# taz.de -- Demo gegen Polizeigesetz in Hannover: Großes Misstrauen gegen Pistorius
       
       > Tausende Menschen demonstrieren gegen das niedersächsische Polizeigesetz.
       > Innenminister Pistorius will Änderungen vornehmen.
       
 (IMG) Bild: Ein Bündnis von mehr als 120 Gruppen demonstrierte gegen das niedersächsische Polizeigesetz
       
       Hannover taz | „Big Boris is watching you“ steht auf einem Plakat, das weiß
       aus der Menge von Demonstrant*innen heraussticht. Auf dem zugehörigen Foto
       blickt der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) äußerst
       grimmig drein. Ihn machen die Menschen, die am Samstag gegen das geplante
       Polizeigesetz in Hannover auf die Straße gegangen sind, persönlich für aus
       ihrer Sicht drohende Einschnitte in die Freiheits- und Bürgerrechte
       verantwortlich. Lebensgroß steht eine Figur von ihm im Anzug auf einem
       Wagen und füttert ein skelettiertes Niedersachsenross, unter dem ein
       großer, brauner Haufen liegt.
       
       Die Polizei schätzte die Anzahl der Teilnehmer*innen auf 8.300 Menschen.
       [1][Das Bündnis #noNPOG] geht von 15.000 Gegner*innen des Gesetzes aus, die
       vom Hauptbahnhof, am Innenministerium entlang bis vor den Landtag gezogen
       sind. „Das ist ein Überwachungsgesetz, das gestoppt werden muss“, sagte
       Timon Dzienus, der Sprecher der Grünen Jugend Niedersachsen bei der
       Abschlusskundgebung.
       
       Die große Koalition aus SPD und CDU in Niedersachsen will mit dem neuen
       Polizeigesetz beispielsweise die Videoüberwachung ausweiten. Bisher durften
       öffentliche Plätze nur gefilmt werden, wenn dort erhebliche Straftaten zu
       erwarten waren. Nun sollen „nicht geringfügige Ordnungswidrigkeiten“
       [2][ausreichen].
       
       Sogenannte Gefährder*innen, also Menschen, von denen die Polizei annimmt,
       dass sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen
       werden, sollen künftig bis zu 74 Tage in Präventivhaft kommen können,
       obwohl sie noch keine Straftat begangen haben. Außerdem soll die Polizei
       ihnen Kontaktverbote aussprechen und Fußfesseln anlegen dürfen.
       
       ## Fußballfans gegen das Polizeigesetz
       
       „Viele solcher Gesetze werden an uns ausprobiert“, sagt Ben, der seinen
       Nachnamen nicht nennen will. „Meldeauflagen zum Beispiel, wenn die Leute
       noch nicht mal ein Stadionverbot haben.“ Er steht im Block von Eintracht
       Braunschweig. Die Fußballfans sind geschlossen zur Demo angereist. 400
       Menschen allein aus Braunschweig, sagt Ben. Etwas weiter vorne stehen die
       Wolfsburger, dahinter die Fans von Hannover 96. Die Rivalität spielt heute
       keine große Rolle, auch wenn sich die Fanlager keinesfalls vermischen. Die
       Braunschweiger tragen weiße Shirts mit „no NPOG“-Aufdruck und haben auf die
       Farben Blau-Gelb verzichtet. „Uns vereint der Wille, das Polizeigesetz zu
       verhindern“, sagt Ben.
       
       Außer ein paar gezündeten Bengalos, Nebeltöpfen und „Bullenschweine“-Rufen
       blieb die Demonstration friedlich. Die Polizei hielt sich zurück und war
       auf weiten Teilen der Route gar nicht zu sehen. „Die wollen keine
       Polizeistaatsbilder provozieren“, sagt die Grüne Landtagsabgeordnete Julia
       Hamburg. „Ich bin mit der Einsatzstrategie sehr zufrieden.“
       
       Noch am Freitag hatte Innenminister Pistorius in einer Pressekonferenz
       verkündet, [3][dass er das geplante Polizeigesetz nachbessern wolle].
       Kritiker*innen hatten beispielsweise bemängelt, dass die Polizei selbst
       eine zu große Entscheidungsgewalt bekommen solle. Mutmaßliche
       Gefährder*innen darf die Polizei dem Entwurf nach selbst mit
       Kontaktverboten zu bestimmten Personen, Aufenthaltsverboten für bestimmte
       Orte oder Meldeauflagen belegen, die die Menschen dazu verpflichten, sich
       in regelmäßigen Abständen bei einer Polizeidienststelle zu melden.
       
