der anderen geworden sind. Die AfD gewinnt ja – anders
       als früher – inzwischen vor allem Zustimmung aus dem Lager der Nichtwähler.
       Und wie diese Nichtwähler mobilisiert werden, dafür bedarf es weiterer
       Forschung. Unsere These ist, dass dabei die lokale Einflusselite des
       Mittelstands eine wichtige Rolle spielt.
       
       Wie ist die Lage im Westen beziehungsweise bundesweit? 
       
       Sehr differenziert. Die AfD ist ja relativ schwach im Norden und relativ
       stark in den Wohlstandsgürteln von Hessen, Baden-Württemberg und Bayern.
       Im Wohlstandsgürtel geht es vor allem um die Angst vor dem Verlust. Das
       ließ sich schon bei den Wählern der DVU oder der „Republikaner“ beobachten.
       Aber es gibt ein Plus für die AfD: diese parteiinterne Koalition zwischen
       den Rechtsextremen und den eher Gemäßigten.
       
       Ist genau dieses Bündnis nicht ausgesprochen fragil? 
       
       Ja, wenn die AfD im Osten aus ihren Wahlerfolgen Hegemonialansprüche für
       die Gesamtpartei entwickeln sollte. Dann besteht auch die Möglichkeit, dass
       sich die Partei durch interne Konfliktlagen selbst zerstört.
       
       Interne Konflikte sind gerade allerdings stärker bei der CDU als bei der
       AfD zu beobachten. Was sollte die Politik in Thüringen jetzt tun? 
       
       Zunächst muss man sehen: Bei der Wahl hat die Mitte gewonnen, auch wenn die
       CDU das anders beurteilt. Die Linke in Thüringen ist ja die Mitte und das
       sieht auch die Mehrheit der CDU-Wähler so. Man muss Gespräche führen, und
       zwar mit der Intention, dass es wahrscheinlich keine ausreichende Koalition
       geben wird, sondern eine Minderheitsregierung, die sich immer wieder neue
       Mehrheiten suchen muss. Das kann ja auch eine Chance für Politik sein, weil
       man sachbezogen auf die eigenen Bereiche eingehen muss. Aber das wird man
       nicht lange durchhalten, dann wird es Neuwahlen geben.
       
       Für die Linkspartei oder auch für Rot-Rot-Grün birgt eine
       Minderheitsregierung aber die Gefahr, dass die AfD ihr bei manchen Themen
       zur Mehrheit verhilft … 
       
       Ja, bei sozialen Themen, bei der Vertretung der ostdeutschen Interessen zum
       Beispiel. Auch deshalb wird das ein vorübergehendes Phänomen sein,
       vielleicht maximal für zwei Jahre.
       
       5 Nov 2019
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sabine am Orde
       
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