       Das Gleiche soll für elektronische Fußfesseln gelten. Pistorius ging nun
       auf die Forderung ein, dass zumindest eine Richter*in über diese Maßnahmen
       entscheiden solle. Mit Ausnahme der Meldeauflage werde es einen
       Richtervorbehalt geben, kündigte der Minister an. Auch in weiteren Punkten
       wolle er nachbessern. „Was jetzt passiert, ist der ganz normale Prozess“,
       sagte Pistorius. Es würden die Anregungen aus der Anhörung im
       Innenausschuss geprüft und das Gesetz angepasst, aber nicht in Gänze
       verändert.
       
       An der Höchstdauer von 74 Tagen für Präventivhaft für Gefährder*innen
       rüttelte Pistorius bisher nicht. Diese ist bereits im Koalitionsvertrag mit
       der CDU vereinbart.
       
       ## Pistorius fordert mehr Vertrauen in den Staat
       
       Pistorius kritisierte zudem die öffentliche Diskussion über das
       Polizeigesetz. Beispielsweise über den Einsatz von Tasern sei ein falsches
       Bild gezeichnet worden. „Wir haben die Taser bislang beim SEK
       (Spezialeinsatzkommando) im Einsatz. Niemand will die in Zukunft woanders
       einsetzen.“ Die Elektroschockpistolen seien im Polizeigesetz nun lediglich
       als Waffe eingestuft.
       
       Auch die Sorge, auch andere Menschen als islamistische Gefährder*innen
       könnten von den maximal 74 Tagen Präventivhaft betroffen sein, wies
       Pistorius zurück. Im Polizeigesetz geht es allerdings allgemein um
       terroristische Straftaten. Darunter kann theoretisch auch der gefährliche
       Eingriff in den Bahnverkehr fallen. Wenn linke Demonstrant*innen Schienen
       blockierten, reiche das aber nicht für eine Einstufung zu einer
       terroristischen Straftat aus, sagte Pistorius. Selbst wenn die Polizei das
       so einschätzen würde, gäbe es immer noch den Richtervorbehalt. Auch auf
       Fußballfans seien die Maßnahmen nicht anwendbar.
       
       „Etwas mehr Zutrauen in unsere Justiz und die Polizei!“, forderte der
       Minister. Niemand habe ein Interesse daran, die Menschen jetzt scharenweise
       in die Knäste zu bringen, um sich dann von den Gerichten sagen zu lassen,
       man habe jemanden rechtswidrig in Gewahrsam genommen. „Das riskiert doch
       keiner. Manchmal haben wir wirklich einen Blick auf unseren Staat, den
       hätte Erdoğan verdient, aber doch wir nicht.“
       
       Doch selbst die Jusos wollten sich nicht so einfach beruhigen lassen: „Das
       sind nur kleine Änderungen“, kritisiert Jakob Blankenburg, der
       niedersächsische Landesvorsitzende der SPD-Jugendorganisation, den Vorstoß
       von Pistorius. „Online-Durchsuchungen und Quellenkommunikationsüberwachung
       sind weiterhin möglich.“ Er lehne es ab, dass hierfür eine gesetzliche
       Grundlage geschaffen werde. Im November und Dezember soll es weitere große
       Protestaktionen geben.
       
       9 Sep 2018
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://niedersachsentrojaner.de/
 (DIR) [2] /Neues-Polizeigesetz-in-Niedersachsen/!5531022
 (DIR) [3] /Minister-will-Polizeigesetz-nachbessern/!5533992
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andrea Maestro
       
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